Dieter Sperl und das Gesetz der Serie

Die Absichtslosigkeit des Hörspielautors

Für sein Hörspiel "Letzte Liebe" begab sich der Autor Dieter Sperl auf ein von ihm selten betretenes Terrain, nämlich das der distanzierten Brechung und Spiegelung seiner Themen im Genre eines konventionellen Konversationsstückes.

"Absichtslos" ist der kryptische Titel eines früheren Romans von Dieter Sperl. Das Buch besteht aus einer Aneinanderreihung von Beschreibungen menschlicher Begegnungen, deren Zusammenhang sich dem Leser erst in der Reihung der Einzelerzählungen erschließt: es geht um das wertfreie Wahrnehmen von Emotionen, um Behutsamkeit und Äquidistanz im Zusammenhang mit den so genannten großen Gefühlen.

Die Worte "absichtslos" und "achtsam" werden von Dieter Sperl auch in Gesprächen gerne verwendet. Alltagsgeschichten wecken dann das Interesse des Autors, wenn sie selbstreferentiell sind, wenn sie keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Dieter Sperls Schreibziel ist die zärtliche Lakonie.

Konversationsstück als Rahmen

Für sein Hörspiel "Letzte Liebe" begab sich Dieter Sperl auf ein von ihm selten betretenes Terrain, nämlich das der distanzierten Brechung und Spiegelung seiner Themen im Genre eines konventionellen Konversationsstückes. "Wenn eine Emotion uns ganz ergriffen hat, aber wir nicht genau wissen, was und wohin sie eigentlich will, dann kann es schon vorkommen, dass wir verwirrt sind", heißt es einmal ironisch in seinem Hörspiel "Letzte Liebe". In einem urban-intellektuellen Milieu werden in diesem Radiostück Gefühle, Ahnungen und menschliches Wollen in den Mission-Statement-Kitsch von Managementseminaren gepresst.

Aufstiegswillige Mittelstands-Angehörige erörtern in den Hörspieldialogen, "wie leer die Begriffe und Emotionen letztlich sind". Hauptfigur des Hörspiels ist Ulla Medlitzky, Seminarleiterin, Ehefrau und Mutter eines kleinen Kindes, die auf mysteriöse Weise mit ihrer "letzten Liebe" konfrontiert wird, einem gewissen Vincent, der für die dunklere, die dämonischere Seite der Erotik steht.

Vincent ist seit drei Jahren tot, aber mithilfe alter Seminar-Tonbänder tritt er wieder in Ullas Leben: "Man hat mir den Auftrag gegeben, Ihnen etwas über die Liebe zu erzählen." Was danach beginnt, ist eine Art emotionale Schnitzeljagd auf der Suche nach der Bedeutung dieser alten Liebe - eifersüchtig beäugt von Ullas biederem Provinzehemann. Lebt Vincent noch? Platziert er geschickt seine Botschaften an Ulla?

Die Absichtslosigkeit des Seins

Dieter Sperl spielt in seinem Hörspiel mit dem seriellen Charakter von Lebensbildern: "Denken Sie an Ihre letzte Liebe. Wo haben Sie sie kennengelernt? Welche Arbeit hatten Sie damals? Eine besser bezahlte? Wie alt waren Sie? Und wo haben Sie gelebt? Wie groß war Ihre Wohnung?". In den Seminar-Tonbändern des verstorbenen Vincent erscheint das bürgerliche Leben als eine Serie von Einzelbildern im Sinn einer gestaltbaren Lebenskarriere.

Für Ulla geht aber auch um die Sehnsucht nach der Auflösbarkeit dieser Bilder in der Absichtslosigkeit des Seins, und dieser Sehnsucht kommt Vincents romantische Managementseminar-Rhetorik entgegen: "Der Lust und dem Schmerz kann man vertrauen".

Das Serielle als Methode

Dieter Sperl, Jahrgang 1966, war unter anderem Mitherausgeber der Literaturzeitschrift "perspektive" und Gründer sowie langjähriger Mitherausgeber der literaturtheoretischen Reihe "gegensätze". Er konzipierte und betreute das "Literarische Fenster" in der "Wiener Zeitung" und arbeitete als Literaturredakteur bei der Kunst- und Kulturzeitschrift "ST/A/R".

Viele der literarischen Arbeiten von Dieter Sperl beziehen sich auf das Serielle nicht nur der Ereignisse selbst, sondern auch ihrer Wahrnehmung. So setzt sich sein "Textmaschine" genanntes Projekt "wenn die landschaft aufhört" aus 45 interpunktionslosen, miteinander in jeder beliebigen Folge kombinierbaren Textsequenzen zusammen.

Diese Text-Samples, die aus mehreren Sprachfeldern kommen, werden durch einen Zufallsgenerator in stets anderer Reihenfolge zu immer neuen Fließtexten zusammengefügt, die aber stets den Charakter bewusst gestalteter lyrischer Prosa bewahren, so als seien sie in jedem Einzelfall das Ergebnis eines zielgerichteten Autorenwillens. Laut Dieter Sperl geht es hier "nicht um einen Bewusstseinsstrom, sondern um künstlich erzeugte Ströme, die mit dem Bewusstsein in Kontakt, in eine Bewegung treten".

Wechselnde Aggregatzustände

Auch Sperls 2005 erschienenes Buch "Random Walker" verbindet Einzelerzählungen, in diesem Fall die Kurzzusammenfassungen subjektiver Kino-Erlebnisse, zu einem komplexen Gewebe aus Bildern. Das Filmtagebuch "Random Walker" wurde von der Kritik "zu den nachhaltigsten österreichischen Prosawerken jüngerer Zeit" gezählt.

"Text" ist für Dieter Sperl ein Strom wechselnder Aggregatzustände, den der Leser um seine eigenen Erinnerungen und Imaginationen bereichert. In dem Buch "Random Walker" wird das anschaulich mithilfe von bekannten Filmstorys dargestellt, die zum persönlichen Erinnerungsfundus fast jeden Lesers gehören.

Wie in seinen Büchern behandelt Dieter Sperl auch in dem Hörspiel "Letzte Liebe" die Gestaltwerdung von Gefühlen und Gedanken. "Manchmal glaube ich, dass die Jagd nach Träumen endlos ist", sagt eine der Figuren in dem Hörspiel. Und die Hauptfigur Ulla Medlitzky erkennt, dass sehnsuchtsvolle Gedanken auch menschliche Gestalt annehmen und uns verfolgen können.

Buch-Tipp
Dieter Sperl, "Random Walker. Filmtagebuch", Ritter Verlag