Über Meinungsfreiheit, Grundkonsens und Identität

Ist das NS-Verbotsgesetz noch zeitgemäß?

Die FPÖ-Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz hat mit ihren Äußerungen zum Verbotsgesetz für Aufregung gesorgt. Das Gesetz, das NS-Wiederbetätigung verbietet, ist keineswegs totes Recht: Seit 2006 gab es zahlreiche Verfahren und Verurteilungen.

Oliver Rathkolb über Auswirkungen der Debatte

Das Antreten der freiheitlichen Kandidatin Barbara Rosenkranz bei der Präsidentschaftswahl und ihre Äußerungen zu jenem Gesetz, das nationalsozialistische Wiederbetätigung verbietet, haben in den letzten Tagen für breite Diskussionen zum Thema gesorgt.

Das Verbotsgesetz ist keineswegs totes Recht - in den letzten Jahren gab es hunderte Verfahren und Verurteilungen, viele Fälle sind prominent geworden: von David Irving über Gerd Honsik bis John Gudenus.

Prominente Fälle

Immer wieder betreffen öffentliche und juristische Konflikte um das Verbotsgesetz Politiker und bekannte Personen aus dem politisch rechten Umfeld: So ist 2006 ist der britische Holocaust-Leugner David Irving wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu drei Jahren Haft verurteilt worden.

Verhaftet worden war Irving angeblich auf dem Weg zu einer Veranstaltung der Burschenschaft Olympia - ein prominentes Mitglied ist Martin Graf von der FPÖ, derzeit Dritter Nationalratspräsident. Laut Graf sei Irving allerdings nie von der Olympia eingeladen worden.

Auffällig wird auch der frühere FPÖ-Bundesrat John Gudenus: Er wird im Jahr 2006 wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt. Über Jahrzehnte zieht sich der Fall von Gerd Honsik: Es war nach Spanien geflohen, wurde 2007 ausgeliefert und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Erst vor wenigen Tagen ist die Strafe auf vier Jahre verringert worden.

Ein eigenes Kapitel sind die Äußerungen des verstorbenen Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider. Die folgenschwerste: 1991 spricht er im Kärntner Landtag als amtierender Landeshauptmann von angeblich "ordentlicher Beschäftigungspolitik" im "Dritten Reich". Später nimmt er das Lob zurück, eine Anzeige wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung wird von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt nicht weiterverfolgt. Allerdings verliert Haider als Folge den Landeshauptmannsessel.

Argumente pro und kontra

Das Verbotsgesetz wird seit Jahrzehnten und bis heute immer wieder in Frage gestellt - es bedeute eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und in einem stabilen demokratischen Land seien solche Verbote nicht nötig, lauten die Hauptargumente. So meinte etwa der Historiker Lothar Höbelt vom Institut für Geschichte der Universität Wien, am Samstag gegenüber der Tageszeitung "Kurier": "Jeder, der sich als liberal einstuft, weist darauf hin, dass das Verbotsgesetz in einer Demokratie systemwidrig ist, weil es der Meinungsfreiheit widerspricht."

Das Gesetz sei aus liberaler Sicht "ein Ärgernis", das im Wesentlichen auf Wunsch der Alliierten eingeführt worden sei. In einem Gastkommentar in der Tageszeitung "Die Presse" schrieb Höbelt im Jahr 2009 - als es um die Störaktionen Jugendlicher im ehemaligen "Konzentrationslager Ebensee" ging: "Mit dem NS-Verbotsgesetz, wie es derzeit interpretiert wird - nicht als Handhabe gegen den organisierten Umsturz, sondern als semantische Reinigungsanstalt -, ist nun mal unweigerlich das Problem verbunden, wer primär Gesinnung bestraft, macht aus dämlichen Krakeelern Märtyrer der Meinungsfreiheit."

"Noch nicht überflüssig"

Der Politikwissenschaftler Anton Pelinka sieht das anders, er war lehrt heute an der Central European University in Budapest, als Professor für Politik und Nationalismusstudien: "Das Verbotsgesetz wäre idealerweise überflüssig, ist es aber nicht - und als Optimist sage ich, noch nicht überflüssig." Für Pelinka wäre die Aufhebung des Verbotsgesetzes ein schlechtes und negatives Signal für das österreichische Ansehen nach Außen - und für eventuelle österreichische Debatten über den Nationalsozialismus. Das Gesetz sei weniger in seiner abschreckenden als in seiner pädagogischen, edukativen Wirkung wichtig, so Pelinka.

"Die österreichische Identität hängt natürlich auch mit der Überwindung des Nationalsozialismus zusammen", sagt der Politikwissenschaftler, "ohne den Sieg der Alliierten über Hitlerdeutschland gäbe es weder Österreich noch eine Demokratie in Österreich - insofern ist es auch, indirekt zumindest, identitätsstiftend."

Die Debatte um das Verbotsgesetzt zeige laut Pelinka, dass diese Gesetz wichtig sei: "Wer der Meinung ist, dass das Verbotsgesetz überflüssig ist, braucht ja nicht ernsthaft darüber diskutieren, denn dann gibt es keine Fälle, dann kann auf die Anwendung des Gesetzes verzichtet werden. Die Debatte über die Aufhebung, die Debatte über die Holocaust-Leugnung und ihre strafrechtlichen Konsequenzen zeigen aber, dass es noch immer wichtig ist."

Abgrenzung und Prävention

Das Verbotsgesetz als identitätsstiftend für die Zweite Republik - so sieht das auch Oliver Rathkolb vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Das Gesetz stelle nicht nur eine Abgrenzung zum NS-Regime dar, sondern auch eine Vorbeugemaßnahme zu neuerlichen neonazistischen Umtrieben, die wieder die staatliche und demokratische Realität gefährden würden, so Rathkolb. Dabei mache die zeitliche Entfernung von der Zeit des "Dritten Reichs" das Verbotsgesetz nicht weniger wichtig: Rathkolb hält das Verbotsgesetz für nach wie vor relevant, gerade vor dem Hintergrund immer stärker werdender extremistischer Umtriebe, etwa im Internet.

Man solle nicht den Fehler machen zu glauben, dass die demokratische Grundstruktur in Stein gemeißelt sei, sagt Rathkolb: "Wir haben sowohl in Deutschland als auch in Österreich zweimal die Erfahrung gemacht, dass ein demokratisches System zerschlagen wurde. Aus diesem Grund ist es notwendig, hier eine symbolische aber auch realpolitische Barriere zu schaffen"

"Geschichtspolitisch wichtiger Schritt"

Der Zeithistoriker Rathkolb sieht in den jüngsten Entwicklungen rund um die freiheitliche Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz eine mögliche Wende im Umgang des Dritten Lagers mit dem Verbotsgesetz. Die Aussage, sie werde das Verbotsgesetz niemals in Frage stellen - und, einige Tage zuvor, auch Aussagen des freiheitlichen Partei-Obmanns Heinz Christian Strache, in denen er sich eindeutig zum Verbotsgesetz bekennt - hält Rathkolb für bemerkenswert:

"Das wäre ein geschichtspolitisch sehr wichtiger Schritt, weil erstmals seit 1949, seit der Gründung des VDU, damit der antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik wiederhergestellt wird", sagt Rathkolb. Seit 1949 und seit der Überführung des VDU in die FPÖ habe es einen ständigen Diskurs um das Verbotsgesetz gegeben, so Rathkolb. Mit diesem Schritt würde auch eine wichtige inhaltliche Debattenschiene mit der rechtsextremen Szene fehlen.

Mehr zur Diskussion um die FPÖ-Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Montag, 8. März 2010, 18:25 Uhr

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