Zwänge der Krise

die alarmbereiten

Kathrin Röggla interessiert vor allem eines: Wie es denn möglich sei, Menschen in jene Alarmbereitschaft zu versetzen, die ihrem Buch den Titel gibt. Nicht individuelle Wege aus dem Krisenzwang zeigt sie auf, sondern die Zwänge der Krise selbst.

Eine Frage geistert (seit einigen Jahren) schon durch das Werk von Kathrin Röggla: Wie schauen die Katastrophen des 21. Jahrhunderts aus? Die sozialwissenschaftliche Forschung, die die Autorin kennt, ist sich einig: Die Katastrophe ist heute kein punktuelles Ereignis mehr, sondern zu einem Dauerzustand geworden.

Für die alten Fiktionen der Katastrophe, für Killertomaten, Riesenameisen und mutierte Affen bietet eine solche Welt keinen Platz mehr. Denn dort, wo die Narrative der Wirtschaft und der Politik selbst zu Katastrophenerzählungen geworden sind, tritt an ihre Stelle das Reale: Klimaerwärmung und Finanzkrise, Terrorangst und Shareholder-Values; Tsunamis, Überschwemmungen, Erdbeben – weltweit übertragen in ein jedes Wohnzimmer.

Neue Erzählform

Wie nun aber richten wir uns in diesen neuen permanenten Katastrophen ein? Dass andere Erzählformen nötig sind, um zu beschreiben, wie es den Menschen damit geht, hat Kathrin Röggla schon in ihrem Buch "wir schlafen nicht" (aus dem Jahr 2004) gezeigt. Die Grundlage dort boten (noch vor der Wirtschaftskrise) Gespräche mit Vertretern der neuen Wirtschaftswunderwelt.

In ihrem neuen Buch, "die alarmbereiten", treibt Röggla jetzt diese Schreibtechnik um einen Schritt weiter. Falls noch Interviews geführt wurden, sind diese im Text als solche nicht mehr erkennbar. Und noch bevor der Text als Buch erschien, war er (in geringen Modifikationen) bereits als Hörspiel und als Theaterstück erfolgreich.

Immer wieder neue Katastrophen-Szenarien

Von kleinen Textmonstern, die die insgesamt sieben Abschnitte des Buches sind, spricht Röggla folgerichtig in einem Interview. Das formales Vorbild der Texte bot das Szenario und damit genau jener Mechanismus, über den die Installation der permanenten Katastrophe in der Gesellschaft funktioniert. Ständig werden heute Szenarien entworfen, ganze Berufsgruppen leben davon: Was passiert, wenn die Erde sich um zwei Grad erwärmt? Eine Person die Sicherheitsschranke eines Flughafens durchbricht? Eine Notenbank die Zinsen senkt? Usw. usf.

Das Szenario hat keinen Anfang und kein Ende, es ist präsent und unausweichlich, und genau diese Wirkung entfalten dann auch die Textszenarien in Rögglas Buch. Gezeigt werden Menschen, die keine Wahl haben. Alarmierte Menschen, die stets mit dem Schlimmsten rechnen.

Keiner entkommt dem Szenario, scheint Röggla uns in ihren Szenarien zu sagen, und damit diese Aussage eine entsprechende Breite bekommt, dekliniert sie in den sieben Abschnitten des Buches die verschiedensten Gesprächsituationen und Themen durch.

Verrückte Kassandra

Relativ undurchsichtig blieb mir gleich das erste Szenario mit dem Titel "die zuseher". In ihm geht es um eine Sitzung, in der Vertreter der Wirtschaft den Umgang mit künftigen Katastrophen besprechen. Möglicherweise ist das Ganze aber auch nur eine Simulation auf zweiter Ebene, veranstaltet von einer Agentur für "desastertourism".

Mit dem zweiten Stück des Buches, "die ansprechbare", präsentiert sich Rögglas Schreiben gleich auf dem Höhepunkt. Gebrochen durch Konjunktiv und indirekte Rede wird hier ein Telefongespräch zwischen zwei Freundinnen beschrieben, in dem sich die beiden Gesprächspartnerinnen an Klima- und Weltuntergangsängsten überbieten, ganz so als wäre eine antike Kassandra an sich selbst verrückt geworden.

Alle werden Experten

Die Finanzkrise ist Thema des dritten Abschnittes. "der übersetzer" heißt das Stück deshalb, weil es in ihm um den Besuch eines Wirtschaftsseminars geht, in dem ein besonders beflissener Teilnehmer einer Kollegin die Fachausdrücke der Krise näherbringt, in einem Tonfall maßlosen Unverständnisses. Die Katastrophe (so zeigt sich) hat einen Imperativ: alle müssen zu Experten werden.

Dass dies nicht allein für die Wirtschaftskrise gilt, sondern zum Beispiel auch für den viel kleineren schulischen Bereich, beweist das - sehr anschauliche - Szenario "die erwachsenen". Eine Mutter spielt da bei den Expertengesprächen, veranlasst von allen möglichen Problemen, die ihre Tochter in der Schule angeblich macht, nicht mehr mit, und wird dann doch wieder ins Krisengespräch gezwungen.

Die Medien im Visier

In den letzten drei Abschnitten ihres Buches nimmt Röggla die Medien ins Visier. Auch hier interessiert die Autorin vor allem eines: Wie es denn möglich sei, die Menschen in jene andauernde Alarmbereitschaft zu versetzen, die ihrem Buch den Titel und das Programm gibt.

Nicht individuelle Wege aus dem Krisenzwang (die man von Literatur vielleicht schon wieder hätte erwarten können), sondern die Zwänge der Krise selbst zeigen solcherart "die alarmbereiten" auf. Insgesamt handelt es sich bei dem Buch um einen doch recht modellhaften und didaktischen Text mit einem dann auch passenden, formelhaften Schluss:

vorsicht auf der a7 hannover richtung kassel: zwischen derneburg/salzgitter und dreieck salzgitter befinden sich personen auf der fahrbahn.

Genau davon, von Personen, und eben nicht nur von den Fahrbahnen, auf denen sie unterwegs sind, hätte ich mir ein klein bisschen mehr gewünscht. Aber gerade in Zeiten der Katastrophe kann man (eben auch von Literatur) nicht alles haben.

Service

Kathrin Röggla, "die alarmbereiten", s. fischer