Einzigartiges im Interpretationsvergleich

Ein tönendes Mysterium

"Es ist rätselhaft, es ist vollendet ... Ein tönendes Mysterium" - Schuberts Streichquintett C-Dur, D 956 ist eine wahrlich einzigartige Komposition. Drei neue Aufnahmen des Werkes sind in den vergangenen zwei Jahren erschienen.

Acies Quartett und Belcea Quartett im Vergleich

Oft werden Joachim Kaisers Worte zu Schuberts Streichquintett zitiert: "Es ist rätselhaft, es ist vollendet ... Das Werk nimmt einen singulären Platz in Schuberts Schaffen, ja gar in der Musikliteratur ein ... es ist ein tönendes Mysterium." Ähnlich wie einige andere Kammermusikwerke aus der Feder Schuberts überragt schon die Länge von Schuberts Streichquintett (je nach Aufnahme zwischen zirka 52 und 62 Minuten) die Vorläufer dieser Kammermusik-Gattung.

Das Streichquintett in C-Dur hat Vorläufer: Mozart und Beethoven haben Streichquintette komponiert, allerdings war die Besetzung hier eine andere: zwei Violinen, zwei Bratschen, ein Cello. Diese klassische Besetzung des Streichquintetts ändert Schubert (wie es nur Boccherini vor ihm getan hat) in zwei Violinen, eine Bratsche, zwei Celli. Und wieso ist das erwähnenswert? Weil Schubert mit verschiedenen Kombinationen dieser sechs Streicher experimentiert: Er lässt die beiden Celli in hoher Lage duettieren, er lässt ein Cello mit einer Geige duettieren, das zweite Cello im Bass begleiten, er komponiert einen Dialog im pizzicato zwischen einer der Geigen und einem der Celli und so weiter.

Über den zweiten Satz (Adagio) schreibt der Musikforscher Arnold Feil: "Vielleicht das geheimnisvollste Stück, das Schubert je geschrieben hat".

Todesahnungen?

Schuberts Streichquintett ist 1828 zwei Monate vor seinem Ton entstanden. Todesahnungen diesem Werk zu unterstellen, sind wilde, romantische Spekulationen der Nachwelt. Dieses Werk wirkt aber schon deshalb so rätselhaft, unbegreiflich oder mysteriös, weil es keine vergleichbaren Stücke gibt: Beethovens letzte Streichquartette (kurz davor entstanden) klingen vollkommen anderes, die Streichquintette Boccherinis sind noch viel mehr dem klassischen Vorbild verpflichtet (und divertimentoartiger) als Schuberts Quintett.

Auch spätere Streichquintette eines Mendelssohn oder Brahms sind nicht vergleichbar: lange Melodiebögen, überraschende Stimmungswechsel und außergewöhnliche Klangfarben durch extravagante Kombinationen der sechs Streicher. Und vor allem: Schubert versteht es, immer neue Melodien förmlich aus dem Hut zu zaubern, plötzlich sind sie da und erscheinen weder vollkommen neu und überraschend noch altbekannt - sie ergeben sich irgendwie ganz selbstverständlich aus dem Vorangegangenen, als könnte es gar nicht anders sein.

Drei neue Aufnahmen
Drei der (man verzeihe den abgegriffenen Ausdruck) Spitzen-Spitzenstreichquartette der Gegenwart haben (jeweils verstärkt durch einen zweiten Cellisten) Schuberts Streichquintett unlängst aufgenommen: Acies Quartett (mit David Geringas), Belcea Quartett (mit Valentin Erben) und Artemis Quartet (mit Truls Mork).

Die Unterschiede dieser drei Aufnahmen liegen nicht in der Qualität, sondern im Klangcharakter, der Dynamik, der Artikulation, ein wenig auch im Tempo. Am meisten fällt allerdings zunächst der sehr viel "halligere" Klang der Aufnahme des Acies Quartetts auf - ein Produkt der Aufnahmetechnik, das auf Kosten der Transparenz geht. Außerdem im Klang manchmal kompromisslos rau, akzentuiert, hie und da für manche Ohren vielleicht zu hart: das Acies Quartett. So klingt das markante Staccato-Thema aus dem ersten Satz hier fast ein wenig martialisch (zu hören im ersten Teil unseres Audios).

Das Belcea Quartett nimmt diese Passage auch dramatisch, aber etwas leichfüßiger und durch die dynamische Schattierungen wirkt dieses markanten Staccato-Thema gestalteter, wendiger, modulierter, differenzierter (zu hören im zweiten Teil des Audios).

Hör-Tipp
Abenteuer Interpretation Mittwoch, 17. Februar 2010, 15:05 Uhr

CD-Tipps
Franz Schubert, Streichquintett, Belcea Quartett, Valentin Erben, EMI

Franz Schubert, Streichquintett, Acies Quartett, David Geringas, Gramola

Franz Schubert, Streichquintett, Artemis Quartet, Truls Mork, Virgin

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