Die neue Studienstruktur

Zehn Jahre Bologna

Gesellschaftliches Unbehagen hat sich immer wieder an den Hochschulen artikuliert. Gestritten wurde dabei immer wieder um "Reformen". Eine der aktuellen heißt "Bologna" und meint die europaweite Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit von Studien.

"Bologna den Prozess machen", "Buchhalteruniversität Bologna" und "Basta Bolognese": Schlagworte wie diese haben die Protestbewegung an den Universitäten im vergangenen Herbst geprägt. Gegärt hat die Kritik an der neuen Studienstruktur - Bachelor und Master statt Diplomstudien - schon viel länger. Unter den Professoren, die in aller Eile neue Studienpläne entwerfen mussten und oft nicht wussten wie. Auch unter den Studierenden, denen mit dem Bachelor ein kürzeres Studium vorgesetzt wurde, das aber weit verschulter und mit Inhalten überfrachteter war als seine Vorgänger.

Hat der Bologna-Prozess diese Kritik wirklich verdient? Ursprünglich hat sich dahinter nur der Versuch verborgen, einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Junge Menschen, die in Österreich studieren, sollten ohne Probleme nach Frankreich wechseln können, oder nach Schweden oder nach Russland. Und umgekehrt.

Freie Mobilität im Wissenschaftsbereich

Was kann an dieser Idee internationaler Mobilität eigentlich ausgesetzt werden? Konrad Paul Liessmann, Philosoph, Publizist und ausgewiesener Bologna-Kritiker: "Gegen das Prinzip hat niemand etwas, das ist die Idee der europäischen Universitäten schlechthin. Und zwar seit dem Bologna des 11. Jahrhunderts. Unis waren immer Orte der Internationalität, so sehr sogar, dass der Begriff der "Nation" auf die Zuschreibungen zurückgeht, die verschiedene Studentengruppen an mittelalterliche Unis aufgrund ihrer Herkunft aus den verschiedensten Teilen Europas erhielten. Freie Mobilität im Wissenschaftsbereich hat es immer gegeben, dazu brauchte man nicht die EU, Bologna und schon gar nicht die europäischen Bildungsminister."

Zehn-Jahres-Jubiläums-Konferenz

Am 10. und 11 März treffen die europäischen Bildungsminister dennoch zusammen. In Budapest und Wien versammeln sich gleich 46 von ihnen zur Zehn-Jahres-Jubiläums-Konferenz von Bologna. Eigentlich um ein Jahr zu spät, denn es war Juni 1999, als die Bologna-Erklärung unterschrieben wurde, für Österreich vom damaligen Wissenschaftsminister Caspar Einem.

Die zentralen Punkte der Bologna-Erklärung hießen: Schaffung eines europäischen Hochschulraums, Einrichtung eines vergleichbaren Leistungspunktesystems, Förderung der Mobilität, europaweite Qualitätssicherung und ein neues System von Studienabschlüssen.

Pro und Kontra

Konrad Paul Liessmann zur Umsetzung dieser Ziele zehn Jahre danach: "Den europäischen Hochschulraum gibt’s nicht, die Mobilität der Studierenden ist sogar zurückgegangen, die sogenannte Vergleichbarkeit ist ein formalbürokratischer Nonsens. Und um das zu erreichen hat man in Europa mit unglaublichen materiellen und immateriellen Kosten, über Jahrhunderte gewachsene Strukturen zerschlagen. Ich glaube, dass die Verluste, die wir hier erleben, die Vorteile, die Bologna in manchen Bereichen bietet, bei weitem übersteigen."

Eine Meinung, die Georg Winckler, der ehemalige Präsident des Verbands europäischer Universitäten und aktuelle Rektor der Uni Wien, nicht teilt. Er hat den Bologna-Prozess von Anfang an forciert und hält ihn für notwendig. Winckler: "Es gibt zwei Trends, mit denen die Universitäten konfrontiert sind und auf die man Antwort finden muss. Das eine ist, dass die Bildungs- und Berufschancen der jungen Leute zunehmend europäische Chancen werden, d.h. man will nicht nur im Inland sein, sondern auch im Ausland tätig sein. Zweitens müssen wir im Gegensatz zu früher, als das Studium so etwas wie eine Elitebeschäftigung war, davon ausgehen müssen, dass mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs studieren wird. Mehr Studierende erfordern mehr Differenzierung und in einem Land wie Österreich größere Stufigkeit des Bildungsangebots. Mit beiden Trends müssen sich die Unis auseinandersetzen. Auf beides gibt Bologna eine Antwort."

Mehr Studierende, mehr Europa

Mehr Studierende und mehr Europa: Gegen diese zwei Tendenzen, die Rektor Winckler skizziert, haben auch die Kritiker von Bologna nichts einzuwenden. Auch nicht die Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft. An der konkreten Umsetzung von Bologna gibt es aus ihrer Sicht aber einiges auszusetzen. Etwa was die von Winckler angesprochene Stufigkeit der Studien betrifft.

Wegen Bologna wurde die Struktur der meisten Studienrichtungen innerhalb weniger Jahre komplett umgebaut. Aus dem zweigliedrigen System von Diplom- und Doktoratsstudium wurde nun das dreigliedrige: Bachelor-Master-PhD. Vor allem der Bachelor steht in der Kritik. Oft, so beklagen Studenten und Studentinnen, wurden die Inhalte des früher vier Jahre dauernden Diplomstudiums einfach in die drei Jahre des neuen Bachelor gezwängt. Das führte zu einer Überfrachtung der Lehrpläne und zu einer Verschulung des Studiums.

Mehr dazu in science.ORF.at

Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 10. März 2010. 19:06 Uhr

Buch-Tipps
Ilse Schrittesser (Hg.), "University goes Bologna. Trends in der Hochschullehre, Facultas

Liesner, Andrea/Lohmann, Ingrid (Hg.), "Bachelor bolognese - Erfahrungen mit der neuen Studienstruktur", Verlag Barbara Budrich 2009

Heiner Franken, "Bachelor - Auf dem Weg zur Arbeitsmarkt-(un)-fähigkeit?!", Südwestdeutscher Verlag Für Hochschulschriften

Europäische Kommission, "Hochschulbildung in Europa 2009. Entwicklungen im Rahmen
des Bologna-Prozesses", 2009

BMWF, "2009 - Bericht über den Stand der Umsetzung der Bologna Ziele in Österreich"

The European Students' Union, "Bologna With Student Eyes" 2009

David Campbell /Angelika Brechelmacher, "Bachelor Neu und der Arbeitsmarkt", Forschungsprojekt im Auftrag der WKÖ 2007

Eurostudent III 2005 - 2008, "Social and Economic Conditions of Student Life in Europe"

Links
Bologna-Erklärung
10-Jahres-Jubiläums-Konferenz
Bologna-Prozess in Österreich