"Bambiland": Schlingensief inszeniert Jelinek

Die mit Spannung erwartete Uraufführung von Elfriede Jelineks "Bambiland" am Wiener Burgtheater ging Freitagabend erstaunlich gelassen über die Bühne. Christoph Schlingensiefs Inszenierung löste mageren Applaus aus. Unmutsäußerungen entfielen zur Gänze.

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Erste Kritiken

Im Anschluss an die Uraufführung hat Dorothee Frank für das Ö1 Morgenjournal erste Kritikerstellungnahmen eingeholt.

Veronica Kaup-Hasler, Festival "Theaterformen"

Interessant ist zu sehen, was Schlingensief aus dem Originaltext von Elfriede Jelinek gemacht hat, wie er ihn verschoben hat. Er trifft einen Nerv der Zeit. Er schafft es, eine soziale Realität und auch die soziale Brisanz seiner eigenen Arbeiten, wie des Containerprojekts oder der Church of Fear, in das Theater zu überführen und die Grenze zwischen Theater und öffentlichem Raum aufzuheben. Es gibt bei "Bambiland" auch viele Stellen, die ich langweilig finde, aber in den guten Momenten hat seine Inszenierung eine wahnsinnige Komplexität, an der man sich erfeuen kann.

Der Kern, den er hier beschreibt, ist die Krisenstimmung die sich überall manifestiert, in Deutschland, in Europa. Er stellt diese Sehnsucht nach einer Opposition gegen den Neoliberalismus dar, indem er den Aufschwung von sozialen und subversiven Bewegungen an seiner eigenen Geschichte beschreibt - durchaus mit Bitterkeit und Resignation. Sein dennoch vorhandener Erlösungswille geht dabei schon fast in theologische Dimensionen. Die Verzweiflung am Zustand der Welt bringt er sehr stark auf den Punkt, und das muss man bildnerisch und poetisch lesen, und weniger analytisch.

Barbara Viliger-Heilig, Neue Zürcher Zeitung

Der Text von Elfriede Jelinek zeichnet sich durch große Koheränz und Stringenz und auch durch Ironie aus - eben ein typischer Jelinek-Text. Damit könnte man schon etwas machen, man brauchte ihn nicht gleich wegzuwerfen, um etwas Eigenes zu basteln. Wenn man das gerne macht, kann man gleich zu Hause Theater spielen. Schlingensief hat sein übliches Improvisationstheater mit vielen Kasperl-Figuren gemacht. Da könnte er gerade so gut die Märchen der Gebrüder Grimm als Vorlage nehmen, oder irgend ein Kochbuch. Das ist alles egal.

Claus Philip, Der Standard

Es war ein bedenkenswerter, wenn nicht ein großer Abend. Schlingensief spielt offenkundig mit dem Faktum, hier einen Skandal machen zu können. Alles, was Christoph Schlingensief auf filmischer und auf der Tonebene bietet, ist weit über dem, was wir hier selbst im Kino - außer vielleicht im Avantgardekino - geboten bekommen. Ob es eine schlüssige Montage ist, mag dahingestellt bleiben, es ist jedenfalls eine interessante Übung in Überforderung.

Wenn Rainer Werner Fassbinder mit dem Avantgardfilmer Kurt Krenn die Chance bekommen hätte, einen Kriegsfilm zu drehen, dann hätte dieser Film vielleicht so ausgesehe,n wie das, was wir heute hier erlebt haben. Dieser Film hätte natürlich Zerfall und Melodramatik gezeigt. Ich glaube, dass das sehr viel Sinn macht, was er hier tut und dass Elfriede Jelinek eigentlich begeistert sein müsste. Wenn man zum Beispiel bedenkt dass die besten Romane der Weltliteratur die besten Stummfilme ergeben haben, dann wäre das eine hervorragende Adaption eines Textes, der sich wie eine einzige Szenenanweisung liest.

Dorothee Frank, Österreich 1

Christoph Schlingensief hat mit Elfriede Jelineks Text etwas sehr Radikales unternommen: Er hat ihn zu weit über 90 Prozent weggelassen. Das irritiert erst einmal gewaltig. Aber am Schluss des zweistündigen Abends hat man trotzdem die Inhalte von "Bambiland" gesehen - beziehungsweise eine Schlingensief-Entsprechung zur Jelinek-Vorlage.

Das Stück (zum downloaden auf der Homepage der Autorin) ist eine Wortorgie über die Rolle der Medien im Irakkrieg und, im weiteren Sinn, über die Folgen der Total-Mediatisierung von Politik und Gesellschaft. Weil wir Realitäten wie Krieg und Terror ständig im Fernsehen sehen, erleben wir sie wie einen Film, eine Fiktion, die mit uns nichts zu tun hat. Wie Wirklichkeit und Medienbilder in der Wahrnehmung verschwimmen und wie dieser Verwirrungseffekt subtil zur allgemeinen Verunsicherung und Krisenstimmung beträgt, darum unter anderem geht es in "Bambiland".

Christoph Schlingensief inszeniert genau dieses Lebensgefühl der Gegenwart als Chaos-Polyphonie, die er auf der Bühne und insgesamt drei Filmprojektionsflächen entfesselt. Wagner-Musik und Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Theater, Pierre Boulez in einem Fernsehinterview, Kirche, Buddhismus und Islam, Bambis und Hirsche, Militärzelte, grauenhafte Bilder von Verletzten im Vietmankrieg, riesenhaft projizierte Pornosequenzen in Schwarz-Weiß: Eine Unmenge von Zitaten und Assoziationen mischt sich zu einer Multimedia-Bühnen-Performance, die zwar auch Schwachstellen und Durchhänger hat, aber insgesamt in ihrer Stimmung von Endzeit und Zerfall beeindruckt und betroffen macht und ein mulmiges Gefühl hinterlässt. Nicht Schlingensief minus Jelinek, sondern Jelinek plus Schlingensief. Ein geglücktes Zusammenwirken.

Jelinek zufrieden

Elfriede Jelinek selbst wollte nach der Premiere zwar keine Interviews geben, hat dem Ö1 Morgenjournal aber off records mitgeteilt, dass sie selbst mit Christoph Schlingensiefs Abend zu ihrem Text sehr, sehr glücklich sei und sich verstanden fühle.

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