Dritter Teil der "Underworld USA"-Trilogie

Blut will fließen

Böse Ex-Cops, süchtige Killer, feige FBI-Informanten und korrupte Politiker - der letzte Teil der "Underworld USA"-Trilogie von James Ellroy blättert das Amerika der 1960er Jahre auf - und weicht dabei deutlich von der offiziellen Geschichtsschreibung ab.

Manchmal ist es ganz aufschlussreich, einen hartgesottenen Polit-Thriller und einen Roman purer Innerlichkeit gleichzeitig zu lesen. Ellroy und Pessoa - Gegensätze wie sie größer nicht sein könnten. Der Amerikaner beschreibt hechelnd eine Welt, in der die Fetzen fliegen. Bei Pessoa hingegen scheint sogar die Zeit geronnen, denn es ereignet sich nichts. Mal regnet's. Mal lärmen die Nachbarn. Mal fällt ein Staubkorn. Es gibt keinen größeren Kontrast zu "Blut will fließen" als Pessoas "Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Fernando Soares".

Aber, erklärt James Ellroy, der Gegensatz sei nur ein vermeintlicher. Denn es gäbe keinen weltabgewandteren Menschen als ihn. Er sei wie der Hilfsbuchhalter Pessoas, bevor er seine Romane schreibe: liege im Dunkeln, denke nach. In absoluter Stille. Das sei seine Methode, sich zu konzentrieren. Am Ende nehme er all seine Aggression zusammen, und davon habe er eine Menge, all seine Angst, die gewaltig sei, und packe sie in sein nächstes Buch.

Zur Erklärung muss an dieser Stelle Ellroys "famous story", wie er sie nennt, eingeschoben werden. Als er zehn war, wurde seine Mutter vergewaltigt und erdrosselt. Allein auf sich gestellt wurde er - zunächst - zum manischen Krimileser, dann zum Drogensüchtigen und zum Kleinkriminellen. Ellroy saß über 30 Mal im Gefängnis. Dass er es geschafft hat, sich schließlich in einen manischen Schriftsteller zu verwandeln, hat ihm das Leben gerettet.

Schwer angeschlagene Typen

Eine der Figuren in "Blut will fließen" ist ziemlich nah an der Biografie Ellroys, der Gelegenheitsdetektiv Don Cruchfield: auch er ein mutterloser Geselle, ein Spanner, aber einer, der kaum sprechen kann, dafür aber Kommunisten im Dutzend killt. Cruchfield, gefragt, warum er all diese verrückten Sachen mache, antwortet: "Damit die Frauen mich lieben". Und Ellroy schreibt aus dem gleichen Grund.

Fraglich, ob sie ihn wegen seines neuen Romans lieben werden. Denn Ellroys Helden sind irrsinnige Männer, schwer angeschlagene Typen, die ihre Traurigkeit mit Gewalt übertönen. "Blut will fließen" enthält schätzungsweise 200 blutige Morde in Nahaufnahme, Action nonstop auf mindestens zehn Bühnen in mehreren Ländern. Ein fieberhaftes Schusswaffen- und Wortgeratter über bald 800 Seiten.

Keine überflüssigen Worte

Ellroy, der übrigens seine Trilogie "Underworld USA" nirgendwo so gut verkauft wie in Frankreich, mag schnelle Geschichten ohne überflüssige Worte. Er hasst es, wenn Charaktere erklärt werden, statt sich durch ihre Taten zu offenbaren. Oder wenn Figuren nur als Sprachrohre des Autors fungieren. Er schreibe umfangreiche Bücher, sagt Ellroy, und zwar auf zwanghafte Weise über zwanghafte Leute. Denn er sei ein zwanghafter Mensch.

Im Zentrum des 1964 bis 1972 spielenden Romans "Blut will fließen" stehen der FBI-Agent Dwight Holly, der Privatdetektiv Cruchfield und der Ex-Polizist Wayne Tedrow, alles gestandene rechte Schwarzen-, Homos- und Linkenhasser. Sie dienen mächtigen Männern, Männern, die Martin Luther King umbringen ließen und die beiden Kennedys. Schlüsselfiguren aus der tatsächlichen Geschichte sind Geheimdienstchef Edgar Hoover und Howard Hughes, der steinreiche Besitzer diverser Fluggesellschaften, der den Ku-Klux-Clan finanziert, weil er sich vor ansteckenden Schwarzen fürchtet. In dem Roman "Blut will fließen" wird er mit den Worten zitiert:

"Las Vegas ist eine Brutstätte von Neger-Bakterien. Neger haben einen hohen Leukozyten-Anteil. Man sollte ihnen nie die Hand reichen. Sie geben Eiterpartikel durch die Fingerspitzen ab."

Ähnlich der Wirklichkeit

Ellroy sagt, ihn interessiere nicht, was wahr ist und was erfunden. In seinen Büchern verwische er die Grenzen, und zwar nahtlos. Er schaffe eine der Wirklichkeit ähnliche Welt. "In Blut will fließen" sei das ein Amerika, in dem jeder bereit sei, an Verschwörungstheorien zu glauben. Und er gebe den Leuten eine Verschwörungstheorie.

James Ellroy mischt historisches Personal mit erfundenem. Wie in all seinen Romanen schreibt der 62-Jährige auch in "Blut will fließen" die US-Geschichte um, diesmal die der dramatischen Zeitspanne zwischen Vietnamkrieg-Demos und Watergate.

"Blut will fließen" ist ein atemberaubendes Monster von Roman. Ein Roman wie ein Hurrikan - und im Zentrum das windstille Auge. Da liegt James Ellroy in seinem abgedunkelten Zimmer. Staub fällt. Doch Ellroy hat Wichtigeres im Kopf. Er will seine Pflicht gegenüber Gott erfüllen. Und der will von ihm noch fünf weitere gewaltige Bücher.

Service

James Ellroy, "Blut will fließen", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Stephen Tree, Ullstein Verlag