Der Stern, der alles überstrahlt
Eitle Liebe
Sie schillern, ziehen alle Blicke auf sich, betrachten selbstverliebt ihr Spiegelbild. Narzissten haben Konjunktur, sie treffen den Lifestyle unserer Zeit. Mit ihrer Sucht nach Zuwendung und Anerkennung tyrannisieren sie ihr Umfeld.
8. April 2017, 21:58
Die eitle Liebe geht zurück auf den antiken Mythos des 16-jährigen Jünglings Narziss. Narziss entzog sich aus Stolz der Liebe der Nymphe Echo, die sich mit einem Fluch rächte. Fortan musste er sein eigenes Spiegelbild in jedem Wasser suchen und lieben, doch konnte er es niemals ergreifen, weil es sich ständig entzog.
Trotzdem war das Narzissmus-Thema damals - in der Antike - positiv bewertet. Mit dem Niedergang des Römischen Reiches verschwand das Thema um in der Spätphase der Kreuzzüge wieder hervorzustechen. Ende des 19. Jahrhunderts nahm sich dann die Psychologie der Thematik an und beschreibt Narzissmus als Neigung zur Selbstbewunderung.
Minderwertig depressiv oder grandios
Im 20. Jahrhundert klärten dann Klinische Psychologie und Diagnostik, angereichert durch die Persönlichkeitsforschung und Sozialpsychologie den Hintergrund narzisstischer Persönlichkeitsstrukturen weiter auf. Zwei Typen kristallisierten sie dabei heraus.
"Wir unterscheiden zwischen der minderwertig depressiven narzisstischen Struktur und der grandiosen", sagt Bärbel Wardetzki. Sie ist psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Persönlichkeitsstörungen. Sie erklärt nun die beiden Persönlichkeitsstrukturen.
"Die grandiose narzisstische Struktur ist wahrscheinlich die, die die meisten Menschen besser erkennen können. Das sind so Leute, die sich größer machen als sie sind, die sich so selbstverliebt zeigen, die oftmals wenig Einfühlung haben und die immer versuchen, im Mittelpunkt zu stehen und die Aufmerksamkeit zu kriegen. Und die minderwertig-depressiv Strukturierten sind eher die, die sich unterordnen und die die Grandiosen dann bewundern und auf ein Podest heben. Und fallen selber, als narzisstisch Strukturierte, gar nicht so auf, im ersten Moment." Auch nicht in einer Beziehung.
Die vermeintlich perfekte Beziehung
Was bedeutet es nun für eine Beziehung, wenn sich die unterschiedlichen narzisstischen Persönlichkeitsstrukturen ineinander verlieben?
"Das passt erstmal perfekt, weil nämlich die depressiv strukturierte Person durch den grandiosen Narzissten ihr Selbstwertgefühl aufwerten kann. Also zum Beispiel, ich habe einen erfolgreichen Mann an meiner Seite oder ich habe eine schöne schlanke Frau an meiner Seite, das fällt sozusagen positiv auf den Partner, die Partnerin zurück. Und der Grandiose wiederum, der wird von dieser anderen Person bewundert und kann dadurch auch sein Selbstwertgefühl stärken. Der Depressive stärkt es durch diesen anderen wunderbaren Partner und somit passen beide hervorragend zusammen. Und der Grandiose muss sich nicht um seine depressive Seite kümmern und der depressiv Strukturierte muss sich nicht in den Mittelpunkt stellen, was er gar nicht mag. Und somit passt es hervorragend", erklärt Bärbel Wardetzki.
Von Dauer ist das Glück jedoch nur so lange, als beide ihre Definition erfüllen und nicht mehr brauchen, als der andere geben kann. Tritt bei einem Partner eine emotionale Bedürfnisänderung ein, wird die Beziehung problematisch. Ein Ausweg aus der Krise ist schwer erreichbar, denn Narzissten nehmen psychotherapeutische Hilfe kaum in Anspruch, ja sind beinah therapieresistent. Für sie ist bereits die Annahme einer therapeutischen Hilfe eine narzisstische Kränkung.
Narzisstische Führungspersönlichkeiten
Narzissmus, das ist die Leitneurose unserer Zeit. Zahlreiche Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt bezeugen dies. "Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage" beschreibt beispielsweise der Psychiater und Psychoanalytiker, sowie Chefarzt der Psychiatrischen Klinik in Münsterlingen, Gerhard Dammann. In diesem Buch, welches im Haupt-Verlag erschienen ist, beschreibt er Fallbeispiele auch literarische und Lösungswege für ein wirksames Management; gibt Anleitungen, wie man mit dem - meist - männlichen Führungsstil besser umzugehen lernt.
Verfolgt man narzisstisch geprägte Führungspersönlichkeiten in der Wirklichkeit, so wird eine spannende Verbindung sichtbar. Es ist jene zwischen positivem Narzissmus und pathologischem; zwischen dem Dienst an der Sache und der Selbstberauschung. Unter gesundem Narzissmus versteht Gerhard Dammann in seinem Buch einen ausreichenden Selbstwert, Fürsorge für sich selbst und die Fähigkeit, sich sowohl abgrenzen als auch auf etwas einlassen zu können.
Typische Kennzeichen
Aber warum ist gerade jetzt der Narzissmus zu einem Thema geworden? Nun: seit den 1970er Jahren hat der emanzipierte Mensch ein Ziel: Er strebt nach Selbstverwirklichung. Manchmal als Egomane in der Me-Gesellschaft oder Kompagnon in der Ich-AG. Die emanzipatorische Selbstverwirklichung, die vor mehr als 40 Jahren begann, sieht der Wiener Psychoanalytiker August Ruhs vor allem als Rebound-Effekt auf die hochpolitischen 1960er Jahre, in denen das politische, das solidarische, soziale Denken im Vordergrund standen.
Arbeitssucht ist ein typisches Kennzeichen narzisstischer Persönlichkeiten. Sandor Ferenczi, ein Freund Sigmund Freuds, hat die Workoholics bereits 1919 unter dem Titel "Sonntagsneurosen" beschrieben und darauf hingewiesen, dass Narzissten unfähig sind, am Wochenende vom Job abzuschalten und sich ehrgeizig und verbissen darum bemühen, ihre hoch gesteckten Ziele zu erreichen. Befriedigung erhalten sie dadurch meist nicht, allenfalls ein flüchtiges, grandioses Hochgefühl. Andere holen sich den Kick durch die Droge. In Österreich greifen die meisten zum Alkohol.
Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 24. Februar 2010, 21:00 Uhr
Buch-Tipps
Bärbel Wardetzki, "Eitle Liebe. Wie narzisstische Beziehungen scheitern oder gelingen können", Kösel Verlag
Bärbel Wardetzki, "Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung", Kösel Verlag
Manfred Prisching, "Das Selbst, die Maske, der Bluff. Über die Inszenierung der eigenen Person", Molden
Gerhard Dammann, "Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage. Fallbeispiele und Lösungswege für ein wirksames Management", Haupt Verlag
Johannes Eurich/Alexander Brink (Hrsg.), "Leadership in sozialen Organisationen", VS Verlag für Sozialwissenschaften
Hans-Werner Bierhoff/Michael Jürgen Herner, "Narzissmus - Die Wiederkehr", Verlag Hans Huber