Goldene Nica

Kaija Saariaho

Io

In "Io" für 16 Instrumente, Band und Elektronik liegt das Haupt-Augenmerk auf der Beziehung zwischen Timbre und Harmonie: Die Instrumentation, die Beziehung zwischen Band und Instrument ebenso wie die Elektronik werden ausgewählt und verwendet, um musikalische Ereignisse zu produzieren, die sich von verschmolzenen Strukturen bis zur Konturierung einzelner Instrumente bewegen oder beide Ansätze einander überlagern. Einige reiche nichtharmonische Klänge auf dem Kontrabass und der Bassflöte liefern ein Grund-Modell sowohl für die Akkord-Struktur wie auch für den synthetischen Tonbandpart, auf dem dieselben Strukturen als eher verschmolzene unterschiedliche Timbres erfasst werden. Mit der Veränderung der Zeit verändert sich auch die harmonische Struktur. Die harmonische Energie des Stückes beruht auf der Behandlung des Timbres als einem System, das aus der Kategorisierung der Instrumente und der von ihnen erzeugten Klänge geformt wird. Sie werden in verschiedene Gruppen eingeteilt, je nachdem, wo sie sich entlang einer Achse befinden, deren Endpunkte entweder reine Töne oder reine Geräusche sind. In diesem Ansatz lassen sich klare und reine Klänge mit Konsonanten, Geräusche hingegen mit Dissonanten vergleichen.

Ich entwickle hier auch meine Ideen zu melodischen und rhythmischen Interpolationen zu einem komplexeren Ausdruck: Diese linearen Prozesse werden nicht mehr - wie in früheren Werken notwendigerweise nacheinander abgewickelt, sondern laufen auch parallel. Die simultanen Lagen werden aufgebaut, wie man transparente Folien übereinander legt, bis sie zuletzt eine neue kohärente Figur ergeben.

Technischer Hintergrund

Zu den Haupt-Werkzeugen für die technische Realisierung, die hauptsächlich bei IRCAM stattfand: G. Assayags Implementation des Terhardtschen Algorithmus zur Bestimmung der perzeptuellen Gewichtung wurde zur Analyse komplexer Klänge und somit zur Erzeugung des harmonischen Ausgangs-Materials eingesetzt. Mein Programm zur Interpolation der Muster im FORMES-Environment produzierte rhythmische und melodische Interpolationen sowohl für den instrumentalen wie für den Bandteil. Der Tonband-Teil wurde mit der von Y. Potard, P. F. Baisnee und J. B. Barrière entwickelten "Models of Resonance"-Synthese- und -Bearbeitungs-Technik entwickelt und entstand im CHANT/FORMES-Environment auf einer VAX 780 mit einem FP6-100-Array-Prozessor. Zur räumlichen Gestaltung des Bandes habe ich Programme des GRM-Digitalstudios verwendet. Die Live-Elektronik wird mit einemYamaha-DMP7-Digital-Mischpult gesteuert.

Das Werk "Io" entstand als Auftragswerk zum zehnten Jubiläum von IRCAM und wurde im April 1987 in Paris vom Ensemble “lnterContemporain“ unter Peter Eötväs uraufgeführt.

Text: Kaija Saariaho