Mein Fräulein!
Johann Nestroy, Sämtliche Briefe
29. September 2010, 00:35
Nicht nur der Brief an und für sich, mehr noch die, bey möglicherweise gänzlicher Erfolglosigkeit desselben, gewagte Länge dieses Briefes, ist das, was Sie in Staunen setzen wird. Ohne Ihre Geduld durch die landesüblichen Entschuldigungen noch mehr zu ermüden, eile ich sogleich zur Sache.
Da ich keinen Abend ohne Theaterbesuch verlebe fügte es sich, daß ich Sie sah, daß ich Sie in Stadt- und Vorstadt-Theater wiederholt gesehen. Ich glaube kaum, daß ich das Glück hatte, von Ihnen bemerkt worden zu seyn; man wird ja gewöhnlich übersehen, wenn man, wiewohl vielleicht mit einigen Ansprüchen auf Eroberungen ausgerüstet, sich an der Seite der Gemahlin, und somit als Ehekrüppel präsentiert. Das einemahl waren sogar, die zweyte Loge neben mir, ein Paar Dandys, denen Ihr Operngucker nicht ohne Wohlgefallen sich zuzuwenden schien, der Gegenstand meines stillen Neides.
Demungeachtet, mein Fräulein, wage ich es, in diesen Zeilen das auszusprechen, was Sie von vielen Andern, und oft werden gehört haben; ich sage Ihnen nehmlich, daß Sie, liebenswürdig und interessant in hohem Grade, der Gegenstand meiner glühendsten Wünsche sind.
Wie werden Sie diese Worte aufnehmen? vielleicht werden Sie mich als zudringlichen Unbekannten auslachen, vielleicht sogar, wenn Sie, was beynahe nicht anders denkbar ist, einen Geliebten haben, in Compagnie mich auslachen. Dieser Gefahr stelle ich mich bloß, aber ich kann es thuen, erstens, weil Sie in diesem Falle nur über einen Unbekannten lachen, und zweytens, weil mir dann immer noch der Trost bleibt, Sie hätten mich vielleicht nicht ausgelacht, wenn Sie sich die Mühe genommen hätten den Unbekannten kennen zu lernen. Ich kenne Ihre Lebensverhältnisse nicht, und habe meinem Bedienten, welcher beym Nachhausegehen Ihren Schritten folgen mußte, und welcher von einem auf der Treppe stehenden Individuum, wenn auch in etwas unfreundlichem Tone, Ihren Nahmen erfuhr, jede weitere Neugier, welche Ihnen, wenn Sie Kunde davon erhalten hätten, verletzend hätte erscheinen können, aufs Strengste untersagt.
Meine Ansicht ist die; junge schöne Damen mögen in was immer für Lebensverhältnissen seyn, ein im Stillen begünstigter, beglückter, und dafür dankbarer, discreter Freund ist nie unbedingt zu verwerffen, und selbst, wenn Sie Braut seyn sollten, dürfte Ihnen nach den Flitterwochen ein derart geheimer Freund nicht ohne Nutzen seyn. Wenn Sie in diese meine Ansicht eingehen, mein Fräulein, und darauf kömmt Alles an, dann hoffe ich, daß Sie das, was ich Ihnen alsbald proponieren werde, nicht zurückweisen dürften. Ich habe nur noch vorauszuschicken, daß ich mehrere Tage unschlüßig war, über die Art und Weise, wie ich mich Ihnen nähern sollte. Ich wählte endlich dennoch den, durch die Ungewißheit, ob der Brief in ihre Hände kommen wird, oder nicht, etwas gefährlichen brieflichen Weg, und verwarf den ersten Plan, nach welchem ich eine Gelegenheit, Sie auf der Straße anzusprechen, abwarten wollte, einen Plan, welcher Sie wahrscheinlich verletzt, und mich von dem ersehnten Ziele nur entfernt haben würde.
Sie werden mir die Umständlichkeit meiner Proposition vielleicht als Unbeholfenheit auslegen, sie hat aber ihren Grund einzig nur darin, daß ich es nicht über mich gewinnen kann, mich einer jungen Dame, in die ich mehr als gewöhnlichen Werth setze, auf die zwar gangbarste, aber etwas ordinäre Weise zu nähern. Der Vorschlag, den ich Ihnen nun mache ist folgender. Ich wähle eine unverdächtige Stunde halb Zwey Uhr Mittags; ich wähle einen unverdächtigen Ort, die Prater-Hauptallée. Ich werde früher schon mich unten befinden, und Morgen Donnerstag Punct halb Zwey Uhr langsam vom untern Ende der Haupt-allée, vom Rondeau nehmlich, nach dem oberen Ende derselben, nach dem Prater-Stern zufahren.
Wenn Sie, mein Fräulein zur selben Zeit halb Zwey Uhr vom Praterstern nach dem Rondeau hinunterfahren, so werden unsere Wagen sich begegnen. Belieben Sie, damit ich Ihren Wagen in einiger Entfernung schon erkenne, da man in Wien links fährt, am geöffneten Wagenfenster rechts, das Schnupftuch zu halten; dieses Schnupftuch wird mir zugleich das mich hochbeglückende Zeichen seyn, daß Sie, im Falle Sie mich Ihrer Gunst würdig finden, in meine oben ausgesprochene Ansicht über geheime Liaisons eingehen.
Ich selbst werde, da zu dieser Zeit mehrere Wagen den Corso machen, durch einen lichtgrauen hochroth ausgeschlagenen Reise-Manteau Ihnen erkennbar seyn. Ohne Ihnen dann weiter zu folgen, sehe ich Ihr Erscheinen als die Erlaubniß an, den Zweyten Schritt zu thuen. Dieser wird darin bestehen, daß Sie gleich den folgenden Tag einen Zweyten Brief von mir bekommen. In demselben werde ich Ihnen einen Vorschlag machen über die Art und Weise, wie ich das Glück haben kann, Sie zu sprechen.
Meine Wünsche wissen Sie nun, die Erfüllung liegt in Ihrer Hand, und wenn es nur zu der, aus dem zweyten Briefe entspringenden Unterredung kommt, dann hoffe ich gewiß, mich als Ihrer Gunst würdig zu erweisen, so daß ich dem ersehnten Ziele mit einiger Zuversicht entgegensehe.
Ihr Sie hochschätzender
eifriger Verehrer
L. B. v. R.
Buch-Tipp
Johann Nestroy, Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe, Herausgegeben von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates, Band 41, Sämtliche Briefe, Herausgegeben von Walter Obermaier, Deuticke 2005, ISBN: 3216307425
Anmerkungen
Köfer
Karoline Köfer wohnte zu dieser Zeit im Haus "Zum kleinen Jordan" (heute Wien 1., Jordangasse 7), das 1836 erbaut und 1856 umgebaut und aufgestockt wurde. Sie war möglicherweise Schauspielerin, doch könnte diese Annahme auch auf einer Verwechslung mit der Sängerin Therese Köfer beruhen. Die Theateralmanache weisen eine Frau Köfer 1846 in Graz, 1848 in Linz, 1849 und 1850 abermals in Graz, 1851 in Lemberg, 1852 und 1853 in Brünn, 1854 bis 1857 abermals in Linz und 1858 in Salzburg und 1859 schließlich in Krakau aus; später scheint sie nicht mehr auf. Sie muß in ihrer früheren Zeit auch in Wien gespielt haben, denn am 28. November 1851 (Nr. 275, S. 1127 meldete die Theaterzeitung: "Frl. Köfer, schon aus Wien als anziehende Sängerin bekannt, geht von Lemberg ab".
discreter Freund
Karoline Köfer ging offenbar auf Nestroys Vorschläge ein; ihr Verhältnis mit ihm dauerte bis gegen Mitte 1856 (SW XV, S. 222 ff. und 343 ff.) und wurde dann unter wenig erfreulichen Begleitumständen gelöst. Vgl. auch die Briefe Nr. 126, 127, 130 und 132-137 sowie Marie Weilers Briefe III/4-8. - Daß sich der vorliegende Brief erhalten hat, ist wohl der Tatsache zu verdanken, daß es sich um einen Entwurf handelt, da Nestroy bei seinen Affären prinzipiell alle Briefe zurückgefordert und vernichtet hat.
Prater-Hauptallée
Eine 4,5 km lange Allee, die vom Praterstern bis zum 1781-1783 errichteten Lusthaus führt und die ein beliebter Wagenkorso war.
Rondeau
Das erste Rondeau, das Nestroy vermutlich meint, befand sich etwa in der Hälfte der Allee, das zweite an ihrem Ende rund um das Lusthaus.
Prater-Stern
Hier liefen im 19. Jahrhundert am Ende der Jägerzeile und am Beginn des Praters sieben Straßen sternförmig zusammen, weshalb (offiziell erst 1879) der Platz seine Bezeichnung erhielt.