Freude an den Wörtern

Über die Unsterblichkeit

Arno Schmidt zählt zu den profiliertesten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Wer sich etappenweise, in kleinen Betrachtungen und essayistischen Meditationen auf Arno Schmidt einlassen möchte, kann mit diesem Band die Gelegenheit ergreifen.

Es muss über alle Maßen entsetzlich gewesen sein, in Weimar zu leben.

Dieser gleichermaßen ernst wie humorvoll gemeinte Satz ist bei Arno Schmidt nachzulesen. Bekannt ist dieser Schriftsteller für seine besonderen inneren Sprachbühnen und man zählt ihn nicht zuletzt deshalb zu den profiliertesten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Schmidt hat Eigensinn und Spracheifer in seinem Hauptwerk "Zettels Traum" auf die Spitze getrieben. Nur wenige konnten dabei seinem enzyklopädischen Geist und der Akribie zur Spracherneuerung gleichzeitig folgen. Wer sich aber etappenweise, in kleinen Betrachtungen, Erzählungen, essayistischen Meditationen auf Arno Schmidt neu einlassen möchte, der kann nun die Gelegenheit ergreifen und in dem soeben im Suhrkamp Verlag erschienenen Buch "Über die Unsterblichkeit" als Leser fündig werden.

Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen hat den Band Jan Philipp Reemtsma, Professor für Literaturwissenschaft und im Vorstand der Hamburger Arno Schmidt Stiftung. Alle hier vorgestellten Texte, es sind 23 an der Zahl, stellen eine gelungene Mischung aus Erzählungen und Essays dar, die uns diesen Autor wieder in Erinnerung rufen. Reemtsma ist es geglückt, die sprachliche und denkerische Akrobatik Arno Schmidts in dieser Sammlung vorzustellen, ohne einen belehrenden Nachgeschmack zu hinterlassen. Exkurse etwa in Reemtsmas Nachwort zu Elias Canettis "Masse und Macht" und Ernst Blochs Gedanken über die Wirkkraft des Christentums lohnen sich in jeder Hinsicht und verschaffen diesem Text ein stabiles Korsett.

Respektloser Umgang mit Autorität

Was sich beim Lesen von Arno Schmidt einstellt, das ist die reine sinnliche Freude an den Wörtern, am Umgang mit ihren Bedeutungshöfen und natürlich ist auch das Thema ertragreich denkerisch anstoßend; dass man lesend in die Geheimnisse der Endlichkeit eingeweiht wird, ohne es bemerkt zu haben, hat etwas von unangestrengter Zauberkunst an sich.

Besonders beschwingt macht Schmidts respektloser Umgang mit Autorität; seine Deutung etwa des Historikers Johannes von Müller wirkt sehr erfrischend. Dabei zeigt Schmidt, dass der 1752 geborene und 1809 gestorbene von Müller eigentlich ein Schriftsteller war. Die Auszüge aus dessen Schriften gleichen kleinen Erleuchtungen. Immer wieder gelingt es Arno Schmidt an überraschenden Stellen, den Leser zum Wundernden zu machen. So schafft er es, jenes geheimnisvolle Moment herzustellen, in dem klar wird, dass sich gerade nicht die Unwissenden wundern können, sondern dass es vor allem die Wissenden sind, die das Handwerk des Wunderns neu erlernen müssen.

Das Genie beiseite lassen

Neu, das heißt bei Schmidt notwendigerweise, dass man bereit sein muss, ein Amateur zu sein oder, wenn man es nicht ist, es dann doch bald zu werden. Ein Plädoyer für Liebende also, die sich vom Begriff des Genius nicht locken lassen dürfen. Dazu heißt es an einer Stelle:

Also das Genie lassen wir mal ganz beiseite; das beißt sich ja, nach beliebter Theorie, von selbst durch. Die durchdringende Frage heißt hier ja vielmehr: Was soll der Gute Amateur, der am Genie Verhinderte, tun? Die Frage begegnet recht häufig, und ist ein gutes Zeichen für den, der sie stellt. Noch ist "Der Funke" in ihm lebendig.

Damit sei der ehrenhafte Menschenwunsch verbunden, so Schmidt, über sich selbst hinaus zu nützen, möglichst ins nächste Jahrhundert hinein. Er könne aber nur andeuten, dass hinter jedem angetippten Themenkreis Tausende stehen, die vom Genius nicht zu erledigende, dennoch unbedingt benötigte Einzelaufgaben und Vorarbeiten zu leisten haben.

Goethe auf der Rolltreppe

Ton und Sprache dieser Texte haben stets etwas Schelmisches an sich. Allerdings zeigt sich dieser Autor dabei immer auch als Wissen verarbeitender und nach Wissen hungernder Sprachforscher, als einer, der die Bäuche der Wörter abklopft nach anderen, unbekannten Bedeutungen sucht. Manchmal scheint es, als finde Schmidt in allem Endlichen eine Offenbarung. Nicht in der Unsterblichkeit des Menschen liegt das Gute oder die Hoffnung, sondern in der Unendlichkeit seines Geistes. Jemand, der sich auf diese Art als Zuarbeiter des Ganzen versteht, kann Autoritäten nur respektlos begegnen.

Vor Schmidt hat niemand versucht sich Goethe auf einer Rolltreppe vorzustellen. Und über die Auferstehung notiert er: "Wenn ich tot bin, mir soll mal Einer mit Auferstehung oder so kommen: ich hau ihm eine rein."

In seinem klugen Nachwort erläutert Jan Philipp Reemtsma den hier wirkenden Geist Lessings. Trotz Lessing, hatte Schmidt einst geschrieben, sei die Ewigkeit nicht unser. "Lernt und beschreibt", heißt es bei Schmidt, "zukunftet nicht: seid." Natürlich kann es für einen, der so etwas schreibt, keinen Trost in der Unsterblichkeit geben. Diese ist, schreibt auch der Herausgeber, selbstverständlich "ein Fluch". Das Diesseits wird deshalb vom Jenseits aufgesucht, Goethe beispielsweise, geht einen taglang auf der Erde herum. Auf die Frage Goethes, ob man seine Werke noch lese, antwortet man ihm mit einem klaren Nein. Wie Reemtsma luzide ausführt, handelt es sich bei diesem fiktiven Denkspaziergang um eine Unterhaltung zwischen Goethe und Schmidt. Es gerät, so Reemtsma weiter, zur Parodie.

Wer erfahren will, auf welche Weise dies geschieht, der lese dieses Buch. Dabei wird er beispielsweise manches Nützliche über das Leben der Unsterblichen erfahren, das, notiert Reemtsma, keineswegs paradiesisch ist, sondern langweilig.

Service

Arno Schmidt, "Über die Unsterblichkeit", Erzählungen und Essays, herausgegeben von Jan Philipp Reemtsma, Suhrkamp Verlag

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