Oder: Plädoyer für ein "Ö1 Taschentuch"

Wiener "Resonanzen"

Spanische und italienische Musik der Renaissance, dargeboten und interpretiert auf Vihuela und Laute, stand auf dem Programm des Wiener Konzerthauses. Doch bevor der letzte Ton der "Fantasia 4 del Segundo" verklungen war, setzte schon das Publikum ein.

Mit heiterer Gelassenheit betrat am letzten Tag des Konzerthaus-Festivals Resonanzen am späten Sonntagvormittag ein Herr die Bühne des Mozartsaales, eine Vihuela in seiner linken Hand. Eine wunderbar gearbeitete Vihuela de Mano, die als Vorgängerin der Gitarre angesehen wird. Der Musiker, der sie in den folgenden eineinhalb Stunden trefflich zum Klingen bringen sollte, war Hopkinson Smith, gebürtiger Amerikaner, der sein Musikstudium in Harvard "summa cum laude" abgeschlossen hat.

Spanische und italienische Musik der Renaissance von Luis Milan und Francesco Canova da Milona, dargeboten und interpretiert auf Vihuela und Laute, stand auf dem Programm. Gleich zu Beginn spielte Hopkinson Smith die "Fantasia 4 del Segundo" so aufregend frisch, so unmittelbar berührend, dass der Zeitsprung aus dem Jetzt der Event-Kultur in die Mitte des 16. Jahrhunderts mühelos gelang. Das Wiener Konzerthauspublikum folgte angespannt dem Spiel des Solisten, der zweifellos zu den herausragendsten Instrumentalisten der Gegenwart zählt, davon aber kein großes Aufheben macht.

Es verklang der letzte Ton der "Fantasia", nein, noch schwebte er empor an die Decke des Mozartsaals, da ließ die Spannung des Publikums schlagartig nach, und ein Husten-Stakkato - von zartem Hüsteln, über verhaltenes Husten bis grelles Bellen - erschütterte nicht nur den Saal, sondern irritierte auch den so ausgeglichen wirkenden Gitarristen, dessen feinnervige Spielhand sogleich wie hilfesuchend in der rechten Sakkotasche verschwand, um dort an irgendetwas Halt zu suchen. Um es kurz zu machen. "Das Publikum hat sich heute wieder als sehr untalentiert erwiesen", dieser Satz von Jean Cocteau traf an diesem Sonntagvormittag auf eine Hälfte des Publikums unwiderlegbar zu. Wurde zuerst nur zwischen den Darbietungen gehustet, war spätestens während der "Pavana 6 del octavo tono" die Zurückhaltung besiegt. Als dann noch - Sie ahnen es wohl schon - ein Handy zu klingeln begann, war auch den nachsichtigsten meiner Sitznachbarn der Ärger anzumerken.

Alfred Brendel unterbrach einst bei den Salzburger Festspielen im großen Festspielhaus abrupt ein Schubert-"Impromptu" als ihm das wiederholte Husten, das nicht einmal durch ein Taschentuch gedämpft wurde, das Spiel vergällte. Und das Konzerthaus-Management ließ nach einer offenbar hustenreichen Saison in jedes Programm - sinngemäß - drucken, der p.t. Besucher, die werte Besucherin möge doch die Lautstärke eines etwaigen Hustenanfalls durch ein Taschentuch reduzieren. Das muss in jener Saison gewesen sein, als Tzimon Barto im großen Saal des Wiener Konzerthauses einen umjubelten Klavierabend gegeben hat, und vor mir ein Brite das ständige Husten im Publikum mit der Feststellung quittierte: "In London, If I catch a cold, I see the doctor. In Vienna, people instead go to the Konzerthaus."

Wahrscheinlich, dachte ich mir im Stillen, heißen die Resonanzen deshalb Resonanzen, weil das Husten des Publikums in den ehrwürdigen Sälen des Konzerthauses echoähnlich widerhallt. Unergründbar bleibt, ob diese Unsitte eine besondere Form der Kritik am Künstler ist. Ob wir Konzentration über eine längere Zeitspanne nicht mehr in der Lage sind zu ertragen, weil die Aufnahmebereitschaft fehlt, die Hingabe an die Musik. Oder der Konzertbesuch, weil im Abonnement gebucht, eine Belästigung ist, die per Hustenanfall abgearbeitet wird. Wirklich diskutieren konnte ich das mit den Hustenden nicht. Viele von ihnen flüchteten nämlich rechtzeitig vor der Zugabe. Wahrscheinlich um den für 13:00 Uhr reservierten Mittagstisch im Restaurant als erste zu erreichen.

Mehr zu den Resonanzen in oe1.ORF.at

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