Ohne Wasser kein Leben

Die Zukunft des Wassers

Mit dem Wasser, dem Lebenselement, seiner Faszination, aber auch seinen Gefahren, hat sich der französische Schriftsteller und Ökonom Erik Orsenna auseinandergesetzt. Sein neues Buch führt den Leser in die entferntesten Regionen der Erde.

Ein facettenreicher Charakter, ein emotional ansprechendes Wesen - Erik Orsenna widmet sich dem chemisch so schlichten Wasserstoffdioxid mit geradezu leidenschaftlicher Hingabe und nennt es ausdrücklich eine "Persönlichkeit". Dem französischen Autor sind zu Substanz, Wesen und Wert des Wassers nicht weniger als 300 Seiten eingefallen - oder: 15 Kapitel, die zugleich eine Weltreise beschreiben.

260 Liter Wasserverbrauch pro Kopf und Tag in Australien

Ausgangspunkt dieser Reise ist Australien, das - wegen der Klimaerwärmung - immer stärker an Wassermangel leidet. Die viereinhalb Millionen Australier sind aber auch - mit 260 Liter Wasserverbrauch pro Kopf und Tag - nach den Kanadiern die größten Wasserverschwender der Erde. Dazu kommt noch, dass die äußerst produktive Landwirtschaft Australiens völlig von den beiden größten Flüssen und deren stark schwankender Wasserführung abhängt. Zur Kompensation hat man, als die Niederschlagsquellen in Summe noch ausreichten, Stauseen angelegt. Seit aber der Regen immer öfter ausbleibt, haben die Bauern begonnen, Speicher für den Eigenbedarf zu bauen - und so den Flüssen noch weiter buchstäblich das Wasser abgegraben.

Hier sei, so konstatiert der Autor, radikales Umdenken notwendig - nicht nur in Richtung einer Rationierung des Wassers nach der Größe der Anbauflächen. Es gehe vor allem auch darum - und hier dient Australien bloß als Exempel -, mit gewissen Absurditäten Schluss zu machen, zu denen beispielsweise die australische Agrikultur durch pseudo-wirtschaftliche Methoden der Gewinnmaximierung gedrängt worden sei.

Ist es die Aufgabe Australiens, Reis zu produzieren, um ihn nach Japan zu verkaufen? Der Liberalismus sagt, alles hängt von den jeweiligen Produktionskosten ab. Aber mit welchem Preis schlägt das Wasser zu Buche? Wenn das Wasser (...) wie gegenwärtig annähernd kostenlos ist, lohnt sich der Reisanbau. Aber wenn das Wasser zugeteilt wird, machen Thailand und Malaysia, die auf natürlichem Wege besser bewässert werden, das Rennen. Kein Land verurteilt die Subventionen Europas für seine Landwirtschaft so ostentativ wie Australien, indem es für den freien Wettbewerb eintritt. Dabei vergisst es das Wichtigste: Sage mir, wie viel Du für Dein Wasser bezahlst, und ich werde Dir sagen, welche heimlichen Subventionen du erhältst.

Überschwemmungen und Dürre in China

Dass Wasser auch Elend und Tod bringen kann, zeigt Erik Orsenna eindringlich am Beispiel Kalkuttas, wo - wie in allen anarchisch wuchernden Großstädten - Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung nicht funktionieren und deshalb immer wieder Seuchen wüten.

Das Kapitel Bangladesch in Orsennas Wasser-Monographie ist vollends mit "Alle Übel dieser Welt" überschrieben: Millionen Menschen, die Ärmsten der Armen, finden dort nur auf den sogenannten Chars, instabilen Sandinseln inmitten der riesigen Flüsse, prekären Lebensraum. Durch Überschwemmungen verlieren sie immer wieder all ihr Hab und Gut, viele sterben auch in den Fluten. Zudem ist das Wasser in Bangladesch arsenverseucht.

Die Volksrepublik China hat, je nach Region, sowohl gegen Überschwemmungen als auch gegen extreme Trockenheit zu kämpfen. Der Autor berichtet vom Projekt des sogenannten "Großen Kanals", der längsten künstlichen Wasserstraße der Welt, vom Drei-Schluchten-Staudamm, der die Überschwemmungen des Yangtse-Flusses drosseln soll und zu dessen Verwirklichung Millionen Menschen umgesiedelt wurden; und vom riesigen Problem der Flussvergiftung: Bereits ein Drittel der chinesischen Flüsse ist stark kontaminiert.

Wiederaufbereitung von Abwasser in Israel

Als Musterbeispiel für Forschung und Innovation im Wasser-Management wird Israel beschrieben. Die dortigen Wissenschaftler seien weltweit führend auf dem Gebiet der Wiederverwendung von Abwasser, entwickelten neue Techniken zu Entsalzung und Entgiftung und forschten zu genveränderten, an die trockene Umwelt speziell angepassten Nutzpflanzen.

Weniger mustergültig verhalte sich Israel freilich, was die gerechte Verteilung des Wassers angeht - ein nicht unwesentlicher Punkt im andauernden Konflikt mit den Palästinensern. Ihnen, so zitiert der Autor einen arabischen Ingenieur, werde das Wasser gestohlen. Und zwar provokant: Wo es früher palästinensische Brunnen gegeben habe, dort stünden heute nicht selten israelische Siedlungshäuser - manche davon mit Swimmingpool.

Wie kann ich deren Existenz meinen Bürgern erklären, die an kein Wassernetz angeschlossen sind. (...) Wann werden die Israelis begreifen, dass jedes Schwimmbad hundert Terroristen hervorbringt?

Politischer Faktor

Wasser sei durch seine "doppelte Natur" - seine Bedeutung für das Leben schlechthin und seine symbolische Kraft - immer politisch und unterstehe stets einem politischen Regime, schreibt Orsenna.

Im Bereich angewandter Politik, zum Beispiel in der Frage staatlicher oder privater Wasserversorgung, gibt es für ihn allerdings keine Patentrezepte - Ineffizienz, Korruption oder Eigennutz finden sich schließlich auf beiden Seiten gleichermaßen.

Kein Patentrezept

Die wenig überraschende Conclusio: Eine Patentlösung der vielfältigen Probleme, die Menschen rund um den Erdball mit dem Wasser haben, gebe es ebenso wenig wie etwa eine allgemeine "Wasserkrise".

Die Klimaerwärmung wird eher eine Zunahme der globalen Wassermenge mit sich bringen, bei gleichzeitiger Verschärfung der regionalen Unterschiede. Die lokalen Konflikte werden zunehmen und aufgrund des explosionsartigen Bevölkerungswachstums erbitterter werden.

Anders gesagt: Eine, nämlich die Zukunft des Wassers gibt es nicht. Insofern straft der Verfasser den Titel seines eigenen Buches Lügen. - Und er geht recht kursorisch zu Werk: Wer detaillierte Analysen erwartet, wird sicher enttäuscht.

Anderseits: Was Erik Orsenna da unter einem unglücklichen Titel zusammengetragen hat, ist brillant erzählt, gibt eindrucksvolle Einblicke in unterschiedlichste Lebenswelten und vermittelt sehr brauchbare Perspektiven. Es ist eine Art "literarisches Sachbuch", dessen An- und Einsichten durchaus dazu geeignet sind, im Gedächtnis haften zu bleiben und ein bisschen nachzuhelfen - und sei es nur beim alltäglichen Gedankenmachen darüber, wie oft und wozu wir den Wasserhahn aufdrehen.

Service

Erik Orsenna, "Die Zukunft des Wassers. Eine Reise um unsere Welt", C. H. Beck

Verlag C. H. Beck