Über Zahlungsmittel und Glaubenssachen

"Business Class": Geldwert oder Geldschein

Der Schweizer Autor Martin Suter führt in seinen Kolumnen Hedgefondsmanager und Banker mit bitterer Ironie vor, denn sie haben zu einer Umkehrung der Verhältnisse beigetragen: "Wie kommt es, dass das wichtigste Produkt vieler Unternehmen heute deren Gewinn ist?"

Martin Suter: Was ist mit der Schweiz los?

"Haben Sie einmal," fragte der schweizerische Schriftsteller Max Frisch, "haben Sie einmal eine Banknote mit dem Porträt eines großen Dichters oder eines großen Feldherren, dessen Würde von Hand zu Hand geht, angezündet mit einem Feuerzeug und sich angesichts der Asche gefragt, wo jetzt der verbürgte Wert bleibt?"

Abgesehen davon, dass es aufs erste typisch erscheint, diese Frage von einem Schweizer gestellt zu bekommen, bleibt doch eine leise Irritation: Wohin ist der Wert eines Geldscheines, wenn ich ihn verbrannt habe, tatsächlich verschwunden? Ist er durch die Goldreserven (Österreich bunkert neun Millionen Unzen Gold) der Notenbanken gedeckt gewesen? Bedeutet die Einäscherung eines 500-Euroscheins einen Wertanstieg der Goldreserve um 500 Euro?

Von Papier zu Metall

Die Österreichische "Privilegirte" Nationalbank wurde übrigens 1816 am Höhepunkt einer Hyperinflation - verursacht durch die Banknotenpresse des Staates, um den Krieg gegen Napoleon zu finanzieren - gegründet. Dem Papiergeld wurde nicht mehr vertraut, nur Silbergulden wollten die Bürger akzeptieren, nicht aber das Papiergeld.

Wenn schon das Papiergeld gewissermaßen Vertrauenssache ist (das gilt übrigens auch für die Fremdwährungsreserven, die jede Notenbank in ihren Safes liegen hat), wie verhält es sich dann mit Buchgeld? Also mit den sogenannten Sichteinlagen auf einem Sparbuch oder einem Girokonto, auf das reales Geld, egal ob in Münzen oder als Geldschein, eingezahlt wurde?

Flucht und Geheimnis

Geldschein: Ein feines, doppeldeutiges Wort. Buchgeld ist übrigens kein Zahlungsmittel (im Gegensatz zu Bargeld) und dennoch überweisen wir täglich Milliardenbeträge online rund um den Globus. In gutem Glauben. Seit dem Kollaps der Lehman Brothers wissen wir, dass Geld Eigenschaften des Wasser hat: Es kann flüssig sein, es kann aber auch verdampfen.

Wenn Geld kondensiert, sammelt es sich zumeist an anderen Orten, als an jenen, wo es verdampft ist. Etwa in der Schweiz. Das war nicht immer so. Erst nach 1907, als die eidgenössische Nationalbank gegründet wurde, und das helvetische Währungssystem vereinheitlicht war, begann der Schweizer Franken für Anleger attraktiv zu werden. Und als der Erste Weltkrieg vorüber war und sich die helvetische Währung als erstaunlich widerstandsfähig erwiesen hatte, wurde aus Franken und Rappen eine Fluchtwährung.

Es sollte bis 1934, dem Jahr nach der Machtergreifung von Adolf Hitler, dauern: Erst dann wurde das Bankgeheimnis eingeführt -das jetzt langsam zu erodieren beginnt. Denn das Steuerparadies saugt zu viel Geld der Steuerflüchtlinge, zu viel Schwarzgeld bzw. Kick-back-Zahlungen aus illegalen Immobiliengeschäften oder Rüstungsdeals ab.

Spekulation statt Investition

Die europäischen Regierungen, ob die deutsche, die belgische oder die österreichische, die Millionenbeträge zur Stützung von Banken und Budgetsanierung benötigen, wollen die Steuerflüchtlinge heimholen mitsamt ihrem Vermögen. Mittlerweile haben offenbar einige Politiker die Neuauflage eines Buches gekauft und gelesen, das einer der wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts verfasst hat: John Kenneth Galbraiths "Der große Crash 1929".

Zu Beginn der 1930er Jahre kollabierten Banken und stürzten Aktienkurse ab. Galbraiths Erklärung: Die Reichen waren zu reich geworden. Nur 0,1 Prozent der US-Amerikaner verfügten in den "goldenen Zwanziger Jahren" über 40 Prozent des Gesamtvermögens. Doch dieser Reichtum wurde nicht investiert, sondern es wurde damit spekuliert. Der Wohlstand war jahrzehntelang nie wieder so ungleich verteilt wie damals. Doch ab Mitte der 2000er Jahre begannen sich die Bilder wieder zu gleichen. Und es kam erneut zu einem Crash.

Gewinn als Firmenprodukt

Für den schweizerischen Schriftsteller Martin Suter ist die Frage nach dem Wert des eingeäscherten Geldscheins rasch beantwortet. Die kolportierte im Umlauf befindliche Geldmenge - ob Bar- oder Buchgeld - ist bloß eine virtuelle. Nur eine Teilmenge davon existiert tatsächlich. Hedgefondsmanager und Banker mit ihrer Status-Fixiertheit und Boni-Geilheit, die Suter schon vor Jahren in seinen "Business Class"-Kolumnen mit bitterer Ironie vorgeführt hat, trügen zu einer Umkehrung der Verhältnisse bei.

"Wie kommt es", fragt Suter, "dass das wichtigste Produkt vieler Unternehmen heute deren Gewinn ist? Das das wichtigste Produkt einer Firma nicht ihr eigentliches Erzeugnis, sondern Geld ist?" Und er fügt hinzu: "Was ist geschehen, dass für Führungspositionen nicht mehr gilt: Wer gut ist, verdient viel? Sondern: Wer viel verdient, ist gut?"

Suter selbst wählt eine vernünftige Form, seine Tantiemenzahlungen aus dem neuen Erfolgsroman "Der Koch" in Nichts aufzulösen: Er, der nie Aktien sondern vor allem Grund und Boden gekauft hat, um Weingärten und Olivenhaine anzulegen und für sich und seine Familie ein Zuhause zu bauen, hat beschlossen seine Schulden zurückzahlen.

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 18. Februar 2010, 21:00 Uhr

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Buch-Tipp
Martin Suter, "Der Koch", Diogenes Verlag

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