Viel Lob für Simonischek

Die Ziege

Als bester dramatischer Text des Jahres 2002 mit dem Tony Award ausgezeichnet, war Edward Albees Stück "Die Ziege oder Wer ist Sylvia?" über einen höchst außergewöhnlichen Seitensprung bereits in Vienna's English Theatre zu sehen. Für das Akademietheater hat nun Andrea Breth mit Peter Simonischek und Corinna Kirchhoff in den Hauptrollen inszeniert. Das Premieren-Publikum reagierte mit stürmischem Applaus, die Kritik gab sich großteils begeistert. Allein die Länge der Inszenierung wurde bemängelt.

Zum Inhalt: Martin Gray ist erfolgreicher Architekt, wird zu seinem 50. Geburtstag nicht nur mit dem Pritzker-Preis, einer der höchsten Auszeichnungen, sondern auch noch mit einem milliardenschweren Prestigeprojekt belohnt. Die Ehe ist perfekt, und sogar dass der Sohn schwul ist, hat man in liberaler Toleranz zu akzeptieren gelernt. Und dann das: Martin verliebt sich in eine Ziege.

Der Standard

Der Regisseurin Andrea Breth gelinge im Wiener Akademietheater "ein Meisterstück", jubelt der Standard in seiner Theaterkritik.

"Schick und sauber" sei die Szenerie zunächst: "Undenkbar, dass sich jemand in dieser fast sterilen Lebenswelt, die Susanne Raschig in das Akademietheater gebaut hat, ausgerechnet an seinem Ehepartner schneidet." Breth würde es gelingen, "die ganze Fallhöhe einer antiken Tragödie schockartig deutlich zu machen".

Peter Simonischek zeige "zurückgenommenes Theaterkunsthandwerk". Breths Inszenierung sei "ein großes, erschütterndes Meisterwerk - um den Preis der Verabschiedung einer Komödie." Das tragische Zerbrechen Stevies sei "ein antikes Schlachtfest, eine Abfolge kalter Explosionen".

Kurier

"Ein Spiel um die Belastbarkeiten innerhalb einer Beziehung und um die Toleranzgrenzen der Gesellschaft, bei dem Komödie und Tragödie Hand in Hand gehen", habe Breth gezeichnet, so der Kurier.

Breth habe die leichte, komödiantische Seite des Textes "nicht sehr interessiert", Sie setze auf "feines, psychologisches Spiel zwischen den Eheleuten Martin (Peter Simonischek) und Stevie (Corinna Kirchhoff). ... Keine Frage, hier ist alles kaputt gegangen. Und wie." Diese Erkenntnis wäre jedoch "in gestraffter Form nicht weniger erkenntnisreich" gewesen.

Kronen Zeitung

"Reine Premierenfreude" habe dem Publikum Breths Inszenierung geschaffen, berichtet die Kronen Zeitung. "Alles mutiert da zum psychologischen Drama, das nicht nur Absurdes, sondern auch das Zwielicht von Mythos und Leben aus dem pointierten Original wegradiert. Und sich als episch breites Schauspiel selbst neu inszeniert.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Mit subtilen Bildern und präzisen Gesten zeichnet ihre Inszenierung in langsam gespielten Dialogen das Geständnis des in die Ziege Sylvia verliebten Mannes und die wüste Auseinandersetzung mit seiner betrogenen Ehefrau nach", analysiert die FAZ.

Peter Simonischek spiele die Hauptfigur "nuanciert und sehr trocken und glaubwürdig". Corinna Kirchhoff spiele zunächst "etwas outriert", sei aber später eine "doch abgründige Tragödin".

Johann Adam Oest sei als Verräter Ross ein "glatter, gesichterschneidender und schenkelklopfender Rotweintrinker".

Neue Zürcher Zeitung

Die Dauer der Inszenierung war auch der NZZ "trotz aussergewöhnlichen Schauspielern, zu viel des Guten. Denn Albee und seinen Figuren mangelt es heute dezidiert an Inspiration."

Der Stoff würde "möglicherweise in Woody Allens Händen zu einer Beziehungstragikomödie. In Wien aber stehen die Zeichen auf Ernst." Dramatisch würden sich die Szenen einer gewesenen Ehe "bald zu Tode" laufen: "Der in jeder Hinsicht grosse Simonischek, einmal zusammengebrochen, sinkt immer tiefer in seinen Körper hinein."

Dank "der einzigen komischen Rolle" würde Johann Adam Oest "ein bisschen Luft in die erstickende Glashausatmosphäre" bringen.

Die Presse

Die Presse weist auf das Mythenschwangere des Textes hin: "Die Ziege Sylvia ist - das wird in der Übersetzung von Albert Ostermaier auch überdeutlich ausgesprochen - eine Erscheinung, eine 'Epiphanie', die den zum biederen Gärtner befriedeten Mann wieder zum Bock macht."

Der Rezensent vergleicht die Aufführungslänge am Broadway (eine Stunde vierzig) mit der Dauer der Breth-Inszenierung (drei Stunden mit Pause): "Womit auch die einzige Schwäche des Abend beziffert wäre: szenische Leerläufe, 'Löcher'". Das hätten die Hauptdarsteller schließlich wettgemacht: "Kirchhoff und Simonischek prallen dann im Freistil-Clinch so jäh aufeinander, dass es auch dem Premierenpublikum endlich den Atem verschlägt und es zu Hüsteln vergisst."

Wiener Zeitung

Andrea Breth nehme Albees Untertitel "Anmerkungen zu einer Bestimmung des Tragischen" beim Wort "und inszeniert auf der Suche nach der metaphysischen Dimension mit gnadenloser Präzision eine bis ins kleinste Detail ausgefeilte Tragödie, bei der einem trotz einiger situationskomischer Pointierungen das Lachen vergeht", so die Wiener Zeitung.

Das Blatt geht auch auf die mythische Dimension der Inszenierung ein. Ob Albees Werk der Deutung, dass Martin (Peter Simonischek) die Erfahrung des Eintritts "in eine mythisch-archaische, mit der heutigen Zivilisationsgesellschaft unvereinbare Welt" macht, standhält, "sei dahingestellt. Exquisites Schauspielertheater war's auf alle Fälle. Und alles in allem genommen, hat Edward Albee auch schon bessere Stücke geschrieben."

Die Welt

"Andrea Breth rettet in Wien die verlorene Ehre von Edward Albees 'Die Ziege oder Wer ist Sylvia' titelt "Die Welt", die einen "großen Theaterabend" sah.

Die Regisseurin habe "wieder einmal Erstaunliches zustande gebracht": Breth lese "genauer als die Kollegen". Darum habe sie auch eisern an Albees "etwas umständlich klingender" Genredefinition festgehalten: "Anmerkungen zu einer Bestimmung des Tragischen".

Die Regie habe "Peter Simonischek sein mittlerweile fast schon notorisches Jedermann-Getue abgeschminkt", und "die betrogene Stevie von Corinna Kirchhoff hat das Zeug zur fabelhaften Tragödin: Ihr schärfster Sarkasmus schneidet ins eigene Fleisch."

Der Rezensent fügt den Deutungsmöglichkeiten eine weitere, hinzu: "Der zweite Teil des Titels, 'Wer ist Sylvia?', ist ein verkapptes Zitat - der Anfang eines hymnischen Gedichts von Shakespeare, das man in deutschen Landen meist nur als Schubert-Lied nach Eduard von Bauernfelds nicht eben genialer Übersetzung kennt. Obendrein heißt Tragödie im Griechischen nichts anderes als Bocksgesang. So lautet des Stücks Kürzestformel: Der unglückliche Held der "Ziege" singt seinen Bocksgesang, und das ist naturgemäß eine Tragödie."