Günter Wallraff im Interview
Schwarz auf Weiß
Er recherchierte den Alltag in Callcenters, arbeitete als Niedriglöhner in einer Fabrik, verbrachte als Obdachloser die kältesten Tage auf der Straße und erkundet in seinem Film "Schwarz auf Weiß" als Afrikaner die Lebensbedingungen vor Ort: Günter Wallraff.
8. April 2017, 21:58
Für seine letzte Recherche hatte sich Günter Wallraff mit Hilfe einer Maskenbildnerin zu dunkler Hautfarbe und schwarzem Kraushaar verhelfen lassen. Ausgerüstet mit Mikrofonen und einer Minikamera macht er auf den alltäglichen Rassismus aufmerksam. Ein Kamerateam begleitete ihn unauffällig.
In Köln scheitert er bei dem Versuch, eine Wohnung anzumieten, in Cottbus wird er von Fußball-Fans angepöbelt. Er ist unerwünscht auf dem Campingplatz, in einer Wandergruppe und in Lokalen und muss sich Sprüche wie "Afrika für Affen, Europa für Weiße" oder "Du bist ein Neger" anhören. Die Abneigung gegen Schwarze, die ihm in Ost und West gleichermaßen heftig begegnete, hat ihn auch "sehr überrascht", sagte Wallraff.
APA: Wie kam es zu der Idee für die Rolle des Kwami Ogonno?
Günter Wallraff: Ich suche mir immer fremde Identitäten aus, weil der Fremde der Gradmesser ist für die Demokratie in einer Gesellschaft. Ich hatte schon immer vor, in der Rolle eines Schwarzen zu leben - schon während der Apartheid in Südafrika. Ich war bereits vorbereitet, dann kam Mandela frei - und ich war einerseits erleichtert, andererseits war es wie eine Frühgeburt. Dann wollte ich als Bootsflüchtling von Afrika zu den Kanaren kommen, fand aber keinen Schlepper, den man hätte einweihen können. Aber so habe ich viele schwarze Freunde kennengelernt, auch viele schwarze Deutsche, die mir von ihren Erfahrungen erzählt haben, von Diskriminierung, von Fremdenhass, von Alltags-Rassismus. Und so wurde ich Kwami Ogonno, für ein Jahr.
Läuft man, wenn man "den Fremden" spielt, nicht Gefahr, dass man Vorurteile selbst inszeniert, dass man ein Stereotyp verkörpert?
Ich bin so dahergekommen, wie ich auch sonst daherkomme. Ich war freundlich, zuvorkommend, wie es so meine Art ist. (...) Das Einzige, was ich an mir verändert habe, ist die Hautfarbe und die Haarpracht. Ich sah vorteilhafter aus, zehn Jahre jünger. Und wer ist denn schon ein "echter Schwarzer", wie verhält er sich? Ich habe in einem Asylheim in München gelebt, die hielten mich alle für einen von ihnen. Ich habe Normalität hergestellt, Anschluss gesucht, wie ich es selbst tun würde und noch ohne, dass ich irgendwie aktiv wurde, bereits Ablehnung und Spott erfahren.
Kwami versucht in den Filmszenen, verschiedenen Vereinen - Kleingarten, Sporthunde - beizutreten, sich also zu integrieren, und man verweigert es ihm. Was kann man daraus für Erkenntnisse für eine realpolitische Integrationsdebatte ableiten?
Das hängt mit dem Selbstverständnis einer Gesellschaft zusammen. Selbst konservative Politiker gestehen ein, dass wir ein Einwanderungsland sind und Einwanderer brauchen. Die müssen integriert werden, aber wie man in meinem Film sieht: man lässt sie nicht, auch wenn sie es wollen und sehr gut Deutsch sprechen. Was der Integration im Weg steht ist, dass etwa ein Drittel der Deutschen eine ausländerfeindliche Einstellung haben. Das ist nicht die Mehrheit, aber die anderen halten sich raus, denen fehlt meist die Zivilcourage. Sie müssen sich vorstellen: Wir mussten ja von allen, die wir gezeigt haben, die Einwilligung holen. Und die haben sie uns gegeben - in ihren Kreisen war das für sie nicht von Nachteil.
Hat die Rolle Sie verändert?
Weniger als andere Rollen, weil die Arbeitssituation fehlte. Aber es war schon so, dass ich auch wenn ich abgeschminkt war und abends durch die Straßen lief, möglichst unauffällig war, die Straßenseite gewechselt habe, wenn da eine Gruppe von Glatzköpfen war. Ich träumte in der Rolle. Vor allem aber habe ich viele Freunde gewonnen, vor allem unter schwarzen Deutschen. Und habe so viele Erfahrungen, Aufzeichnungen, Tagebücher bekommen, mit ähnlichen und schlimmeren Geschichten. Ich überlege da vielleicht noch einen Fortsetzung zu machen, denn die haben ja eine viel größere Berechtigung, ihre Erfahrungen zu veröffentlichen.
Als Kwami wurden sie nie erkannt?
Jedenfalls nie von anderen Schwarzen, da gab es kein Misstrauen. Aber gleich am zweiten Tag wurde ich erkannt, als ich ein Auto probefahren wollte. Zum Glück stellte sich heraus, dass der Mann meine Arbeit kannte und schätzte und er versprach, mich nicht zu verraten.
In Deutschland hat der Film und Ihr jüngstes Buch "Aus der schönen neuen Welt" eine ziemliche Debatte ausgelöst...
Ich habe in der Bevölkerung inzwischen einen ziemlichen Vertrauensvorschuss. Die Leute kommen von alleine zu mir und vertrauen sich an - von der Deutschen Bahn bis zuletzt Starbucks. Dann nämlich, wenn Leitende zu Leidenden werden. Ich habe so viele Unrechtfälle liegen, die kann ich gar nicht alle berücksichtigen. (...) Auch die Gerichtsfälle bleiben inzwischen aus, wahrscheinlich hat sich herumgesprochen, dass ich alle gewonnen habe. Das ist aber nicht nur positiv, denn ein zynischer Leitsatz unserer Gesellschaft lautet ja: Erfolg gibt recht. Da muss ich auch aufpassen, dass mich nicht die Falschen vereinnahmen. Aber solange mich die "Bild"-Zeitung noch als Feind sieht...
service
Günter Wallraff, "Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere", KiWi Taschenbuch
Günter Wallraff
X-Verleih - Schwarz auf Weiß