Ein besonderer Ausstellungsrundgang
"Tropicalia" mit Robert Menasse
Die Installation "Tropicália" von Hélio Oiticica gab einer Kunstströmung den Namen, die in Opposition zur Militärdiktatur entstand. Robert Menasse lebte einige Jahre Zeit in Brasilien und sieht die Schau in der Kunsthalle daher mit "anderen" Augen.
8. April 2017, 21:58
"Tropicalia" hieß eine Platte des brasilianischen Sängers und Komponisten Caetano Veloso, der mit anderen Musikern, etwa Gilberto Gil oder Gal Costa Rock und Samba, Volksmusik und urbane Klänge zu einer gänzlich neuen Stilrichtung vermischte.
"Tropicalia" war aber noch mehr: eine faszinierende Kunstströmung im Brasilien der Militärdiktatur, die von den 1960er bis Mitte der 80er Jahre andauerte. Musiker, Filme- und Theatermacher, Dichter und bildende Künstler zogen in den 60erJahren eine ganze Generation in ihren Bann, indem sie die Möglichkeit von Freiheit selbst in Zeiten von Repression und Zensur aufzeigten.
"Tropicalia" heißt schließlich auch die Ausstellung in der Kunsthalle Wien, die derzeit einen Überblick über jene Strömung gibt, die etwa von 1967 bis 1969 bestand, jedoch noch Jahrzehnte ausstrahlte und nachwirkte.
Einschusslöcher in der Wand
Der Schriftsteller Robert Menasse kam mehr als ein Jahrzehnt nach den Ereignissen, die 1985 endlich zu demokratischen Wahlen führten, nach Brasilien. Der Autor und Essayist beschreibt die letzten Jahre der Diktatur als Biotop für künstlerischen und menschlichen Entfaltungsdrang, dessen Ursprünge in der Tropicalia-Bewegung der 1960er lagen. Die Spuren der damaligen Auseinandersetzungen hatte er buchstäblich vor Augen:
"Ich hab 1981 begonnen, an der Universität von Sao Paolo zu arbeiten, und mein Arbeitszimmer war holzvertäfelt, und in der Holzvertäfelung gab es noch die Einschusslöcher der Schießerei von 1968! Damals sind in Brasilien Professoren und Studenten verschwunden, Leute sind ins Exil gegangen. Die große Erneuerungsbewegung in Brasilien hat dann nicht mehr auf der Straße bei Massendemonstrationen, und auch nicht in den akademischen Debatten stattgefunden, sondern in Brasilien war das wirklich eine Künstlerbewegung! Die Kunst ist gegen die Lüge und gegen das Schweigen angetreten, und diese Neuinterpretation der Kultur als Wahrheitsfindung ist in Brasilien auf wirklich revolutionäre Weise geglückt."
Manifest gegen falsche Idyllen
1967 zeigte der bildende Künstler Hélio Oiticica im Museu de arte moderna in Rio de Janeiro erstmals seine später zum Mythos gewordene, titelgebende Installation "Tropicalia". Das Werk sollte ein Manifest gegen die Vorspiegelung falscher Idyllen sein: Das diktatorische Regime unterhielt innige touristische Beziehungen mit reicheren Ländern und gaukelte eine brasilianische Scheinwelt vor, während es im Lande selbst Zensur, Armut und Repression gab.
Man sieht Sand, Strand, Papageien, tropische Pflanzen und mittendrin eine Favela - ein Bild, das scheinbar ein kleines Paradies darstellt. Doch, so Menasse, "das Ganze ist hinein gestellt in ein artifizielles Ambiente von Sand- und Strandromantik. Die Kunst hat gesagt: Ihr speist uns ab mit einem Bild von Idylle, das ihr uns aber in Wirklichkeit gar nicht geben wollt, ihr wollt uns gar nicht das Paradies geben, ihr wollt eigentlich unser Leben vernichten!"
"Yankees go home"
Die Tropicalisten interpretierten die beliebtesten Klischees des Landes kurzerhand um, erfanden etwa den süßlichen Touristen-Samba gleichsam neu, indem sie "fremdartige" Elemente einfließen ließen. Und die Künstler riefen auf, am politischen wie auch am künstlerischen Geschehen teilzunehmen.
So schickte etwa Cildo Meireles eine Coca-Cola-Flasche in den Warenkreislauf, die bei näherer Betrachtung die Aufschrift "Yankees go home" aufwies. Die Yankees, also die Amerikaner waren es immerhin, die Folterexperten nach Brasilien schickten, damit diese den Militärs Ratschläge zur besseren Effizienz der Verhöre geben sollten.
"Probier's doch!"
Lygia Pape stellte Schalen mit verschiedenfärbiger aromatisierter Flüssigkeit aus, die mittels Pipetten gekostet werden sollten. "Bei genauerer Betrachtung sieht man das Blau der Hosen der brasilianischen Fußballnationalmannschaft, das Grün der Leiberl der brasilianischen Fußballer und der brasilianischen Flagge", sagt Menasse. "Es sind die brasilianischen Farben! In einer Zeit, in der politische Partizipation oder gesellschaftliches Engagement gefährlich waren, wegen Diktatur, lädt die Kunst ein: Probier's doch!"
Mehr als zwei Jahrzehnte liegt der Brasilien-Aufenthalt von Robert Menasse zurück. An der für ihn wesentlichen Erfahrung dieser Zeit hält er bis heute fest: "Die brasilianische Kunst sagt mir in diesem kalten Europa immer wieder aufs Neue: Du bist nicht lächerlich, wenn du dich engagierst, du bist kein Idiot, und es ist nicht trivial und überholt, wenn du auf dem Engagement und dem wesentlichen Anspruch der Kunst bestehst: nämlich ihrem Wirksamkeitsbegriff."
Service
Ausstellung "Tropicália. Die 60s in Brasilien", bis 2. Mai 2010, Kunsthalle Wien,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (zehn Prozent).
Kunsthalle Wien