Die Schattseite des Zürichsees

Die Pfnüselküste

Die Goldküste am Nordufer des Zürichsee kennt jeder: Dort wohnen die Reichen und Schönen der Schweiz. Die Pfnüselküste am linken Ufer hingegen war lange Zeit wegen des früher auftretenden Schattens weniger angesagt. Das hat sich geändert.

Von Zürich, das sich an seinem Nordwest-Ufer ballt, reicht er bis Rapperswil - das sind rund 28 Kilometer, zusammen mit dem Obersee sind es 42 Kilometer. Er liegt schmal ausgestreckt zwischen den Hügeln des Zimmerbergs und des Pfannenstiles. An seiner breitesten Stelle zwischen Stäfa und Richterswil hat er nur 3,85 Kilometer. Zwischen Rapperswil und Pfäffikon liegen zwei Inseln, die bewohnte Ufenau und die unbewohnte, unter Naturschutz stehende Lützelau.

Das rechte Ufer des Zürichsees wird "Goldküste" genannt. Grund dafür ist die Sonnenlage und der Umstand, dass hier eher einkommensstarke Bevölkerungsschichten zu Hause sind, die "Reichen und Schönen" von Zürich, aber auch, wie man hört, zunehmend Russen. Das linke Ufer, an dem sich seit jeher eher diverse Fabriken und Industrie-Betriebe angesiedelt hatten, wird eher abfällig "Pfüselküste" - übersetzt: "Schnupfenküste" - genannt. Diese Pfnüselküste hat bei genauerer Betrachtung einiges Bemerkenswertes - vor allem auf kulturellem Terrain - zu bieten.

Naherholungsgebiet Halbinsel Au

Immer gegenwärtiges Geräusch an der Pfnüselküste, also am linken Ufer des Zürichsees, ist nicht nur das Geschnatter der Wasservögel und der Wellenschlag des Sees, sondern auch das Rattern der Züge. Denn während an der Goldküste die Bahn auf dem Hügel verläuft, um die Villen mit Seezugang nicht zu stören, wurden die Gleise an der Pnüselküste direkt am Ufer verlegt. Für die Reisenden ein angenehmer Umstand, für die Bewohner eine lästige Notwendigkeit, die zwar Mobilität bringt, aber zu einem hohen Preis.

Der direkte Zugang zum See ist durch die Zäune entlang der Bahntrasse oft nicht möglich. Dafür ist per Zug auch ein hübsches Ausflugsziel zu erreichen: die Halbinsel Au. Dort befindet sich, wer hätte das gedacht, ein kleines Weinbau-Museum. Es ist in einer alten, geräumigen Scheune untergebracht. Es beherbergt einen Verkostungsraum, verschiedenste Gegenstände des Weinbaus, alte Fässer, Arbeitsgeräte, eine 250 Jahre alte Baumpresse, sowie eine Hagel-Kanone.

Das Weinbaumuseum arbeite eng mit dem Kompetenzzentrum am Zürichsee - kurz KOMPAZ genannt - zusammen. Dieses Zentrum setzt sich umfassend mit Themen und Fragstellungen rund um den Zürichsee auseinander. Man versucht visionär zu denken und vor allem die Kommunikation zwischen den einzelnen Institutionen und Interessensgruppen zu fördern. Der Zürichsee wird als zusammenhängendes System verschiedener Aspekte wie Trinkwasser- und Gewässerqualität, Hochwasserschutz, Natur, Landschaft, Siedelung, Verkehr, Erholung und Wirtschaftsraum verstanden.

Die Villa zum Abendstern

Am linken Ufer des Zürichsees liegt ein eigentlich unscheinbares Haus mit Turm: die "Villa zum Abendstern". Sie spielt im Roman "Der Gehülfe", den Robert Walser 1907 in Berlin schrieb und ein Jahr später im Verlag Bruno Cassirer veröffentlichte, eine wichtige Rolle.

Erzählt wird die Geschichte des Comis Joseph Marti, der in Bärenswil, eine gute Dreiviertelstunde Eisenbahnfahrt von der großen Kantonshauptstadt, im Haus des Erfinders Tobler eine Anstellung als "Gehülfe" findet. Robert Walser, geboren 1878 in Biel, arbeitete einige Jahre als Bürohilfe in verschiedenen Städten in der Schweiz bis er nach Berlin zog, um dort als freier Schriftsteller zu leben. Er kehrte schließlich wieder in die Schweiz zurück und ließ sich 1929 nach anhaltenden Angstzuständen und Halluzinationen in die Psychiatrische Heilanstalt einliefern. Dort verbrachte er den Rest seines Lebens. Am ersten Weihnachtsfeiertag 1956 starb er an einem Herzschlag bei einer Wanderung durch ein Schneefeld.

Dichtung und Wahrheit

Im Jahr 1903 hatte er tatsächlich ein halbes Jahr in Wädenswil in der "Villa zum Abendstern" verbracht und seine Erfahrungen in einem Roman niedergeschrieben. "'Der Gehülfe' ist ein ganz und gar realistischer Roman. Ich brauchte fast nichts zu erfinden. Das Leben hat das für mich besorgt", sagte Robert Walser einst zu Carl Seelig. Heute kann man sich bei einem Besuch der Villa in Wädenswil selbst davon überzeugen.

Das Haus wurde auf Initiative des Literaturwissenschaftlers Bernhard Echte schon vor Jahren renoviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Interessantes Detail: Der Walser-Forscher wohnt mit seiner Frau auch in diesem Haus mit Kupferturm an der Pfnüselküste.

Theater, Musik & Kleinkunst

In der Kleinstadt Wädenswil, die Robert Walser als "Bärenswil" verewigt hat, steht - direkt an der Bahn und am Seeufer - ein weiteres bemerkenswertes Gebäude. Es fällt schon durch seine ungewöhnliche Farbe aus. Während die meisten Häuser des Ortes weiß oder pastellfarbig gestrichen sind, hat die ehemalige Bäckerei eine dunkelgraue, fast schwarze Fassade. Allerdings lässt schon die Leuchtschrift "Theatro Ticino" auf reges Leben innerhalb dieser dunklen Wände schließen.

Geleitet wird das Theatro Ticino von Ueli und Martin Burkhardt. In dem quadratischen Raum lassen sich die Sitzreihen flexibel gestalten, eine Tribüne lässt das etwa 100 Zuschauer fassende Theater größer erscheinen.

Die unterschiedlichsten Projekte von Sprech-Theater, Kabarett bis zu Konzerten lassen sich hier stimmungsvoll aufführen. Die Akzeptanz des Ticino in der Bevölkerung zeigt sich zwar nicht in hohen Subventionen - das Ticino wird nur zu 13 Prozent aus öffentlichen Geldern finanziert, sondern darin, dass die restlichen 87 Prozent auch mithilfe eines gut funktionierenden Fördervereins und mit den Einnahmen aus dem Theater und dem angeschlossenen Restaurant aufgebracht werden. Im Jahr 2003 konnte das Ticino komplett umgebaut und sein Innenleben modernisiert werden.

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