Hochpolitische Kompositionen
Genie ohne Glück
Mit Konzerten und Ausstellungen feiert die Musikwelt den 200. Geburtstag des Komponisten Frédéric Chopin. Zwischen Schwärmerei und Perfektion hat er Seelenzustände als absolute Musik gestaltet. Chopins Musik war aber auch hochpolitisch.
8. April 2017, 21:58
Ein Tastenlöwe war er gewiss nicht, aber mit seinen Werken erspielten sich Generationen von Pianisten diesen Titel: Frédéric Chopin (1810-1849), polnischer Held, schwindsüchtiger Eigenbrötler und verzweifelter Liebhaber war ein Meister ohne Glück. Von seinen Anfängen als Wunderkind in Warschau bis zu seinem quälenden Tod in Paris - Chopin gilt als Inbegriff des genialen, von Existenzkrisen und labiler Gesundheit gezeichneten Künstlers, ein lebenslang Getriebener, der 200 Jahre nach seiner Geburt - vermutlich am 1. März 1810, der Standesbeamte datierte sie allerdings auf den 22. Februar - als großer Komponist und tragischer Star in Erinnerung geblieben ist.
Ob in den legendären Aufnahmen von Vladimir Horowitz, Dinu Lipati und Martha Argerich oder in der neuen CD der 21-jährigen Münchnerin Alice Sara Ott - mit den Mazurkas und Walzern, Polonaisen und Impromptus hat Chopin in jeder Generation seine Interpreten gefunden. Zwischen Schwärmerei und Perfektion hat er Seelenzustände als absolute Musik gestaltet, wie sie auch Robert Schumann für die deutsche Romantik schuf.
Kämpfe in Polen
Chopins Musik war aber auch hochpolitisch - so verstanden sie vor allem seine polnischen Landsleute. Die heimatlichen Anklänge, die verfremdeten Harmonien und Melodien aus den Bauerntänzen sprechen den Polen, die Jahrhunderte um einen eigenen Staat kämpften, aus der Seele. Lebenslang litt Chopin darunter, dass er wie ein Zaungast auf sein Land blickte, während seine Zeitgenossen für die Unabhängigkeit ihr Leben ließen.
Als 1832 auf den Straßen von Warschau der Traum eines unabhängigen Polen von den russischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde, machte sich Chopin gerade auf den Weg von Wien nach Paris. "Ein Leichnam hat aufgehört zu Leben, und auch ich bin des Lebens satt", schrieb der 21-Jährige verzweifelt über die Nachrichten aus der Heimat.
Schwankendes Wunderkind in Wien
Es waren behütete Verhältnisse, in die Frydrych Franciszek Chopin in Zelazowa Wola nahe Warschau hineingeboren wurde. Vater Nicolas Chopin, ein aus den Vogesen stammender Winzersohn, hatte als Gymnasiallehrer seiner Frau und den vier Kindern ein auskömmliches Dasein gesichert. Die Familie stellte sich ganz auf die Förderung des Wunderkinds ein. Jahrelang würde der Vater den zwischen Fernweh und Unentschlossenheit schwankenden Sohn unterstützen. So drängte er Friedrich, nach Schule und Konservatorium in Wien sein Glück zu suchen.
Doch die k.u.k-Metropole erwies sich als Sackgasse für den jungen Pianisten. Zwar erntete Chopin mit seinen frühen Werken, vor allem seinen Klavierkonzerten, eine gewisse Bewunderung. Doch das Wiener Publikum zeigte sich unzugänglich. "All die Diners, Abende, Konzerte, Bälle, die mir zum Halse heraushängen, langweilen mich." Chopin verfluchte den Augenblick seiner Abreise aus Warschau. Noch dazu wurde er von Schwindsucht und Husten heimgesucht, ein Vorbote der späteren Tuberkulose. Auch die unglückliche Fernbeziehung zu Konstancja Gladkowska, einer Freundin aus Kindertagen, setzte ihm zu.
In den Pariser Salons
Paris, Europas damalige Musikhauptstadt, sollte sich gnädiger erweisen. Schnell fand Chopin Zugang zu den Salons. Die Herrschaft des Bürgerkönigs Louis Philippe hatte der Pariser Bourgeoisie neue Freiräume eröffnet. Bei einem Empfang des Bankiers Jacob de Rothschild setzt sich Chopin ans Klavier - und erntet sofort den Applaus der Aristokraten. Seine Stellung als Klavierlehrer für die gehobenen Stände ist gesichert.
Als Konzertpianist fühlt sich der scheue Chopin unwohl in seiner Haut. Immer wieder befällt ihn ein pathologisches Lampenfieber. In seinem Leben trat er nur etwa 50 Mal öffentlich auf. "Das Publikum schüchtert mich ein, sein Atem erstickt mich." Anders als sein Kollege und Freund Franz Liszt (1811-1886), der unter dem hysterischen Beifall seiner Zuhörer zum ersten modernen Musikidol aufstieg, wird Chopin unter Ausschluss der Öffentlichkeit berühmt.
Ein Liebespaar auf Mallorca
Es ist vor allem ein Treffen im November 1836, das Chopin über die Musik hinaus berühmt macht. In einem Salon trifft er Madame Dudevat. Die selbstbewusste Frau, der immer wieder amouröse Eskapaden nachgesagt werden, ist als Schriftstellerin unter dem Namen George Sand bekannt - und sie verliebt sich auf den ersten Blick in den schmächtigen Polen. Der ziert sich zunächst, erst nach Liszts Intervention willigt Chopin einer zweiten Begegnung ein. Es ist der Beginn einer zehnjährigen Künstlerliebe, die seitdem immer wieder in Büchern und Filmen nacherzählt wurde.
Die Millionen-Erbin zieht mit Chopin auf ihren Landsitz, der Komponist nimmt sich Sands Kinder Maurice und Solange an. Doch die Beziehung zwischen der unternehmungslustigen Schriftstellerin und dem mimosenhaften Chopin kann kaum gegensätzlicher sein. Zum Verhängnis wird dem Paar ein Kuraufenthalt auf Mallorca. Sands Sohn leidet an Rheuma und auch Chopin erhofft sich vom Inselklima Linderung für seine Atemnot.
Zuflucht im Kloster
Der Balearen-Trip erweist sich als Katastrophe. Chopins Zustand verschlimmert sich, die Familie wird aus dem Ferienhaus rausgeschmissen und muss in einem Kloster im Bergdorf Valldemossa Zuflucht suchen. Seitdem ist die Kartause eines der beliebtesten Ausflugsziele auf der Urlaubsinsel. Nach einigen Monaten ziehen Sand und Chopin nach Frankreich zurück.
Chopin hat wieder Zeit zum Komponieren, es werden produktive Jahre. Für Sand wird das Leben mit dem depressiven Künstler zusehends zur Belastung. In ihrem Roman "Lucrezia Floriani" offenbart sie gnadenlos und für die Pariser Klatschgesellschaft kaum verschlüsselt die Schwächen und Marotten des Geliebten. Chopin reagiert wie gelähmt auf die öffentliche Bloßstellung. Als er sich in einem Streit zwischen Solange und ihrer Mutter auf die Seite der Tochter schlägt, ist die Beziehung zu Sand vollends zerrüttet.
Körperlicher Verfall
In Paris muss Chopin sich wieder als Musiklehrer durchschlagen, sein Körper verfällt, er hustet Blut, kriegt kaum Luft. Ein Versuch, in London Fuß zu fassen, endet im Finanzdesaster. Chopin kehrt nach Paris zurück - als ob er sein baldiges Ende ahnt. Das einzige Foto Chopins zeigt den Komponisten als Todgeweihten. An seinem Sterbebett zieht die Schickeria vorbei, die Damen fallen rituell in Ohnmacht und lassen sich von einem Zeichner vor dem Sterbenden verewigen.
Noch bis zuletzt hofft Chopin, dass die europäischen Revolutionen auf seine Heimat übergreifen - vergebens. Am 17. Oktober 1849 stirbt er mit 39 Jahren. Er wird auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise bestattet. Chopins Herz aber kehrt nach Polen zurück und ruht seitdem in einer Säule der Warschauer Heiligkreuz-Kirche.
Chopin in Ö1
Frédéric Chopin wird das ganze Jahr über in den Musiksendungen von Ö1 gewürdigt. Anlässlich des Geburtstags am 1. März stehen mehrere Ö1-Sendungen ganz im Zeichen des polnischen Komponisten. Im "Radiokolleg" (bis 4. März, jeweils um 9:45 Uhr) erzählen unter dem Titel "Tastenzauber" die vier französischen Pianisten/Pianistinnen Brigitte Engerer, Alain Planès, Jean-Yves Thibaudet und Alexandre Tharaud über ihren Zugang zu Chopin und seiner Musik und geben auch Einblick ihr Leben.
Im "Konzert am Vormittag" (10:05 Uhr) steht ein Mitschnitt aus der Berliner Philharmonie auf dem Programm: Die Berliner Philharmoniker und Pianist Daniel Barenboim spielen unter der Leitung von Dirigent Asher Fish Werke von Frédéric Chopin und Karol Szymanowski. In "Ö1 bis zwei" (bis 5. März, jeweils ab 13:00 Uhr) werden neue Chopin-CDs vorgestellt, und in der "Musikgalerie" (15:05 Uhr) lautet die Frage "Chopin zum Tanzen?" Denn: Er war kein Walzerproduzent, hat aber viele Musikstücke im Dreivierteltakt geschrieben und auch bei seinen zahlreichen Mazurken und Polonaisen nationale polnische Tanzrhythmen verwendet.
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