Annäherung an einen ewig Suchenden
Joseph Roth und sein Rittmeister Baron Taittinger
Ein Verirrter und Getriebener ist Rittmeister Baron Alois Franz Taittinger in Joseph Roths Roman "Die Geschichte von der 1002. Nacht". Die Armee ist sein Anhaltspunkt für ein halbwegs geregeltes und sinnvolles Leben. Helmut Peschina über den Autor und seine Protagonisten.
8. April 2017, 21:58
"Die Geschichte von der 1002. Nacht" ist nach "Hotel Savoy" (Regie: Robert Matejka, 1994), "Hiob" (Regie: Robert Matejka, 1999) und "Die Legende vom heiligen Trinker" (Regie: Marguerite Gateau, 2007) nun meine vierte Hörspieladaption nach einem großen Prosatext Joseph Roths, wieder in der Regie von Robert Matejka.
Der Protagonist des Romans "Die Geschichte von der 1002. Nacht", Rittmeister Baron Alois Franz Taittinger, ist Prototyp vieler Figuren in Roths Werk. Ein Orientierungsloser, der Hoffnungslosigkeit, Melancholie und Resignation anheim Gefallener, der das Leben meist fad findet, dem jedwede gesuchte Abwechslung bald zum lästigen Ärgernis wird. Sogar seine amourösen Abenteuer:
Sehr bald fand Taittinger, daß ihn die Mizzi langweilte. Eines Tages teilte sie ihm mit, daß sie schwanger sei, und dieser Zustand war schlimmer als langweilig: nämlich fad.
Rettungsanker für Verirrte
Reglement, Strenge und Ordnung der Armee sind die einzigen Anhaltspunkte für ein halbwegs geregeltes und nicht sinnloses Leben. Und als Taittinger von der Armee Abschied nehmen muß, weil durch ihn ein Minister kompromittiert wurde, verfällt er in eine gnadenlose Armseligkeit, die sogar er selbst erkennt. Der einzige Ausweg, da die Heimkehr in die Armee nun für immer versperrt ist, ist für ihn schlußendlich der Freitod.
Auf die Frage eines Ministerialrats, warum sich Taittinger eigentlich umgebracht hat, erhält er von einem Vorgesetzten Taittingers zur Antwort:
Halt so! Ich glaub', er hat sich verirrt im Leben. Derlei gibt's manchmal. Man verirrt sich halt.
Und Verirrte gibt es viele in Roths Werk. Den Getriebenen, Suchenden gilt sein hauptsächliches Interesse. Beginnend bei Gabriel Dan aus seinem ersten Roman "Hotel Savoy", über Franz Tunda in "Flucht ohne Ende", bis hin zu Carl Joseph Trotta im "Radetzkymarsch". Oder der zweifelnde Mendel Singer in "Hiob", wie auch der Stationsvorsteher Fallmerayer, der, aus seinem gewohnten Leben ausbrechend, die große Liebe sucht und sie sogar für kurze Zeit findet.
Genauer Beobachter seiner Zeit
Aber Joseph Roth war nicht nur der phantastische Prosaist, er war ein genauer, kritischer und voraus denkender Beobachter seiner Zeit, wie viele seiner politischen Feuilletons, Reportagen und Reiseberichte zeigen, die einen Großteil des Gesamtwerks einnehmen und leider immer noch zu wenig rezipiert sind. Bereits 1932 erkannte Roth die Gefahr des Nationalsozialismus. Einem Freund gegenüber soll er gesagt haben:
Es ist Zeit wegzugehen. Sie werden unsere Bücher verbrennen und uns damit meinen. … Wir müssen fort, damit es nur die Bücher sind, die in Brand gesteckt werden.
Joseph Roth selbst war, wie die meisten seiner Gestalten, ein ewig Suchender, Getriebener, immer auf Wanderschaft. Und dennoch war er, wenn auch wie sein "heiliger Trinker" dem Alkohol sehr zugetan, ein wacher, konzentrierter und disziplinierter Arbeiter der Dichtkunst.
"Die Geschichte der 1002. Nacht", erschien postum 1939 im niederländischen Verlag De Gemeenschap.
Buch-Tipp
Joseph Roth, "Die Geschichte von der 1002. Nacht", Kiepenheuer und Witsch