Geschichten hinter der Mauer
20 Jahre nach dem Mauer-Fall lohnt es, ein Literaturschaffen kennenzulernen, das sich über vier Jahrzehnte lang am Staat reiben musste. Der Schriftsteller Christoph Hein und die österreichische Schauspielerin Chris Pichler stellten exemplarische DDR -Texte vor.
21. August 2018, 21:46
Welche Farbe assoziiert man als erstes mit dem Wort "DDR“? Grau. Das mag für den Staat DDR gelten, nicht aber für die Literatur, die innerhalb seiner Grenzen geschrieben wurde. Unter den schwierigsten Bedingungen. Unter der staatlichen Kontrolle der Verlage und der Zensur entstand eine Literatur, die sich mit und gegen den Staat entwickelte und in ihrem Ringen um Autonomie bis heute spannend zu lesen ist.
Antifaschistisch-demokratische Erneuerung
Das Verhältnis des Staates zu seinen Literaturschaffenden wechselte mit der politischen Grundausrichtung. Die Jahre 1945 bis 1949, als man noch auf Wiedervereinigung hoffte, galten der "antifaschistisch-demokratischen Erneuerung“. Unmittelbar nach dem Nationalsozialismus sollte das Volk im Sinne der Demokratie und des Humanismus umerzogen werden. Als Erziehungsmaterial wurde vor allem das bürgerlich-humanistische Gedankengut der Deutschen Klassik propagiert.
Sozialistischer Realismus
Ab 1949 wurde die Politik der Antifa-Volksfront aufgegeben, die DDR gegründet und alles dem "Aufbau des Sozialismus“ untergeordnet. Modernistische und formalistische Experimente waren in der Literatur verpönt, den Lesern sollten volkstümlich-proletarische Identifikationsfiguren geboten werden: "Sozialistischer Realismus". 1961 erklärte man die Phase des sozialistischen Aufbaus für abgeschlossen und es galt sich im "realen" Sozialismus einzurichten. Diese Ankunfts-Literatur brachte zahlreiche Bildungs- und Entwicklungsromane hervor.
Exodus der DDR-Schriftsteller
1971 wurde der technokratische Ulbricht-Kurs, der von Großprojekten und Totalverplanung geprägt war, vom neuen Staatschef Erich Honecker "korrigiert“ und von den Autoren mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung im Arbeitsprozess verlangt. Wie weit es damit wirklich her war, zeigte sich 1976 in der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Diese löste den offenen Widerspruch vieler DDR-Schriftsteller gegen die Kulturpolitik aus, der Exodus von DDR-Schriftstellern wie Jurek Becker, Günter Kunert, Sarah Kirsch, Erich Loest oder Reiner Kunze begann. Andere - wie Christa Wolf, Volker Braun und Ulrich Plenzdorf - blieben im Land und balancierten zwischen Solidarität und Kritik. Wieder andere - wie Stefan Heym und Monika Maron - lebten zwar in der DDR, veröffentlichen aber – mit großen Schwierigkeiten - im Westen.
Die 1980er Jahre
In den 1980er Jahren wurde die DDR-Literatur zum Ort gesellschaftlicher Kritik. 1987 forderten zwei renommierte Autoren, Günter de Bruyn und Christoph Hein, öffentlich die Aufhebung der Zensur. Einer von ihnen, Christoph Hein, war im RadioKulturhaus zu Gast und stellte zusammen mit der österreichischen Schauspielerin Chris Pichler exemplarische Texte der DDR-Literatur vor.
"Bückware“ als Erfolgroman
Wie Christa Wolfs "Nachdenken über Christa T.“, eine Suche nach einem menschenfreundlichen Sozialismus, die in einer Auflage von nur 800 Exemplaren zur heißbegehrten "Bückware“ wurde und trotzdem eine ganze Generation von DDR-Schriftstellern prägte. Oder Brigitte Reimanns Roman "Franziska Linkerhand“, eine Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Städtebau, dessen Veröffentlichung die Autorin nicht mehr erlebte. Oder Volker Brauns "Unvollendete Geschichte“, die im Westen zum Bestseller und Schulstoff wurde und mit einer kuriosen Nebenhandlung im realen Leben aufwarten kann: Wie sich später herausstellte, arbeitete jene Frau, auf deren Lebensgeschichte das Buch beruht, für die Stasi. Der Autor wurde also gleichzeitig mit Stoff versorgt und bespitzelt. Eine Reise in das Lebensgefühl hinter der Mauer. Ohne westliche Arroganz und ohne Ostalgie.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Kunsthalle Wien in Zusammenhang mit der Ausstellung "1989. Ende der Geschichte oder Beginn der Zukunft? Anmerkungen zum Epochenbruch“
9. Oktober 2009 bis 7. Februar 2010
Mehr zum Ö1 Schwerpunkt "Wendejahr 1989" in oe1.ORF.at
Mehr zu Chris Pichler in oe1.ORF.at
Geschichten hinter der Mauer - Geteilte Literatur unter geteiltem Himmel
Donnerstag, 17. September 2009
19:30 Uhr
Großer Sendesaal
Buchtipps
Brigitte Reimann, Franziska Linkerhand, Aufbau Taschenbuch
Christa Wolf, Nachdenken über Christa T, Luchterhand Literaturverlag
Christoph Hein, Der Tangospieler, Luchterhand Literaturverlag
Volker Braun, Unvollendete Geschichte und ihr Ende, Suhrkamp
Erik Neutsch, Spur der Steine“, Die DDR Bibliothek/Faber&Faber
Reiner Kunze, Die wunderbaren Jahre, S. Fischer
Link
Kunsthalle Wien
Suhrkamp Verlag
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