Reminiszenzen an Vergangenes
Die Stadt der Denkmäler
Die Wolgastadt Kostroma, deren Stadtkern nach den Vorgaben von Katharina der Großen in Form eines Fächers gebaut wurde, tickt ein bisschen anders: Während anderswo in Russland Lenin-Statuen gestürzt wurden, entschied ein Votum in Kostroma dagegen.
8. April 2017, 21:58
"Lenin bleibt!" So entschieden die Einwohner von Kostroma, als es im Jahr 2002 in einer Volksabstimmung um die Frage ging, ob das riesige Standbild des Sowjetführers im Stadtpark entfernt werden solle oder nicht. Dieses Votum, das noch dazu mit großer Mehrheit getroffen wurde, war überraschend, denn von Sowjetnostalgie ist in der Stadt an der Wolga im Allgemeinen nichts zu merken.
Dafür aber finden sich umso mehr Reminiszenzen an die Zarenzeit, gilt doch Kostroma, das zu den interessantesten und schönsten Städten am so genannten "Goldenen Ring Russlands" zählt, als die "Wiege der Romanows", also der letzten russischen Zarendynastie.
Verbunden mit der Zarenfamilie
Aus Kostroma stammte Michail Romanow, der 1613 - nach der sogenannten "Zeit der Wirren", in der Russland von schweren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen erschüttert worden war - im Kostromaer Ipatius-Kloster zum Zaren ausgerufen worden war, was zu einer Beruhigung der angespannten Lage führte.
Obwohl Michail und seine Nachfolger im rund 300 Kilometer entfernten Moskau residierten, blieb die Zarenfamilie Kostroma stets verbunden. So etwa nahm sich Katharina die Große persönlich um die Pläne zum Wiederaufbau der Stadt an, die 1773 durch einen Großbrand fast vollständig zerstört worden war.
Straßen wie ein Fächer
Vor allem die spezielle Anlage des Stadtzentrums, in dem alle Straßen strahlenförmig von einem einzigen Punkt am Wolgaufer ausgehen, soll auf eine Anweisung der Zarin zurückgehen. Sieht man sich den Stadtplan von Kostroma an, so sieht dieser Straßenverlauf wie ein großer Fächer aus.
Angeblich war Katharina mit den Projekten, die ihr von den Architekten vorgelegt worden waren, höchst unzufrieden gewesen. Deren Pläne mit geradlinigen Straßenanordnungen hatten ihr nicht gefallen. Missmutig soll sie ihren Fächer auf den Tisch geworfen und angeordnet haben, dass das neue Kostroma genau die Form ihres Accessoires haben solle.
Ob sich die Sache wirklich genau so zugetragen hat, bleibt offen. Sicher jedoch ist, dass die Altstadt von Kostroma ein bemerkenswertes und sehr gut erhaltenes Ensemble aus dem 18. Jahrhundert darstellt.
Ein Denkmal für die Zaren
1913 wurde das 300-Jahr-Jubiläum der Regentschaft der Romanow-Dynastie mit Festlichkeiten im ganzen Land gefeiert - natürlich auch in Kostroma. Dort beschloss die Stadtverwaltung, der Zarenfamilie ein großes Denkmal zu widmen. Am 20. Mai 1913 erfolgte - im Rahmen eines großen Festaktes - die Grundsteinlegung, an der auch Zar Nikolaus II. teilnahm. Dieser zeigte sich, so berichteten die Zeitgenossen, sehr angetan von den Plänen für das Monument.
Vorgesehen war ein Marmorpostament, das Platz für insgesamt 28 Bronzefiguren bieten sollte. Besonders gefiel dem Zaren natürlich, dass er selbst den zentralen Platz inmitten dieser Standbilder der wichtigsten Mitglieder seiner Dynastie einnehmen sollte: auf einem Thron sitzend, mit einer Karte seines Imperiums auf den Knien, ihm zur Seite sein Sohn, der Zarewitsch Aleksej.
Geplant war, dass das Denkmal in drei bis vier Jahren fertig sein werde - dann sollte es, natürlich wieder im Beisein des Zaren, in einem weiteren großen Festakt feierlich enthüllt werden.
Zunächst lief alles nach Plan: 1916 wurde das Postament aufgestellt, Anfang 1917 kamen die Bronzeskulpturen in Kostroma an. Aber noch ehe diese auf den Sockel gehievt werden konnten, brach die Revolution aus. Der Zar musste abdanken, wurde verbannt und 1918 gemeinsam mit seiner Familie von den Bolschewiki erschossen.
Aus Zar wird Diktator
Die Skulpturen wurden eingeschmolzen, auf den Denkmalsockel aber setzten die Bolschewiki 1928 eine sieben Meter hohe Lenin-Skulptur - eben jene, die auch heute noch dort steht und von der sich die Bewohner Kostromas nicht trennen wollen. "Für uns symbolisiert es - besser als irgendetwas anderes - die Geschichte unserer Stadt und unseres Landes", lautet die Erklärung, wenn man die Stadtführerin nach dem Grund für diese Entscheidung fragt. "Außerdem", so meint sie, "liegt hier der historisch einmalige Fall vor, dass die Skulptur eines Mörders auf dem Postament steht, das für das Denkmal seiner Opfer gedacht war."
Sussanin, der Retter
Das "Romanow-Lenin-Denkmal", wie es in Kostroma genannt wird, ist aber nicht das einzige bemerkenswerte Monument, mit dem die Stadt aufzuwarten hat. Denn unweit davon ragt eine weitere Monumentalskulptur empor: Es ist das "Sussanin-Denkmal", gewidmet dem Kostromaer Bauern Iwan Sussanin. Dieser hatte 1613 dem künftigen Zaren das Leben gerettet.
In der "Zeit der Wirren" erhob auch Polen den Anspruch auf den russischen Thron, polnische Truppen besetzten Moskau und verfolgten Michail Romanow, der in Kostroma, im Ipatius-Kloster, Zuflucht fand. Iwan Sussanin hatte zum Schein eingewilligt, polnische Soldaten zum Versteck Romanows zu bringen. Doch er führte sie auf einen falschen Weg, während sein Sohn zum Kloster lief, um den designierten Zaren vor der geplanten Attacke zu warnen. Als die Polen erkannten, dass sie getäuscht worden waren und ihr Angriff misslingen musste, töteten sie Sussanin. Zum Andenken an ihn wurde später der Hauptplatz von Kostroma Sussanin-Platz benannt.
Nichts für Bolschewiki
Bis zur Oktoberrevolution 1917 befand sich in der Mitte des Platzes ein Denkmal, das an die Ereignisse des Jahres 1613 erinnern sollte. Es war eine Säule, zu deren Füßen Iwan Sussanin saß und deren oberer Abschluss eine Büste des Zaren Michael Romanow bildete.
Den Bolschewiki allerdings missfiel diese so offensichtliche Verehrung des Zaren und die demütig-opferhafte Haltung Sussanins. Sie ließen das Denkmal sprengen und errichteten stattdessen in einem Park eine neue, riesenhafte Sussanin-Skulptur - ohne Zaren.
Glinkas Oper
Ebenso wenig konnten sich die kommunistischen Machthaber übrigens auch für jene Oper begeistern, die der russische Komponist Michail Glinka 1834 Sussanin gewidmet hatte. Schon allein der Titel "Ein Leben für den Zaren" passte nicht ins ideologische Konzept. Das Werk wurde in "Iwan Sussanin" - und für einige Aufführungen sogar in "Für Hammer und Sichel" - umbenannt und kam kaum je auf die Spielpläne.
Doch die Zeiten ändern sich, Glinkas Oper wird nun wieder unter dem ursprünglichen Namen aufgeführt, und in Kostroma will man 2013 erneut ein Jubiläum feiern: "400 Jahre Zarenfamilie Romanow". Schon jetzt wird dafür in der Stadt allenthalben renoviert und restauriert. Und auf dem Hauptplatz verkündet eine große Tafel, dass das alte Sussanin-Denkmal in einer Rekonstruktion hier wieder aufgestellt werden wird - natürlich plus Zarenbüste!
Service
Die Ö1 Studienreise führt unter anderem in das malerische Susdal, in die Wolgastadt Kostroma, in die alte Hauptstadt Vladimir, die heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, und nach Sergiev Posad, dessen riesige Klosteranlage das Zentrum der russisch-orthodoxen Kirche ist.
Termin: 18. August bis 1. September 2011
Ö1 Club-Preis bei Vorweisen der Clubkarte: EUR 2.503,- (statt EUR 2.635,-) am Hauptdeck/2-Bett-Kabine, EUR 2.693,- (statt EUR 2.835,-) am Oberdeck/2-Bett-Kabine, Einzelkabine: EUR 3.130,- (statt EUR 3.295,-), Aufpreis für Doppelkabine zur Alleinnutzung: EUR 620,-, Aufpreis Hotel (Einzelunterbringung): EUR 290,-.
Information & Buchung: RUEFA Reisen, Dresdner Straße 81 - 85, 1200 Wien, (01) 588 00-783, E-Mail.
Ruefa - Ö1 Reisen
Russlandjournal - Der Goldene Ring