Entschleunigte Zeit
Magdalenaberg
Wie schon in seinem Erstlingsroman "Der lange Gang über die Stationen" präsentiert sich Reinhard Kaiser-Mühlecker auch in diesem Buch als Entschleunigungs-Spezialist. Im Grunde genommen präsentiert er eine karge Selbstfindungsgeschichte.
8. April 2017, 21:58
Es ist eine alles andere als spektakuläre Geschichte, die Reinhard Kaiser-Mühlecker da erzählt. Im Zentrum des Geschehens steht ein Bauernsohn aus dem oberösterreichischen Alpenvorland, Joseph heißt er. Joseph, 35, hat sich in ein Haus am Ortsrand von Hallstatt zurückgezogen, um in aller Ruhe über sein Leben nachzudenken.
Wie schon in seinem ersten Roman huldigt Reinhard Kaiser-Mühlecker auch in diesem den Landschaften seiner Kindheit, dem Salzkammergut und den sanft hügeligen Gemarkungen des Hausruck- und des Traunviertels.
"Die Landschaften sind mir wichtig", sagt Reinhard Kaiser-Mühlecker im Gespräch. "Ich trag sie mit mir herum, sie haben sich eingeschrieben in mich. Ich sehe derzeit keinen Grund, über eine andere Gegend zu schreiben als über Oberösterreich. Ich brauche keine andere Szenerie für meine Geschichten, keinen anderen Rahmen. In Oberösterreich kenne ich mich aus."
Schmerzhafte Verluste
Kaiser-Mühleckers Protagonist hockt als räsonierender Müßiggänger in seinem Haus in Hallstatt und versucht, mit mäßigem Energieaufwand seine Diplomarbeit über das Handwerk des Instrumentenbaus fertig zu schreiben. So recht kommt er damit nicht voran. Viel lieber denkt Joseph über zwei Menschen nach, deren Verlust ihm zu schaffen macht.
Da ist zum einen sein Bruder Wilhelm, mit dem der Protagonist auf einem Bauernhof in Pettenbach im Almtal aufgewachsen ist. Die beiden Brüder scheinen einander zeitlebens fremd geblieben zu sein, und jetzt, da Wilhelm tot ist - bei einem Straßenbahnunfall in Wien ums Leben gekommen -, denkt Joseph intensiv über sein Verhältnis zum jüngeren Bruder nach.
Der zweite Verlust, den Joseph nicht verkraften kann, ist der Verlust Katharinas. Zwei Jahre lang war die Linzer Journalistin seine Freundin und Geliebte. Im Lauf der Zeit sind sich die Liebesleute allerdings mehr und mehr abhanden gekommen. Katharina scheint mit der verträumten Passivität ihres Liebhabers Probleme bekommen zu haben. Und jetzt, da er allein lebt, hat Joseph genügend Zeit, über all seine Verluste nachzudenken.
Wichtiges Langsam-sein
Rein äußerlich passiert wenig in Kaiser-Mühleckers Buch. Die alltäglichen Verrichtungen des Helden werden geschildert - Holzhacken, Feuermachen -, dazu kommen ausgiebige Rückblenden, die seine Kindheit und sein Verhältnis zu Bruder und Freundin reflektieren. Das alles liest sich streckenweise doch recht langatmig - für Kaiser-Mühlecker ein Qualitätskriterium. Gehektelt und gehechelt werde in der heutigen Welt schließlich genug, meint der Autor:
"Das Langsam-sein ist sehr wichtig für mich. Ich glaube ja, dass eine ereignisreiche, schnelle Geschichte zu schreiben etwas Einfaches ist, und dass es sehr viel schwieriger ist, das sogenannte Nicht-Geschehen oder das Langsame zu beschreiben. Gleichzeitig bin ich in meinem Inneren ein unruhiger Mensch; das langsame Arbeiten ist bestimmt auch eine Arbeit an meiner Rastlosigkeit."
Herbe Kritik
Wie schon in seinem Erstlingsroman "Der lange Gang über die Stationen" präsentiert sich Reinhard Kaiser-Mühlecker auch in diesem Buch als Entschleunigungs-Spezialist. Die Zeit wirkt wie eingefroren in seinem Buch; die Entwicklung des Helden, so es denn eine gibt, geht gemächlich, äußerst gemächlich vonstatten.
Das ist nicht nach jedermanns Gusto. Karl-Markus Gauß hat den Roman in der "Presse" respektvoll verrissen. Abgesehen von der streckenweise "ungelenken" Sprache, die Gauß bemängelt, kritisiert der "Presse"-Rezensent vor allem die, wie er findet, manierierte Angestrengtheit, mit der Kaiser-Mühlecker den Dingen "einen falschen Glanz" verleihe. Die Frage dabei ist: Wer entscheidet über "Echt" oder "Falsch" in solchen Angelegenheiten? Was dem einen als wohlfeiles Schimmer-Falsifikat erscheint, glänzt für den anderen in luzidester Leuchtkraft.
Reinhard Kaiser-Mühlecker jedenfalls lässt sich von den Verrissen da und dort nicht weiter beeindrucken. Der junge Autor scheint fest entschlossen, sein ästhetisches Programm auch in künftigen Büchern kompromisslos durchzuziehen.
"Ich bin da ganz konform mit Stifter, der ja in seiner Vorrede zu den 'Bunten Steinen' sagt, dass er nicht glaubt, dass das Große größer ist als das Kleine", so Kaiser-Mühlecker. "Das ist auch meine Weltwahrnehmung. Ich bin in einer - meiner Empfindung nach - alten Welt geboren und aufgewachsen, hab dann längere Zeit in Bolivien gelebt, auch eine alte, archaische Welt, und kam dann erst ins richtige Geschehen, ins moderne, nämlich nach Wien. Ich kenne das andere viel genauer, und deshalb schreibe ich auch darüber."
Zwischen Waggerl und Winkler
Mit der sprachmächtigen Antiheimatliteratur eines Josef Winkler oder eines Thomas Bernhard hat Reinhard Kaiser-Mühlecker nichts gemein. In seinem zweiten Roman scheint der Autor stilistisch absichtsvoll spröd ans Werk zu gehen. Und auf einer inhaltlichen Ebene ist es ihm um die uneingeschränkte Verdammung des ländlichen Lebens ebenso wenig zu tun wie um seine idyllisierende Verherrlichung. Weder Waggerl noch Winkler - Kaiser-Mühlecker steht ziemlich genau in der Mitte.
"Ich bin ganz und gar kein Antimodernist, aber ich bin vielen Entwicklungen der jetzigen Zeit gegenüber sehr skeptisch", meint Kaiser-Mühlecker. "Ob das in der Landwirtschaft ist oder in anderen Unternehmungen, in denen der Mensch nichts mehr zählt, und nicht nur der Mensch, sondern auch die Natur nichts mehr zählt. Das gefällt mir nicht. Mir gefällt eher das Kleine. Ich glaube nicht, dass das reaktionär ist, wenn man sich von diesen Entwicklungen abwendet."
Auch wenn man da und dort über sprachliche Schwerfälligkeiten stolpert, die absichtsvoll eingestreut sein mögen oder nicht: Reinhard Kaiser-Mühlecker hat einen alles in allem beachtlichen Roman vorgelegt, eine karge Selbstfindungsgeschichte, deren wie aus der Zeit gefallene Ernsthaftigkeit sich von der aalglatten Eingängigkeit gestreamlinter Creative-Writing-Prosa wohltuend abhebt. Reinhard Kaiser-Mühlecker wird denen, die Ohren haben zu hören, noch viel Freude bereiten.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Reinhard Kaiser-Mühlecker, "Magdalenaberg", Hoffmann und Campe
Link
Hoffmann und Campe - Magdalenaberg