Wer ist die Dame auf dem Bild?

Abschied von Mona Lisa

Das Lächeln der "Mona Lisa" beschäftigt auch 500 Jahre nach dem Entstehen des berühmten Bildes die Historiker. Die Identität der porträtierten Dame glaubt Roberto Zapperi nun geklärt zu haben. Zumindest hat er eine neue Vermutung gefunden.

Die Frage, wer denn auf dem wohl berühmtesten Gemälde der Welt abgebildet ist, beschäftigt auch 500 Jahre nach dessen Entstehung noch immer die Forscher. Giorgio Vasari, der erste Biograf der neuzeitlichen Kunstgeschichte, erklärte im 16. Jahrhundert, dass Leonardo nach seiner Rückkehr nach Florenz, also in den Jahren zwischen 1500 und 1506, eine gewisse Lisa del Giocondo, die dritte Gemahlin des Florentiner Kaufmanns und Seidenhändlers Francesco di Bartolomeo di Zanobi del Giocondo, gemalt habe.

Die meisten Kunsthistoriker haben sich mit Vasaris Erklärung zufrieden gegeben, und deshalb heißt das undatierte und unsignierte Porträt im deutschen Sprachraum nach dem Vornamen der Frau - Mona Lisa - und im Italienischen und Französischen nach deren Nachnamen: La Gioconda oder eben La Joconde.

Die Frau des Seidenhändlers?

Roberto Zapperi hält Vasaris Beschreibung für unzutreffend. Seine Hauptkritik:

Francesco del Giocondo war ein Seidenhändler, der sich durch Wucher bereichert hatte, indem er an verschiedenste Leute Geld gegen unmäßig hohe Zinsen auslieh. In gesellschaftlicher Hinsicht war er eine bescheide Figur, weit entfernt von den großen florentinischen Familien wie den Medici.

Alleine schon aus diesem Grund sei es unwahrscheinlich, so Zapperi, dass das berühmte Gemälde die Frau dieses Mannes zeige. Der Kunsthistoriker ist überzeugt, dass Leonardo ganz zu Beginn seiner Rückkehr nach Florenz ein kleines Porträt der Dame fertigte. Da hatte er kein Geld und war auf solche Aufträge angewiesen. Aber diese kurze Periode endete bereits nach eineinhalb Jahren - im Frühjahr 1501. Dann unterbrach er die Arbeit an dem Porträt der Frau des Kaufmanns und deshalb wurde es niemals fertig gestellt. Davon ist Zapperi überzeugt.

Eine unbekannte Florentinierin?

Aber wenn auf dem Bild nicht Lisa del Giocondo zu sehen ist, wer dann? Auf die Spur der Lösung brachte Zapperi der Reisebericht eines gewissen Antonio de Beatis. Der reiste 1517 als Begleiter des Kardinals Luigi d'Aragona durch Frankreich.

Der Kirchenmann traf am 10. Oktober 1517 Leonardo im Landschloss Clos Lucé, wo er als Hofkünstler des französischen Königs Franz I. lebte. Da Vinci zeigte dem durchreisenden Kardinal drei Gemälde. Eines davon sei das berühmte Frauengemälde gewesen, so Zapperi. Und Da Vinci sagte dem Kardinal, dass es sich um das Bildnis einer ihm unbekannten Florentinerin handle, die dem verstorbenen Giuliano de Medici offenbar sehr wichtig gewesen war.

Dass hier nicht dessen Gemahlin dargestellt war, verstand sich von selbst, denn es war ja bekannt, dass er mit Filiberta von Savoyen verheiratet gewesen war, die jetzt am französischen Hof lebte, wo der Kardinal ihr vor kurzem seine Aufwartung gemacht hatte. Leonardo kannte die Identität der Dargestellten offenbar nicht, wie sie auch der Kardinal nicht kannte, denn sonst hätte er keine Erklärung gebraucht.

Oder die Mutter des Ippolito?

Welche Frau aber könnte Guiliano de Medici so wichtig gewesen sein, dass er den großen Leonardo da Vinci beauftragt hätte, ein Porträt von ihr zu malen? Zapperi findet die Erklärung im ausschweifenden Leben des Sohnes von Lorenzo dem Prächtigen und dem Bruder von Papst Leo X. Denn im Hause Medici waren Mätressen nichts Außergewöhnliches. Und auch uneheliche Kinder waren es nicht.

Aus einer dieser kurzfristigen Liebschaften entsprang im April 1511 ein Sohn, der Ippolito genannt wurde. Seine Mutter war Pacifica Brandani, die - weil sie verheiratet war - das Kind in einem Findelhaus in Urbino abgab. Nachdem de Medici erfuhr, dass er einen Sohn bekommen hatte, nahm er ihn zu sich. Ippolito sehnte sich sehr nach seiner Mutter, die er niemals sah, und de Medici ließ - das ist also die These von Roberto Zapperi - für seinen Sohn ein idealisiertes Bild der Mutter anfertigten. Als Leonardo da Vinci das Bild malte, war die Frau schon tot und er musste sich auf die Beschreibung von Giuliano de Medici beschränken.

Leonardo hatte sehr gut begriffen, was Giuliano von ihm verlangte, und widmete sein Werk dem großen Thema der Mutterschaft. Er wollte mit dem Lächeln die tröstende, aber auch melancholisch verschattete Liebe der Mutter zu ihrem Kind darstellen und malte das traurige Lächeln einer Frau, die weiß, dass keine Vereinigung mit ihrem Kind mehr möglich ist.

Auch nur Spekulationen

Roberto Zapperis Ausführungen sind schlüssig. Aber auch sie fußen auf Spekulationen. Überliefert ist, dass der kleine Ippolito sich nach seiner Mutter sehnte. Aber ob das wirklich Anlass genug war für de Medici, ein Bild in Auftrag zu geben, das kann man glauben oder auch nicht. Problematischer als die Schlussfolgerung ist auf jeden Fall der Aufbau des Buches. Denn zur Erklärung seiner These benötigt Zapperi nur wenige Seiten. Den Rest füllt er mit langen Abhandlungen über das Leben von Giuliano de Medici, die mit dem eigentlichen Problem wenig bis gar nichts zu tun haben.

"Abschied von Mona Lisa" wird aber auf jeden Fall die Diskussion um die Frage, wer denn auf dem Gemälde zu sehen ist, neu anheizen. Und eines lässt sich jetzt schon mit Sicherheit sagen: Endgültige Gewissheit wird es darüber nie geben. Vielleicht ist das ja der Grund für das verschmitzte Lächeln.

Service

Roberto Zapperi, "Abschied von Mona Lisa", aus dem Italienischen übersetzt von Ingeborg Walter, Verlag C. H. Beck

C,. H. Beck - Abschied von Mona Lisa