Vom Umgang mit Trauer

Wenn du wiederkommst

Anna Mitgutschs neuer Roman beschreibt eindringlich den plötzlichen Tod eines geliebten Menschen und den Umgang mit der Trauer. Die Protagonistin erzählt in Monologform die Geschichte der intensiven und komplizierten Beziehung zu dem verstorbenen Mann.

Warum ist Trauer so schwer mitzuteilen? Wäre ich vor körperlichen Schmerzen außer mir, hätten sie Verständnis, aber vor der unerträglichen Sehnsucht, die mir die Tränen in die Augen treibt und mich zu heftigen Antworten hinreißt, weichen sie zurück, als sei ich verrückt geworden.

Jerome ist tot. Der über Jahrzehnte geliebte Mann, der schwer greifbare und lebenslustige Anwalt aus Boston, der ehemalige Ehemann, für den man einst zum Judentum konvertierte, verlässt das Leben kurz nachdem man endlich zusammengefunden hat.

Unpassender Zeitpunkt

Die Ich-Erzählerin in Anna Mitgutschs neuem Roman "Wenn du wiederkommst" bleibt ohne Trost zurück. Der freiheitsliebenden Schriftstellerin, die gern zwischen Europa und den USA pendelt, wird ihr Jerome zu einem Zeitpunkt entrissen, als sich ihrer beider komplizierte von Trennungen und Versöhnungen gezeichnete Beziehung endlich zu klären und zu festigen scheint. Das Mäandern einer jahrzehntelangen Paarbeziehung wird durch den Tod in einem willkürlichen Moment eingefroren. Dieser Moment ist unpassend und lässt alles unfertig zurück.

Solange er am Leben war, konnte ich seine Widersprüchlichkeiten wie einen Feldblumenstrauß mit seinem unverwechselbaren Duft in einer Hand halten, ein wenig herb, ein wenig wild, mit der flüchtigen Süße vergangener Zärtlichkeiten, und alles konnte nebeneinander bestehen. Was es zusammenhielt war das Vertrauen, dass wie trotz aller Bocksprünge und Eskapaden immer füreinander da sein würden. Jetzt ist alles in unvereinbare Bestandteile zerfallen. (...) Und ich bleibe auf meiner Liebe sitzen wie auf einem Sack voller Lügen.

Trauer-Feier

Die Erzählerin fliegt nach Boston, wo sie von ihrer erwachsenen Tochter in Empfang genommen wird - und von der Verwandtschaft Jeromes sowie von Freunden der Familie. Als geschiedene Ehefrau werden ihr keine großen Rechte zugestanden, teilweise begegnet man ihr sogar feindselig.

Vom Schmerz zerrüttet bringt sie die Schiwa hinter sich. Vom ursprünglichen Sinn der jüdischen Trauerwoche, in der sich die Hinterbliebenen, liebevoll und diskret von Verwandten und Freunden umsorgt, ihrer Trauer hingeben dürfen bis zur körperlichen Vernachlässigung, ist hier allerdings nicht mehr viel übrig. In ihrer angelsächsischen Variante wird sie zu einer gesellschaftlichen Verpflichtung. Statt sich im Schmerz gehenlassen zu können, muss die trauernde Gastgeberin in einer traurigen Dauerparty mit Catering spielen.

Sie muss ertragen, dass ihr Geliebter zur Anekdote unbekannter "Freunde" wird und dass sich eine Rivalin als Witwe aufspielt. Außerdem mahnen die Trauergäste ständig das Leben ein, geben der Trauernden eifrige Anleitungen zum Vergessen. Mehrmals wird der Satz "Life must go on" als eine Art Durchhalteparole ausgesprochen. Er tröstet die Trauernde nicht. Für sie ist er ein Sich-Abwenden vom geliebten Toten und daher eine Kränkung.

Ihre Selbstgewissheit erbittert mich, ich betrachte sie, wie sie essen und trinken, wie sie lachen und sich über vieles andere, nur nicht über Jeromes Tod und unseren Verlust unterhalten. Alles führt von ihm weg, in ein Leben, an dem er nicht mehr teilhat.

Erinnerungen, die nicht Vergangenheit werden

Anna Mitgutsch schildert die Stadien des Lebens zwischen Verlust und Sehnsucht, in denen die zurückbleibenden Dinge wie die Kleidung mit dem vertrauten Geruch, die Stimme auf dem Anrufbeantworter, die Fotos, die noch vom Verstorbenen eingekauften Lebensmittel mit ihrem frechen Ablaufdatum zur Qual werden. Durch das Verschwinden der gemeinsamen Sprache der Liebenden verarmt die Wirklichkeit. Die ins Leere laufende Sehnsucht lässt sich durch nichts beruhigen.

Die Erinnerungen sind so gegenwärtig, dass sie nicht Vergangenheit werden können, sie schicken unsere Sehnsucht in eine Zukunft voraus, von der wir wissen, dass sie für alle Zeiten von uns abgeschnitten ist. Diese Sehnsucht immer wieder im Aufkeimen zu ersticken, erscheint mir als die eigentliche Grausamkeit des Todes.

Schmerzhafter Zweifel

Die Tochter der Ich-Erzählerin findet Trost in der Religion.

Wenn ich Kaddisch sage, erklärt sie mir, rede ich mit ihm und gleichzeitig über ihn. (...) Vielleicht, überlegt sie, ist Trauer gar nicht anders möglich als in ritualisierten Formen, sonst wird sie zu maßlos, zu gefährlich.

Die Ich-Erzählerin kann sich nur ein kleines Stück weit mit der neuen Situation versöhnen. Beim Auflösen des Haushaltes und Durchsehen der Dinge, beginnt sie immer mehr zu hinterfragen, ob Jerome sie überhaupt so sehr geliebt hat, wie sie dachte. Ein schmerzhafter Zweifel bleibt für immer stehen.

Keine Botschaften zwischen hier und drüben

Anna Mitgutsch entwirft in dieser intimen wie welthaltigen Geschichte eine Anatomie der Trauer. Trost gibt es keinen. Denn eine Botschaft dieses Trauerbuches widerspricht allen Aufforderungen von wohlmeinenden Ratgebern, die dazu anleiten, den Tod nicht zu verdrängen, sondern ihn "als Teil des Lebens" zu akzeptieren.

Wer für den Tod Metaphern findet, war ihm nie wirklich nah genug. Vor dem Tod haben Denken und Phantasie ein Ende. (...) Der Tod hat am Leben keinen Anteil, und es gibt keine fließenden Übergänge, er ist nicht der entfernte Pol eines begehbaren Spektrums, sondern ein Bruch. (...) Es gibt keine Botschaften, die zwischen hier und drüben hin- und hergehen, nicht in der sichtbaren Welt, nirgends. Vor dem Tod gibt es keine Gegenwart.

Der Tod bricht immer unzeitgemäß ins Leben ein. Er löst weder etwas auf, noch wandelt er etwas um. Er beendet. Man kann ihn nicht annehmen. Er ist und bleibt die offene Frage.

Service

Anna Mitgutsch, "Wenn du wiederkommst", Luchterhand

Luchterhand - Anna Mitgutsch