"Geschichten über Ehe und Sex", Teil III

"Laut der Weltgesundheitsorganisation denkt eine Frau im Durchschnitt dreißig Mal am Tag an Sex; ein Mann, ohne Rücksicht auf das Alter, durchschnittlich alle acht Minuten." Ein Ausschnitt aus Michal Vieweghs "Geschichten von Ehe und Sex".

In "Geschichten über Sex und Ehe" befasst sich der tschechische Bestsellerautor Michal Viewegh mit viel Humor mit den, wie er meint, zwei wichtigsten Themen der Menschheit: dem Sex und der Ehe. Die 21 Erzählungen, die durch den Protagonisten Oskar miteinander verbunden sind, zeichnen den häufigen Verlauf von Liebes- und Lebensbeziehungen nach und fügen sich in ihrer Gesamtheit zu einem Roman mit starken autobiografischen Zügen.

Im Rahmen einer Kooperation mit dem Verlag Deuticke publiziert oe1.ORF.at exklusiv für die Abonnenten und Abonnentinnen des einmal wöchentlich erscheinenden Newsletters die ersten Kapitel des im Frühjahr erscheinenden Buchs "Geschichten von Ehe und Sex".

Kapitel II: Die Frage

Es kam der Sommer, und Oskar war schon verheiratet. Den Kinderwagen schob er mit einer Hand, als ob er der Welt andeuten wollte, daß alles zu rasch gegangen wäre.
Vor dem Bahnübergang hielt er an, weil er den Zug schon von ferne hörte. Er war barfuß, und der feine, warme Sand des Feldweges preßte sich durch die Zehen. Das Getreide war niedrig, noch grün; hinter dem Bahngeleise ging das Feld in eine Wiese über, die nach unten zum Fluß abfiel. Früher war er oft dort hingegangen - zum alten baufälligen Wehr. Er war dann immer mitten im Betondurchbruch auf einem großen Granitblock gesessen und hatte sich das Wasser auf den braungebrannten Rücken brausen lassen. Er hatte nur das Tosen des Wassers gehört, sonst gar nichts; ab und zu hatte er gespürt, wie ihm ein vom Strom mitgerissener Zweig in den Rücken stieß. Im tiefen Rückstrom unter dem Granitblock plantschten gerne zwei Mädchen aus Prag herum, deren Eltern über dem Wehr ein Wochenendhäuschen hatten. Oskar dachte manchmal im Halbschlaf an ihre gleichsam weichen, trägen Bewegungen.
Er vernahm das Dröhnen des herannahenden Zuges. Er nahm den Kleinen an der Hand.
„Hu, hu", sagte er.
Er dachte dabei an das dunkelrote Gehäuse der Lokomotive, die Luft, die über dem erhitzten Blech bebte, die verschwitzten Achselhöhlen des Lokführers, das Donnern der Räder, die offenen Fenster der grünen Waggons, die wehenden Haare der Reisenden. Dann geschah es: Eines der sich aus dem Fenster lehnenden Mädchen blieb mit dem Ausschnitt des T-Shirts am Metallgriff des heruntergelassenen Fensters hängen - ihre Brust kam zum Vorschein, blaß wie auseinandergebogenes Himbeergesträuch. Es war eine außergewöhnliche, fotografische Sekunde; Oskar sah gerade noch die erschrockene Überraschung in ihren Augen und die durch und durch mädchenhafte Bewegung, mit der sie das Mißgeschick augenblicklich in Ordnung brachte.
Am Abend versuchte er vergeblich, Zuzana davon zu erzählen, aber wie auch immer er die Geschichte drehte, sie blieb ein banaler Vorfall, in dem er selbst als sexbesessener Pubertierender auftrat.
Er seufzte unzufrieden.
Seine Frau drehte sich von ihm weg.

In der Früh weckte ihn ein Gefühl von Kälte. Das Schlafzimmer war leer. Am Hemd des Pyjamas fehlten alle Knöpfe; die Fäden sahen aus wie abgeschnitten.
Die Küche war voll Sonne; Zuzana fütterte gerade den Kleinen. Schweigend zeigte er ihr das Hemd.
„Offenbar ist es dir zu eng ...", schmunzelte sie verschmitzt.
Sie ist wunderbar, dachte Oskar, als er sich zu ihr beugte, um ihr einen Kuß zu geben. Wieder erinnerte er sich an jenes Mädchen aus dem Zug.