Komponistin im Zwiespalt

Staatspreis an Olga Neuwirth

Eine Komponistin erhält die höchste künstlerische Auszeichnung der Republik: Olga Neuwirth wird mit dem Großen Österreichischen Staatspreis 2010 ausgezeichnet - die erste Frau in der Sparte Musik. Neuwirth selbst sieht die Auszeichnung "zwiespältig".

Neuwirth und Michel Kerbler über Kunst und Politik (2004)

Eine Komponistin erhält die höchste künstlerische Auszeichnung der Republik: Olga Neuwirth wird mit dem Großen Österreichischen Staatspreis 2010 ausgezeichnet - die erste Frau in der Sparte Musik. Mit Neuwirth wird eine kritische Künstlerin geehrt, die nicht nur ihr eigenes Metier, sondern politische und gesellschaftliche Positionen in Österreich kritisch betrachtet. Folgerichtig sieht Neuwirth selbst die Auszeichnung "zwiespältig".

Für Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ), die den mit 30.000 Euro dotierten Preis am 8. April in Wien überreichen wird, zählt sie "ohne Frage zu den führenden Komponist/innen weltweit. Sie ist eine Grenzüberschreiterin in mehreren Gebieten wie wenige andere Künstler".

Zwiespältige Reaktion der Komponistin

"Erstaunlich", "zwiespältig" und "natürlich eine Ehre" ist es für Neuwirth selbst, den Preis zu erhalten. "Wäre ich von Österreich abhängig gewesen, wäre ich keine Komponistin", sagte die Preisträgerin im Gespräch mit der APA.

Zwar habe es auch hierzulande "immer Ausnahmen gegeben, Menschen, die auch zu mir gestanden haben, als ich noch nicht bekannt war - und auf die werde ich auch in meiner Rede hinweisen", doch insgesamt: "Ich muss in Österreich, wahrscheinlich weil ich eine Frau bin, jedes Mal wieder beweisen, dass ich komponieren kann."

Jelinek erfreut

"Überglücklich" zeigte sich Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. "Ich hoffe, dass sie darüber auch die vielen Zurücksetzungen wenigstens kurz vergessen kann, die Österreich ihr angetan hat. Wie dem Werk fast aller Frauen", so die Autorin, die mit Neuwirth unter anderem bei "Bählamms Fest", dem "Sportstück", "Totenauberg" sowie bei "Lost Highway" zusammenarbeitete.

Zuversichtslose Generation

Sie müsse, hat Olga Neuwirth einmal gesagt, sich als freischaffende Künstlerin "einer zuversichtslosen Generation jeden Tag als Mensch und Künstler neu erfinden." Zu ihrer Arbeit gehöre beides: zu zweifeln und zu scheitern. Doch von außen betrachtet ist ein Scheitern der Künstlerin kaum wahrnehmbar. Das Gegenteil ist der Fall: die österreichische Komponistin hat seit ihrem aufsehenerregenden Debüt im Jahr 1991 - zwei Kurzopern nach Hörspieltexten von Elfriede Jelinek - einen fulminanten Aufstieg absolviert.

Paris, Salzburg, Luzern, Brüssel, Stuttgart, Essen, Donaueschingen, Wien, Graz: alle europäischen Kulturmetropolen von Rang sind an den eigenwilligen Kompositionen der Grazerin interessiert. Die konzertanten und kleineren multimedialen Werke Neuwirths werden bei den bedeutendsten Festivals aufgeführt.

Führende Kraft

"Indem sie da ist, gibt sie sich selbst frei zu kommen": So charakterisiert Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek die Musik von Olga Neuwirth, einer der erfolgreichsten Komponist/innen der jungen österreichischen Generation. Dabei konnte sie sich lange nicht entscheiden: "Möchte ich Filme machen, Maler sein oder möchte ich komponieren", so Neuwirth anlässlich ihres 40. Geburtstags im Jahr 2008. Film, Texte und die Bildende Kunst spielen im Werk der nun mit dem Großen Staatspreis geehrten Österreicherin - für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" "eine führende Kraft unter den avantgardistischen Tonsetzern ihrer Generation" - daher auch eine gewichtige Rolle.

Neuwirths kompositorische Tätigkeit ist von einem Lebensabschnitt geprägt, der sie "durch verschiedene Krankheiten und zwei Unfälle" auf das "mich verfolgende 'Hauptthema'" gebracht hat, wie sie zur Einleitung der Biografie "Zwischen den Stühlen" schreibt. Dieses Hauptthema sei der "Kampf zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen", so Neuwirth. Zum Komponieren ziehe sie sich zurück, sagte Neuwirth einmal in einem "Falter"-Interview. "Es ist ja alles schon in meinem Kopf, was ich schreiben will. Drum werden Komponisten wohl so schnell wahnsinnig."

Musikalische Familie

Olga Neuwirth wurde am 4. August 1968 in Graz geboren und wuchs in der Weststeiermark auf. Ihre Familie war sehr musikalisch: der Vater Jazzpianist und Lehrender an der Kunstuniversität Graz. Ihr Onkel, er ist Komponist und lebt in Deutschland, war zwischen 1972 und 1982 Lehrbeauftragter an der Hochschule für Musik in Graz. Jedoch sei es daheim nie um Musik gegangen.

Unfall beendet Trompeten-Karriere

Ab dem siebenten Lebensjahr erhält sie Trompetenunterricht. Nach einem Unfall, bei dem sie sich eine Kieferverletzung zuzieht, muss Olga Neuwirth das Trompetenspielen beenden. Sie ist damals 15 Jahre alt. Im Rahmen einer Jugendmusikwerkstatt mit Hans Werner Henze entdeckt Olga Neuwirth die faszinierende Welt der Komposition. Auf der Jugendmusikwerkstatt lernt sie auch die Schriftstellerin Elfriede Jelinek kennen, mit der sie bis heute zahlreiche Projekte umgesetzt hat.

1987 bis 1993 studierte Neuwirth Komposition an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Wien bei Erich Urbanner, ebenso studierte sie am Conservatory of Music, am Art College (beide San Francisco) und in Paris. 1998 wurde sie in zwei Porträtkonzerten bei den Salzburger Festspielen präsentiert.

Erfolge und Absagen

Das erste abendfüllende Musiktheaterwerk, "Bählamms Fest" (Libretto: Elfriede Jelinek nach Leonora Carrington), wurde 1999 bei den Wiener Festwochen uraufgeführt. Die Zusammenarbeit mit Jelinek wurde bei Theatermusiken unter anderem zu "Sportstück" und "Totenauberg" sowie bei "Lost Highway" nach dem gleichnamigen Film von David Lynch (Libretto: Elfriede Jelinek und Olga Neuwirth), uraufgeführt beim steirischen herbst 2003, fortgesetzt.

Doch die Uraufführung eines weiteren Projektes, "Der Fall Hans W.", wurde wiederholt wieder abgesagt, zuerst aus finanziellen Gründen von den Salzburger Festspielen und dann auch vonseiten der Staatsoper. Auch um einen angeblichen Auftrag der Wiener Festwochen gab es Querelen. Im Textband "Olga Neuwirth. Zwischen den Stühlen" ist ein eigenes Kapitel den nicht realisierten Projekten Neuwirths gewidmet.

Kritik an der Aufführungspraxis

Wiederholt übte Neuwirth Kritik an der Aufführungspraxis ernster Musik und der Rolle zeitgenössischer Komponisten: Die "ernste zeitgenössische Musik" stehe am Rande der Gesellschaft, während der "Tanz um das goldene Kalb" bereits in vollem Gange sei. "Wir sind in einer Welt der gehypten Gegenständlichkeit und des 'Starmania'-Kults meist die ersten Opfer eines nur noch auf Effizienz und Auslastungszahlen ausgerichteten Denkens", so Neuwirth 2003 zur Eröffnung des steirischen herbstes. "Man hat unglaublich Angst vor der Musik des Jetzt", sagte Neuwirth anderswo in einem Interview über den Musiktheaterbetrieb. Doch Komponieren sei ihre Leidenschaft, und deshalb müsse sie damit leben.

Die Auseinandersetzung mit Texten spielt in Neuwirths Werk eine ebenso gewichtige Rolle wie ihre enge Verbindung zum Film, mit dem sie sich auf verschiedenste Arten auseinandersetzt: Neben der "Lost Highway"-Adapation, die auch in New York und in Großbritannien zu sehen war, komponierte sie mehrere Filmmusiken, zum Beispiel die zwar stark reduzierte, aber aus dem Gesamteindruck herausstechende Filmmusik zu "Das Vaterspiel" von Michael Glawogger.

Documenta-Teilnahme

Ihre Teilnahme bei der documenta12 in Kassel bestand aus einer Klanginstallation mit Film. 2009 wurde "Undine geht" zu der bekannten Erzählung von Ingeborg Bachmann (1961) in einer aus den 60er Jahren stammenden Schnellbahngarnitur uraufgeführt.

Vor dem Großen Österreichischen Staatspreis erhielt Neuwirth zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Heidelberger Künstlerinnenpreis, die Ernennung zum Mitglied der Akademie der Künste Berlin, den Paul Hindemith-Preis und kürzlich den Louis Spohr Musikpreis der Stadt Braunschweig.

Reaktionen der Politik

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hat seine "große Freude" über die Zuerkennung des Großen Österreichischen Staatspreis an Neuwirth zum Ausdruck gebracht. Er übermittelte in einer Aussendung seine "herzlichen Glückwünsche". Mit Neuwirth werde das Schaffen einer "international vielbeachteten österreichischen Komponistin geehrt, die nicht nur in der Musik, sondern auch in anderen Bereichen, wie etwa als Film- und Performancekünstlerin spannende Akzente gesetzt hat".

"Sie verfügt über differenzierte Kenntnisse in der Bildenden Kunst, dem Film, der Neurowissenschaften und der Philosophie", begründete Ministerin Claudia Schmied die Entscheidung. "Ihre Musik ermöglicht eine Entdeckungsreise in unbekannte Zeit- und Raumzonen." Gleichzeitig freue sie sich über eine "wichtige öffentliche Ankerkennung für das kreative Schaffen von Frauen". Angesichts der wenigen Frauen in der Liste der Staatspreisträger - Neuwirth ist die zehnte - sei diese Entscheidung ein Signal in eine "nicht unwesentliche Richtung", kommentierte auch ÖVP-Kultursprecherin Silvia Fuhrmann die Zuerkennung "mit großer Freude". Die Republik ehre "eine beeindruckende und facettenreiche Künstlerpersönlichkeit".

Service

Buch, Stefan Drees (Hg.), "Olga Neuwirth. Zwischen den Stühlen", Pustet