Die "stille Sucht"

07. Medikamentenabhängigkeit

Die Medikamentenabhängigkeit ist die unauffälligste aller Suchterkrankungen und auch am schwersten fassbar, weil bei den Betroffenen äußerlich kaum erkennbar. Die Zahl der Medikamentenabhängigen steigt seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich, aber nur wenige Betroffene suchen professionelle Hilfe. Dementsprechend wird das Thema auch in der Öffentlichkeit unterschätzt und vernachlässigt.

Substanzen mit Suchtpotential
Am häufigsten führen Schmerzmittel, Beruhigungs- und Schlafmittel zu einer Abhängigkeit. Eine - untergeordnete - Rolle spielen Aufputschmittel und Appetitzügler. Einige der Medikamente mit Suchtpotential sind frei verkäuflich, die meisten aber rezeptpflichtig. Von den am häufigsten verschriebenen Medikamenten haben etwa sechs bis acht Prozent ein zum Teil hohes Suchtpotential. Und das heißt: Arzneimittelabhängigkeit kann durchaus in der Arztpraxis beginnen.
Gekennzeichnet ist die Sucht durch eine psychische bzw. physische Abhängigkeit von einer oder mehreren Substanzen.

Wie viele Menschen, die regelmäßig Medikamente einnehmen, diese auch missbräuchlich verwenden, lässt sich schwer in Zahlen fassen. Die Übergänge zwischen Missbrauch und Abhängigkeit sind fließend.
Nach Schätzungen gehen Experten aber davon aus, dass es in Österreich etwa 110.000 Medikamentenabhängige gibt - davon sind sechzig Prozent Frauen.

Frauen als Hauptbetroffene
Ein Grund dafür könnte sein, dass Frauen häufiger zum Arzt gehen und auch öfter als Männer unter Angst, innerer Unruhe und depressiven Verstimmungen leiden. Jedenfalls werden Frauen sehr oft - nämlich etwa zwei Millionen Mal öfter als Männern - deshalb Psychopharmaka verschrieben. Bei Frauen zwischen 30 und 50 Jahren kommt es zum vermehrten Einsatz von Appetitzüglern, ab dem 50. Lebensjahr werden verstärkt Benzodiazepine konsumiert.

Schlaf- und Beruhigungsmittel, die süchtig machen
Benzodiazepine gehören zu den Tranquilizern (Beruhigungsmitteln) und werden zur Therapie von Angst- und Unruhezuständen sowie bei Schlafstörungen eingesetzt. Die Entwicklung einer Abhängigkeit ist bei allen Medikamenten dieser Wirkstoffgruppe möglich. Obwohl generell auch die Medikamentensucht durch eine allmähliche Dosissteigerung gekennzeichnet ist, trifft das im Fall der Benzodiazepine nicht zwingend zu.

Die Menge ist nicht immer ausschlaggebend
Es kann sich auch eine so genannte Niedrigdosis-Abhängigkeit entwickeln. Diese tritt selbst bei vorschriftsmäßiger Dosierung bereits nach vier bis sechs Wochen ein. Werden Benzodiazepine abrupt abgesetzt, kommt es zu Angstzuständen und Schlaflosigkeit, also zu jenen Symptomen, gegen die das Medikament ursprünglich eingenommen wurde. Die Patienten greifen wieder zu den Tabletten, der Teufelskreis beginnt.

Risiko: Schmerzmittel
Neben den Schlaf- und Beruhigungsmitteln vom Benzodiazepin-Typ sind es vor allem Schmerzmittel, die ein zum Teil hohes Abhängigkeitsrisiko bergen. Opioidhaltige Schmerzmittel, die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen, sind dabei ein geringeres Problem als vergleichsweise schwache, aber rezeptfreie Schmerzmittel. Ihr Konsum hat in den vergangenen Jahren europaweit stark zugenommen. Eingesetzt werden diese Präparate vor allem gegen chronische Rücken- und Kopfschmerzen.

Für die Selbstmedikation von nicht verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln gilt, dass diese nicht länger als drei Tage hintereinander und nicht häufiger als zehn Tage im Monat verwendet werden sollen.

Kombinationspräparate
Ein besonderes Problem stellen dabei die Schmerzmittel-Kombinationspräparate dar, die häufig auch Koffein enthalten. Neben der schmerzstillenden Wirkung tritt auch ein belebender Effekt ein, der das Risiko einer Gewöhnung erhöht. Werden diese Präparate abgesetzt, können Kopfschmerzen als Entzugssymptome auftreten (medikamenteninduzierter Kopfschmerz), gegen die erneut Schmerzmittel in höherer Dosierung eingenommen werden. Ohne jetzt alle Präparate und Risken anführen zu können, gilt grundsätzlich, dass - wie Drogen- und Alkoholsucht - auch die Abhängigkeit von Medikamenten langfristig zu einem psychischen wie physischen Verfall führt. Dazu gehören Gedächtnis- und Reaktionsstörungen ebenso wie Leber-, Magen- und Nierenschäden sowie Gefäßveränderungen.

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Die Online-Infomappe der Sendung Radiodoktor - Medizin und Gesundheit ist ein Service von
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