von Andreas Jungwirth

Alles Helden

Alle Mitglieder der Familie Schmidtke haben Probleme. Die Reaktionen darauf reichen von Frustration, Rückzug, Selbstmitleid bis hin zur Verdrängung und Wahrung des Scheins. Was hat der geheimnisvolle Mann in der U-Bahnstation mit ihnen zu tun?

"... alles wieder in Ordnung ..."

In der Familie Schmidtke gibt es einige Probleme: Herr Schmidtke wurde kurz vor seiner Pensionierung entlassen, er reagiert mit Selbstmitleid und Rückzug. Seine Tochter Lydia hat sich gegen die verkorkste Beziehung zu Benno, ihrem bisherigen Freund und einem großen Egozentriker, entschieden. Und auch ihre Suche nach Arbeit oder wenigstens einer Aufgabe gestaltet sich nach Studienabschluss nicht leicht. André, ihr Bruder, hat es als Arzt zwar zu einer renommierten Praxis gebracht, mit seinen Eltern will er aber nicht mehr viel zu tun haben.

Abgesehen davon erkennt er mehr und mehr, dass er und sein bester Freund Benno sich auseinander gelebt haben. Die beiden verbindet letzten Endes eigentlich nur noch ein gemeinsamer Motorradunfall, bei dem André am Steuer gesessen war. Aus Schuldgefühlen hat er dann Benno mit seiner Schwester Lydia zusammengebracht, aber das ist eine etwas dünne Ausgangsbasis für eine Beziehung und für eine echte Freundschaft.

Auseinanderbrechen von Beziehungen

Im Rahmen eines Familientreffens, bei dem die fünf Protagonistinnen und Protagonisten zusammentreffen, eigens angesetzt, um die Situation zu bereinigen, eskaliert ebendiese. Angesichts dieser Entwicklungen erkennt Frau Schmidtke, dass ihr die gewohnte Kontrolle über die familiäre Sachlage längst entglitten ist. Dennoch versucht sie Contenance zu bewahren und alles zu überspielen.

Rätselhafter Fremder

Zwischen diese Familiengeschichten hat Andreas Jungwirth Szenen geschnitten, in denen Lydia, Herr Schmidtke und Benno auf der Suche nach Auswegen aus der Verfahrenheit in einer U-Bahnstation auf einen rätselhaften Fremden treffen, der es geschickt versteht, sie durch seine radikalen Gedanken in seinen Bann zu ziehen. Es ist ein Mann, dessen Herkunft unklar bleibt, er scheint auch kein klares Fahrziel oder einen Zeitplan zu haben, er sitzt lediglich in der Station und sieht den fahrenden Zügen zu. Und er hat scheinbar unendlich viel Zeit, um mit Fremden zu philosophieren.

Während dieser Tage der mehr und mehr eskalierenden Desorientierung im Haus der Schmidtkes passiert völlig unerwartet ein Anschlag auf eine U-Bahnstation in Kopenhagen. In der Abschlussszene trifft sich schließlich Frau Schmidke mit Benno, der nichts anderes mehr zu tun hat, als seiner soeben von Lydia beendeten Beziehung nachzuweinen. Während dieser Aussprache passiert in genau der U-Bahnstation, in der auch der Fremde sich aufgehalten hat, ein ähnliches Unglück.

Andreas Jungwirth lässt den Ausgang und die Hintergründe offen. Er stellt den über weite Strecken scheinbar leichten Dialogen seiner Protagonistinnen und Protagonisten die allgegenwärtige Möglichkeit in den Raum, völlig unerwartet und grundlos Opfer eines Anschlags zu werden. Und dieser Spagat zwischen Alltagssituationen und dem lauernden Tod gelingt ihm auf sehr subtile Weise.

U-Bahnstation und Tonstudio

Der Regisseur dieser Produktion, Harald Krewer, hat sich dazu entschlossen, für die Szenen in der U-Bahnstation Außenaufnahmen zu machen. Sie wurden allesamt in der nächst dem Funkhaus gelegenen Station Taubstummengasse aufgenommen. Für die Mitwirkenden Gerti Drassl, Paul Wolff-Plottegg, Jörg Ratjen und Maximilian Brockstedt sowie Ton (Anna Kuncio) und Schnitt (Elmar Peinelt) ergaben sich dadurch außergewöhnliche Aufnahmesituationen und ungewöhnliche Arbeitszeiten: Zwischen 23:30 Uhr und 5:30 Uhr wurde in der Station gearbeitet.

Im Gegensatz zu Studioszenen war hier die Raumatmosphäre völlig konträr, und durch den ständigen Wandel der Geräuschkulisse mussten diese Sequenzen in einem einzigen Stück aufgenommen werden. Das normalerweise recht leichte Gegenschneiden war hier kaum möglich. Das Ergebnis dieses Gegensatzes zwischen Studioklang und Außenaufnahmen brachte einen sehr eindrucksvollen Effekt: Die Szenen mit dem geheimnisvollen Fremden wirken dadurch noch weitaus dämonischer.

Zum Autor

Andreas Jungwirth, geboren 1967 in Linz, studierte in Wien Germanistik und Schauspiel am Konservatorium der Stadt Wien. 1992 war er Mitbegründer des Kleintheaters "Zwirn" und 1995 der "lenz bühne". Seit 1996 lebt Andreas Jungwirth als freier Autor in Berlin.

Neben seiner Arbeit als Hörspielautor verfasste er auch mehrere Theaterstücke, unter anderem "Sünderinnen", "Volksgarten", "Alles Helden" und "Schwarze Mamba", das im Rahmen einer Werkstattinszenierung im Rahmen der Autorentheatertage am Thalia Theater Hamburg 2006 in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg uraufgeführt wurde. Jungwirths Stück "Schonzeit" wurde in der Spielzeit 2007/2008 am Staatstheater Darmstadt uraufgeführt.

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