Zunehmende Rechtsradikalität in Osteuropa

Aufmarsch

Kroatien, Slowakei, Bulgarien, Tschechien, Ungarn: Rechtsradikale Parteien und neofaschistische Gruppierungen unterwandern die neuen Demokratien in Mittel- und Osteuropa. Welche Gefahr davon ausgeht, analysieren Gregor Mayer und Bernhard Odehnal.

Das EU-Mitgliedsland Griechenland steht wegen seiner bedrohlichen Schwäche als Wirtschaftpartner der Europäischen Union auf dem Prüfstand. Der EU-Beitrittskandidat Türkei steht vor allem als islamisches, kulturell anders geprägtes Land auf dem Prüfstand der Europäischen Union. Warum bloß steht nicht auf dem Prüfstand von Brüssel und vor allem Straßburg, was sich im mittleren und südlichen Osten der EU Bahn bricht - von der Straße bis in die Parlamente hinein. Also politisch legitimiert!?

Solche Fragen als Konsequenz aus den erschütternden Befunden der beiden Journalisten Gregor Mayer und Bernhard Odehnal zu stellen sind nicht mehr Thema ihres Buches über "Die rechte Gefahr aus Osteuropa", wie der Untertitel erklärt und worum es in "Aufmarsch" geht. Solche Fragen - nach potenten demokratisch exekutiven, legislativen und zivilgesellschaftlichen Korrektiven - drängen sich indes auf nach der Lektüre von 300 Seiten "Aufmarsch" rechter skrupelloser Gewalt und Platzhirschgehabe von Neonazis.

Idole und Ideale

Gegenstand dieser ebenso akribischen wie mutigen investigativen Recherchen sind Entwicklungen in diese Richtung in Ungarn, Tschechien, Slowakei, Kroatien, Serbien und Bulgarien. Leider fehlt der abrundende Blick auf das nicht minder rechts-aktive Rumänien. Was aber den Erkenntnisgewinn dieser Arbeit nicht schmälert. Im Fokus: Erscheinungsformen, Idole und Ideale, geistige Nährböden und Stimulatoren - zum Beispiel Kirchen -, Feindbilder und Hassobjekte rechtsnationaler bis offen faschistischer Gesinnung. Namen, Organisationen, Medien, Hintermänner, Vernetzungen, Täter- und Opferprofile.

Den Inhalt auf diese Kurzformel gebracht, mag eine solide, womöglich wissenschaftlich fundierte analytische Studie erwarten lassen. Mayer und Odehnal hatten indes nicht nur andere Ambitionen, sondern auch andere Methoden und überhaupt andere Voraussetzungen, in diese gewöhnlich klandestinen, hermetischen Männerbünde vorzudringen. Und nicht zuletzt deren strukturelle Einbindung in die jeweiligen Gesellschaften nachzuzeichnen.

Medienbewusste Rechte

"Mein Co-Autor Bernhard Odehnal und ich, als wir uns mit dem Thema beschäftigten, stießen wir in den Ländern, die wir behandeln, auf eine neuartige extreme Rechte, die viel medienbewusster ist, die in dieser Web-Gesellschaft zuhause ist, die sich in vielen Kulturnischen etabliert hat", berichtet Gregor Mayer, DPA-Korrespondent in Budapest.

Das von diesem Autor ausführlich beschriebene Beispiel Ungarns macht die Verwebung struktureller Defizite der ungarischen Politik und Gesellschaft mit dem Vormarsch der Rechten besonders deutlich. Mayer nennt dies "das System Jobbik".

Werteverfall und Orientierungslosigkeit

Offensichtlich sind beide Autoren gut mit den Ländern und vor allem mit den Menschen und ihren Sprachen vertraut. Und so sucht ihr Blick auch immer nach Widerspruch und Gegenwehr von Staat und Zivilgesellschaft. Sie wissen um das große Defizit an historischem Schulwissen über diesen Teil Europas in unseren westlichen Breiten und bedienen damit ein erstes Aufklärungsziel: überhaupt begreiflich zu machen, warum keineswegs nur rechts orientierten Ungarn, Slowaken, Kroaten usw. Fragen nach Identität, Grenzen, nationalen Minderheiten so wichtig sind. Oder auch Ereignisse, Symbole und Führerpersönlichkeiten, die vor Hunderten von Jahren Akzente in der jeweiligen Geschichte gesetzt haben: Könige, Rebellen und Revolutionen, Fahnen, Kronen, Friedensverträge, wie etwa die von Trianon oder Versailles im 20. Jahrhundert.

Und dann die letzte Zäsur: das Ende des Kommunismus. Die Wende. Deren Protagonisten. Werteverfall und Orientierungslosigkeit. Völkisches Denken anstelle erzwungener vorgeblicher klassenloser Solidargemeinschaft. Die ersten freien Wahlen. Das erste Jahrzehnt. Das zweite Jahrzehnt. Und jetzt, im dritten Jahrzehnt: der "Aufmarsch". Als mehr oder weniger militante völkische Retro-Bewegung. Eine logische Entwicklung?

Jobbik in Ungarn. Nationalpartei und Arbeiterpartei in Tschechien. Die Slowakische Gemeinschaft. Obraz in Serbien. Ataka in Bulgarien. Mehr oder weniger gut eingebettet in einer Internationale der Nationalisten, die, bei einiger Verschiedenheit dann doch wirr mystifizierte Sehnsüchte in Hitler, das Hakenkreuz und die reine arische Rasse projizieren, möge sie ungarischer, slowakischer oder bulgarischer Nation sein.

Wörtlich wiedergegebene Interviews

Längst gab es militante Exzesse mit Todesfolgen. Noch sind die Opfer die "fremdrassigen" Roma. Noch hält sich der Antisemitismus auf der Ebene von Verbalattacken und Rufmorden. Juden sind - in Ungarn, Tschechien, der Slowakei - mehr als nur eine nationale Minderheit der wenigen Holocaust-Überlebenden. Juden stehen als Metapher für alles Linke, Liberale - auch für Homosexuelle -, das es auszumerzen gelte. Für völkisch gesonnene Bulgaren spielt die türkische Minderheit diese Rolle. Neben den Roma.

Mayer und Odehnal erklären, zeichnen Zusammenhänge nach zwischen gesamtgesellschaftlich unbewältigter Vergangenheit und gesamtgesellschaftlich nicht bewältigten Anforderungen einer Demokratie und Zivilgesellschaft. Vieles erfahren sie im direkten Gespräch mit Führerfiguren dieser Rechten. Solche Interviews werden wörtlich wiedergegeben, mit Angabe von Namen, Ort und Datum. Vieles erfahren sie auf einschlägigen Propagandaseiten im Internet, aus Fernsehen, Radio und Printmedien, auf Konzerten. Nachzulesen als Zitate. Oder sie erfahren es als Augenzeugen paramilitärischer öffentlicher Auftritte, die, zum Beispiel in Ungarn, demonstrativ vor der Residenz des Staatspräsidenten, stattfinden durften, mit kirchlichem Segen.

"Das beginnt bei diesen Spinnern, die mit der Wünschelrute durch das Gebirge gehen, weil das der Mittelpunkt der Welt ist", sagt Mayer. "Das schließt Leute ein, die gerne Rockmusik hören, in der das Ungarntum besungen wird, das schließt Vereine ein, die das historische Bogenschießen üben, weil das die berittenen Ungarn zur Zeit der Landnahme - oder noch früher, als sie angeblich schon da waren als Hunnen oder noch früher als Awaren, pflegten. Was dieses System Jobbik anbietet, ist so eine Art geschlossene Lebenswelt, in der man das ausleben kann. In der man nicht nur einer doofen Fahne nachrennt und brüllt und schreit 'Sozialisten verreckt', sondern wo man für viele Sinne ein Angebot vorfindet. Deswegen auch diese Einstiegsszene in meinem Buch des Maifests der Jobbik, wo das sichtbar wird, dieses geschlossene Universum."

Mayer gibt sich sehr pessimistisch mit Blick auf die nahe Zukunft dieses Landes, das Anfang April ein neues Parlament und eine neue Regierung wählen wird. Kein anderes Land, das in diesem Buch abgehandelt wird, steht nach Mayers Kenntnis und allen Wahlprognosen so nah vor einer parlamentarisch legitimierten Machtübernahme der Rechten und extremen Rechten. Niemand, zumindest im deutschsprachigen Raum, wird behaupten können, man habe nichts davon gewusst. Oder von der Marschrichtung in den Nachbarstaaten.

Service

Gregor Mayer, Bernhard Odehnal, "Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa", Residenz Verlag

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