Virtuose der Macht
Helmut Kohl
Er ging als Kanzler der deutschen Einheit in die Geschichte ein: Helmut Kohl. Jetzt, anlässlich seines 80. Geburtstages am 3. April 2010, erschien ein Buch, das auch die dunklen Seiten im Leben des Vollblut-Politikers nachzeichnet.
8. April 2017, 21:58
Helmut Kohl, 1930 im Rheinland-pfälzischen Ludwigshafen geboren, stilisierte sich gerne als geistiger Enkel Konrad Adenauers. Wie seinem Vorbild gelang ihm ein schneller Aufstieg vom Provinz-Politiker zum Vorsitzenden der CDU. Als Kohl 1982 Helmut Schmidt von der SPD als Kanzler ablöste, hielten das viele dennoch für einen Betriebsunfall und hofften auf ein schnelles Ende der Ära Kohl. Dem ungelenken, aber leutseligen Pfälzer wurde selbst von Parteifreunden wenig zugetraut, meint Buchautor Rolf Steininger:
"Kohl ist aus unserer Sicht der meistunterschätzte Politiker der Bundesrepublik gewesen - was dumm ist", meint er. "Wenn jemand 16 Jahre Kanzler gewesen ist und 25 Jahre Vorsitzender muss ja wohl mehr dahinter sein."
Zahlreiches unveröffentlichtes Material gesichtet
Auf über 300 Seiten zeichnen Rolf Steininger und Co-Autor Heribert Schwan die Karriere des langjährigen Kanzlers nach, der wie kaum ein anderer Nachkriegspolitiker deutsche Geschichte schrieb. Bei ihren Recherchen konnte das Autorenduo auf Material zurückgreifen, das in den bisherigen Biografien Helmut Kohls kaum berücksichtigt wurde. Vor allem Heribert Schwan hat Materialien zu Gesicht bekommen - Sitzungsprotokolle und Gespräche -, "die normalerweise 30 Jahre gesperrt sind", so Steininger. Allein 16 Stunden Interviewmaterial mit Helmut Kohl liegt der Biografie zugrunde und bilden das Gerüst.
Der Hauptteil des Buches ist dem Weg zur deutschen Einheit gewidmet. Und diese Kapitel lesen sich spannend wie ein Krimi. Etwa, wenn anhand von diplomatischen Dokumenten und Archivmaterial rekonstruiert wird, was sich zwischen dem ersten Schwächeln des Ostblocks und dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs abgespielt hat. Wie der Prozess der deutschen Wiedervereinigung in Gang gekommen ist, immer wieder auch auf der Kippe stand. Und welche - oft zwielichtige - Rolle die Staatsoberhäupter Margaret Thatcher, Francois Mitterand, Michael Gorbatschow und George Bush senior in diesem Prozess spielten.
Historische Momente
Die Buchautoren Heribert Schwan und Rolf Steininger zeigen auch auf, wie Helmut Kohl außenpoltische Vorgänge zu nutzen wusste, um jede Kritik innerhalb der Partei zum Verstummen zu bringen. Etwa im September 1989, als der damalige ungarische Ministerpräsident Miklos Nemeth nur Stunden vor dem CDU-Parteitag bekannt gab, die Grenzen für DDR-Flüchtlinge öffnen zu wollen. Da präsentierte sich Kohl als "starker Mann", so Steininger.
Nicht einmal ein Jahr dauerte es vom Fall der Mauer am 9. November 1989 bis zur deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 - Tage, in denen es in der Geschichte der Bonner Republik mehr historische Momente gegeben hatte als jemals zuvor.
Illegale Parteispenden
Innenpolitisch galt der ewige Kanzler weniger als Reformer denn als eigensinniger Patriarch, ein Virtuose der Macht, auch wenn er außerhalb Deutschlands kaum diesen Eindruck vermittelte. Er habe die Macht genossen, meint Steininger, und "hätte das gern noch ein bisschen länger gemacht - das hat nicht funktioniert".
1998, acht Jahre nach der Wiedervereinigung, wurde die Regierung Kohl abgewählt. Kurz darauf geriet der Altkanzler wieder in die Schlagzeilen: Ihm wurde vorgeworfen, jahrelang illegale Parteispenden angenommen zu haben. Helmut Kohl habe der Partei "Schaden zugefügt", schrieb sogar Angela Merkel über ihren poltischen Ziehvater.
"Wenn man zu lange im Mittelpunkt der Macht steht glaubt man, man könnnte sich über Gesetze hinwegsetzen", so Steininger. Kohl habe niemandem erzählt, von wem das Geld komme. Damit seien "25 Jahre Parteiführung den Bach runtergegangen", sein Ansehen habe in der Öffentlichkeit sehr gelitten, so sehr "dass sein 'Mädchen' Angela Merkel gesagt hat: Jetzt musst du zurücktreten - eine Sache, die er bis heute nicht verwunden hat, weil sie ohne ihn goa nix wäre".
Einblick in die Ära Kohl
Die Biografen beschreiben auch die bislang letzten Kapitel im Leben des Helmut Kohl ausführlich. Etwa den Freitod seiner Frau Hannelore Kohl im Jahr 2004. Oder den Unfall vor zwei Jahren, bei dem der Altkanzler schwere Kopfverletzungen erlitt. Kurz darauf heiratete er seine neue Lebensgefährtin Maike Richter. Seither ist es still geworden um den langjährigen CDU-Vorsitzenden.
Rolf Steininger und Heribert Schwan haben mit ihrer Biografie dem deutschen Alt-Kanzler jetzt ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Was man sich als Leser oft wünschen würde, ist mehr kritische Distanz zum Buchhelden. Überzeugen können die Biografen aber mit ihrer umfangreichen Recherchearbeit, die einen hervorragenden Einblick in die Ära Kohl gestattet.