Mit zarten Händen

Das Streichelinstitut

Was macht ein Ex-Philosophiestudent, der nicht mehr weiß, wie er seine Miete, Weine und Handyrechnung bezahlen soll? Bei Clemens Berger eröffnet er ein Streichelinstitut. Was er dort so alles erlebt, erzählt Berger mit viel Charme und Leichtigkeit.

Der Anfang des Romans ist schon mal nicht schlecht:

Meine Zielgruppe war die desillusionierte Mittelschicht, das traurige, kulturell deklassierte Bürgertum, das ich Lumpenbourgeoisie nenne.

Der von Clemens Berger ersonnene Protagonist, ein sanftfingriger Ex-Philosophiestudent, hat eine Marktlücke entdeckt. In einer kleinen, kuscheligen Wohnung in der Mondscheingasse in Wien-Neubau richtet er ein sogenanntes "Streichelinstitut" ein. Hier, so die Geschäftsidee, können sich emotional zu kurz Gekommene nach Lust und Laune verwöhnen lassen. Severin Horvath, so nennt sich der Berufsstreichler in spe - in Wirklichkeit heißt er Sebastian -, verspricht seinen Kunden Erleichterung, Entspannung, "Kontakt zum ureigensten Selbst", wie das im Wellness-Neusprech unserer Tage so schön heißt.

Mit PR zum Erfolg

Nachdem die Kosepraxis eingerichtet und eine trendige Homepage erstellt ist, gibt Severin ein Inserat in einer bekannten, linksliberalen Wiener Stadtzeitung auf:

"Fehlen Ihnen Nähe, Zärtlichkeit, sanfte Berührung? Severin streichelt in der Mondscheingasse. Einheiten im Fünfundvierzigminutentakt. Keine Berührungen unter der Gürtellinie."

Das kann Severin nicht durchhalten, nicht ganz, aber allzu viel soll hier nicht verraten werden.

Gesellschaftskritischer Ansatz

Clemens Berger hat einen auf den ersten Blick charmanten Unterhaltungsroman geschrieben, ein Werk mit satirischem Zugriff, das sich auf amüsante Weise mit Eso-Wahn und Wellness-Boom auseinandersetzt. Das allein würde den gebürtigen Burgenländer freilich nicht zufriedenstellen. Er habe mit seinem Buch schon auch einen gesellschaftskritischen Ansatz verfolgt, erklärt Clemens Berger:

"Was bei Marx 'Das Opium des Volkes' hieß, sind heute die diversen Esoterik-Angebote, die genau zum herrschenden Kapitalismus passen. Immer geht es darum, alles aufs Individuum zurückzuführen. Wir bekommen immer zu hören: Man ist selber schuld, wenn etwas nicht gelingt; es liege immer nur an einem selbst, ob man mit Problemen fertig wird oder nicht. Dadurch werden natürlich alle anderen Fragen - was hat das mit der Gesellschaft zu tun, was hat das mit den Verhältnissen zu tun, unter denen wir produzieren und tätig sind - das alles bleibt dabei außen vor."

Jung-Geisteswissenschaftler von heute

Dieser Kapitalismus-kritische Ansatz bleibt allerdings mehr Behauptung denn textlich fixiertes Faktum in Bergers Roman. Im Wesentlichen hat der 31-Jährige ein Generationenporträt der Jung-Geisteswissenschaftler von heute geschrieben. Kaum der Quarterlife-Crisis entronnen, wissen die ausgelernten Philosophen, Soziologinnen, Politologen oft nicht, was mit sich anfangen, beruflich, beziehungsmäßig, existenziell und überhaupt.

Severin Horvath zum Beispiel, der Berufsstreichler. Er war früher einmal linksradikal: Horkheimer, Adorno, Foucault - die ganzen Radical-Chic-Heroen aus dem Hause Suhrkamp hat er gelesen. Wie übrigens auch seine Freundin Anna, Assistentin am Philosophie-Institut. Aber von irgendetwas muss der Mensch schließlich leben, Bücher, Weine, Miete, Strom- und Handyrechnung, irgendwie wollen die finanziert sein. Warum also kein Streichelinstitut gründen? Die Leute schmeißen ihr Geld schließlich für die bizarrsten Dinge raus, denkt sich Severin. Wieso nicht auch für professionelle Kosekünste.

Die ersten Stammkunden

Severin Horvath beantragt also einen Gewerbeschein, bekommt auch einen, als "Lebensberater", und es kann losgehen. Die ersten Kunden melden sich. Herr Nemeth zum Beispiel, ein emotional gehemmter Ministerialbeamter mit Zärtlichkeitsdefizit. Er sei so lange nicht mehr gestreichelt worden, erklärt Herr Nemeth im Erstgespräch, er sehne sich nach menschlicher Berührung. Der letzte Mensch, der ihn gestreichelt habe, sei sein Vater gewesen. Ob Severin ihn streicheln könnte wie weiland der Vater.

Severin geht ans Werk - und aquiriert seinen ersten Stammkunden. Die nächste Klientin ist Frau Dr. Fischer, eine attraktive Frühvierzigerin.

"Wie werden Sie denn gern gestreichelt?" fragte er.
"Sind Sie der Streichler oder ich? Und sagen Sie ja nicht, Sie wissen nicht, wie man eine Frau anfasst..."
Sie drehte ihre Vorderseite wieder der Wand, die Rückseite mir zu, ich begann an den Schultern, sehr sanft, drehte meine Hand um und ließ die Fingerglieder über ihre Haut streichen, das Genick entlang, die Wirbelsäule hinunter. Wie gut sie roch. Wie straff ihre Haut war. Wie muskulös für eine Dame. Ich schloss die Augen und ließ meine Hände treiben, Frau Dr. Fischer seufzte bisweilen leise, sagte "Ja" oder "So", "Genau" oder "Jaja", was mich länger und nachdrücklicher ihre Seite entlangfahren ließ. Nur um die Brüste machte ich einen weiten Bogen.

Warme Hände in kalten Zeiten

Die Dreiviertelstunde mit Frau Dr. Fischer wird zum streichlerischen Triumph. In einer der nächsten Stunden wünscht die Klientin nach den Prinzipien der Yoni-Massage behandelt zu werden, eine tantrische Form der Massage sei das, erklärt Frau Dr. Fischer, da gehe es nicht um sexuelle Erregung, sondern um "lebendiges Fühlen und Genießen."

Severin erweist sich auch auf dem Gebiet der Yoni-Massage als Ausnahmekönner. Kein Wunder, dass die Dinge in der Folge eine gewisse Eigendynamik entwickeln, beruflich wie privat. Severins Streichelinstitut floriert, erst recht, als die Wiener Stadtzeitung auch eine Coverstory über ihn bringt. Titel: "Severin Horvath - Streicheln in kalten Zeiten". Nichts scheint den Protagonisten des Romans, einen streichlerischen High-Performer, auf dem Weg zum Jungunternehmer des Jahres noch aufhalten zu können.

Mit Worten streicheln

Zwei Jahre lang hat Clemens Berger an seinem neuen Roman gearbeitet. Ein Schuss Frivolität und ein erstaunliches Maß an erzählerischem Charme verbinden sich in diesem Buch zu einem Erzählwerk von fast schon glattaueresker Leichtigkeit.

"Es hat natürlich auch mit der Hauptfigur zu tun, mit Sebastian und seinem Blick auf die Welt", sagt Berger. "Der Sebastian ist ein ziemlich leichter Charakter, der mir sehr sympathisch war, teilweise auch nicht sympathisch war, aber auf jeden Fall, mit dem ich zwei schöne Jahre verbracht habe."

Clemens Berger streichelt mit Worten in seinem Roman. Allenfalls kann man sich fragen, ob es der Geschichte nicht an existenziellem Tiefsinn gebricht und ob der Plot tatsächlich volle 350 Seiten trägt. Manchmal mäandert der Roman doch allzu ausufernd und plauderselig dahin, so leichtblütig Berger im Großen und Ganzen auch zu schreiben versteht. Eine couragierte Kürzung um, sagen wir, hundert Seiten hätte dem Werk gut getan: im Sinne der Leichtigkeit.

Service

Clemens Berger, "Das Streichelinstitut", Wallstein Verlag

Wallstein Verlag - Das Streichelinstitut