Ein zerrissenes Land
30 Jahre Krieg am Hindukusch
Seit dem Einmarsch der Sowjets kennt Afghanistan vor allem Krieg und Besatzung. Nach dem Abzug der Sowjets kam es zum Bürgerkrieg, danach übernahmen die Taliban die Macht und nun versuchen internationale Truppen, Stabilität zu schaffen.
8. April 2017, 21:58
Im Ort Baghlan-e Jadeed im Norden von Afghanistan sitzen die Dorfbewohner beisammen - die Männer in einem Raum, die Frauen in einem anderen, denn es ist nicht üblich, dass Frauen sich in eine Runde fremder Männer mischen.
Ziel der Zusammenkunft ist es, einen Entwicklungsplan für den Ort aufzustellen und sich über die Prioritäten zu einigen. Der Staat stellt eine bestimmte Summe zur Verfügung, einen Teil müssen die Dorfbewohner selbst aufbringen. So sieht es das Nationale Solidaritätsprogramm (NSP) vor, das die Gemeinden beim Wiederaufbau unterstützen und die Armut im Land verringern soll.
Ein nationales Entwicklungsprogramm soll die Not lindern
Viele Jahre Krieg - zunächst die Invasion der Sowjets 1979 und der Kampf der Mudschaheddin gegen die Besatzer, dann nach dem Abzug der Sowjets 1989 der Bürgerkrieg zwischen den Mudschaheddin-Gruppen von 1992 bis 1996 und schließlich die Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 haben überall Spuren der Zerstörung und tiefe Not hinterlassen. Nach dem Sturz der Taliban wurde mit Hilfe der internationalen Gebergemeinschaft ein umfassendes nationales Entwicklungsprogramm erarbeitet, zu dem auch das NSP gehört.
In den Dörfern sollen nun demokratisch gewählte Dorf-Entwicklungsräte gebildet werden, die mit anderen Regierungsstellen, NGOs und Gebern zusammenarbeiten. In Baghlan-e Jadeed entscheidet sich die Dorfgemeinschaft zunächst für eine Stromversorgung mittels Solarzellen auf den Hausdächern.
Flächendeckende Entwicklung fehlt
Durchgeführt wird das NSP, wie derzeit die Mehrheit aller Programme in Afghanistan, mit Unterstützung internationaler Organisationen. Die Liste der in Afghanistan tätigen Organisationen sowie der Entwicklungsprojekte in allen Bereichen ist lang und umfasst unter anderem Programme für Kinder und Frauen über Bildung und Gesundheit, Landwirtschaft und den urbanen Raum, Mikrokredite, Rechtswesen und Menschenrechte.
Dennoch ist die Stimmung zu Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Hamid Karzai gedämpft. Afghanistan bräuchte eine flächendeckende Entwicklung, sagt ein Experte, doch davon ist das Land trotz zahlloser Einzelprojekte weit entfernt. Viele Afghanen haben in ihrem Umfeld noch nichts von den Entwicklungsbemühungen gemerkt, sie fragen sich, wohin die Milliarden US-Dollar geflossen sind, die Afghanistan laut offiziellen Informationen seit 2002 erhalten hat.
Wo landet das Geld der Entwicklungshilfe?
Wie viel haben sich korrupte afghanische Politiker angeeignet? Wie viel kostet die Präsenz aller westlichen Experten, und wie viel Geld geht zu den Menschen an die Basis? Wie viel verschlingt der Krieg gegen die Taliban, die noch immer große Teile im Süden kontrollieren und in jüngster Zeit auch in Nordafghanistan wieder erstarkt sind?
Ohne die Präsenz der internationalen Gemeinschaft hätte Afghanistan wohl nicht einmal einen Ansatz von Demokratie, sind sich viele Afghan/innen einig - und zweifeln doch zugleich an der internationalen Strategie für Afghanistan, die von Anfang an viel zu wenig Mitbestimmung der Afghanen zugelassen habe.
Keine schnelle Lösung möglich
"Quick fix" - eine rasche, allzu rasche Lösung hätten die USA ab Ende 2001 angestrebt: Sie wollten schnell die Taliban ausschalten, eine dünne Schicht Demokratie über das Land legen und dann abziehen.
Acht Jahre später steht fest: Um in Afghanistan ein funktionierendes demokratisches Staatswesen und eine stabile Wirtschaft (ohne Drogen) aufzubauen, benötigt man einen langen Atem.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 8. Februar bis Donnerstag, 11. Februar 2010, 9:05 Uhr