Ben Kingsley im Interview
Shutter Island
Seit mehr als 30 Jahren gilt Martin Scorsese als einer der einflussreichsten Regisseure der Gegenwart. Sein neuer Streifen "Shutter Island" mit Leonardo di Caprio und Ben Kingsley startet am Freitag in den heimischen Kinos.
8. April 2017, 21:58
Nach dem Oscar prämierten Thriller "Departed" hat Martin Scorsese jetzt mit seinem neuen Film "The Shutter Island" ein beklemmendes Psychodrama vorgelegt. Anfang der 1950er Jahre soll ein U.S. Marshall eine verschwundene Serienmörderin wiederfinden. Seine Nachforschungen bringen ihn auf eine Gefangeneninsel, wo sich eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher befindet. Dort trifft der von Leonardo di Caprio dargestellte Cop auf den sehr fortschrittlichen, gleichzeitig aber höchst geheimnisvollen Leiter der Anstalt.
Verkörpert wird dieser Dr. Cawley von Ben Kingsley. Seinen größten Erfolg hatte Kingsley ja bereits 1983 gefeiert, als er für seine Verkörperung Mahatma Gandhis den Oscar gewann. Seitdem spielte er aber immer wieder sehr abgründige bis diabolische Figuren. Nachdem er bereits in Filmen von Steven Spielberg und Roman Polanski mitgewirkt hatte, war "Shutter Island" die erste Zusammenarbeit mit Martin Scorsese.
Ben Kingsley: Wenn dein Regisseur Martin Scorsese heißt, brauchst du dich nicht mit irgendwelchen Recherchen abmühen, weil alles da ist, was du wissen musst. Das einzige, was wir im Vorfeld taten, war zusammen mit Martin Scorsese Filme anzusehen, die er als Referenzpunkte für "Shutter Island" ausgewählt hatte. Und über die haben wir dann anschließend diskutiert. Ansonsten bestand meine Vorbereitung schlicht und einfach darin, meine Dialogzeilen auswendig zu lernen. Beim Dreh folgte ich dann einfach dem intensiven Spiel von Leonardo di Caprio. Meine Figur ist ja ein reiner Zuhörer, ein Arzt, der seine Behandlung nach dem ausrichtet, was er von seinen Patienten erfährt. Deshalb habe ich diese Rolle sehr genossen, weil ich auch privat jemand bin, der gerne zuhört und reagiert.
Wolfgang Popp: Im Film herrscht eine klaustrophobische Atmosphäre. War der Drehort tatsächlich so abgelegen und abgeschlossen, oder gab es besondere Tricks, mit denen Martin Scorsese diese Atmosphäre herstellte?
Der Drehort lag wirklich fern von Boston und es handelte sich tatsächlich um eine ehemalige Nervenklinik. Die Innenräume waren schon sehr verfallen, die Architektur aber noch intakt und wir filmten in den ehemaligen Korridoren, den Krankenzimmern und den Büros. Wir verließen jeden Morgen unser Hotel in Boston und hatten dann eine endlos lange Fahrt durch weitläufige Wälder vor uns. Wir befanden uns weit weg vom Bostoner Alltag, was für uns Schauspieler natürlich eine enorme Hilfe war, weil wir dadurch weniger ausblenden mussten. Martin Scorsese malträtiert einen nicht mit Erklärungen, wie es wohl ist, in so einer Anstalt zu leben und zu arbeiten. Er sagt einfach, du brauchst dir keine Nervenklinik vorzustellen, wir befinden uns hier in einer. In diesen klinisch-kalten Räumen eine Geschichte anzusiedeln, in der es um die Suche nach Zärtlichkeit, Wärme und Zuneigung geht, hat perfekt funktioniert.
Was sind für Sie die zentralen Fragen, die "Shutter Island" aufwirft?
Im Zentrum des Films steht die Debatte darüber, wie mit einer tief traumatisierten Seele umgegangen werden soll. Soll sie betäubt, umgebracht, oder mit Drogen ruhig gestellt werden, oder soll man ihr zuhören, egal wie viele Jahre es dauert? Es sind verstörende Fragen, aber Martin Scorsese bringt den Zuschauer nicht nur zum Nachdenken. Er vermittelt tatsächlich das Gefühl, wie es sein muss, wenn einem die rationale Verbindung, die Geist und Seele zusammenhält, für immer verloren geht.
Auch Roman Polanski präsentiert mit "The Ghostwriter" gerade einen neuen Film. Sie haben auch mit ihm bereits zusammengearbeitet. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Polanski und Martin Scorsese?
Sie sind beide ungeheuer begabt darin, für die Schauspieler die richtige Umgebung herzustellen. Wenn sie diesen Raum hier filmen würden, würden beide jedes Detail beachten. Welches Wetter draußen herrscht und ob sich der Vorhang im Luftzug bewegt oder nicht. Ich habe Roman Polanski erlebt, wie er selbst bei einem Dreh mit einer Nylonschnur ganz leicht den Vorhang bewegt hat. Die Umgebung des Schauspielers ist für diese beiden Regisseure genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als das, was der Schauspieler tut.
Sie haben in ihrer Karriere die verschiedensten Charaktere verkörpert. Sanfte Figuren wie Gandhi, aber auch teuflische Bösewichte in verschiedenen Psychothrillern. Waren das Zufälle oder strategische Entscheidungen?
Da steckte keine Strategie dahinter. Meine Rollen sind auch für mich eine Serie an Überraschungen. Ich muss erst ein Drehbuch aufschlagen und plötzlich von einer Figur gefesselt sein. Erst in diesem Moment weiß ich, was ich gesucht habe.