Jürgen Conrad, Techniker
Sendungsbewusst
Jürgen Conrad weiß von einem Teil der österreichischen Radiogeschichte, die gerne vernachlässigt wird: Damit ein Programm "on air" gehen kann, braucht es Sender, Masten, Leitungen und Menschen, die sich um deren Funktionieren kümmern.
8. April 2017, 21:58
Als der ORF am 31. Dezember 1994 das erste Mal seine Sendungen auf Mittelwelle beendete, ließ Jürgen Conrad den Sender elf Minuten in das neue Jahr senden. "Die paar Minuten Stromkosten hätte ich auch privat zahlen können" sagt er, denn er fand, dass ein Abschied der österreichischen Mittelwelle aus dem europäischen Äther mit der inoffiziellen Hymne des Landes enden sollte.
Vielleicht aber hatte dieser Akt der Zivilcourage eine magische Wirkung, denn mit dem 21. März 1997 sollte für den altehrwürdige Sender ein neuer (allerdings letzter) Frühling beginnen. Radio 1476, ein Informations- und Experimentalprogramm, wurde gestartet - mit Hilfe des inzwischen pensionierten Jürgen Conrad. Er half beim Neustart der außer Betrieb genommen Anlage, und bevor noch eine neue Stromzuleitung gebaut wurde, startete er eines der alten Dieselaggregate mit ihren Generatoren, die den Sender unabhängig von Stromleitungen machten. Der riesige Schiffsdiesel lief, die Röhrensender aus den 1950er Jahren funktionierten immer noch, der Neustart der Mittelwelle konnte weiter betrieben werden.
Für den Job prädestiniert
In den späten 1950er Jahren hat sich der HTL-Absolvent Jürgen Conrad beim Österreichischen Rundfunk um einen Posten als Tontechniker beworben, da er als Fachrichtung Starkstromtechnik gewählt hatte, war er aber prädestiniert für einen Job im expandierenden Bereich Senderbetrieb. Der Bisamberg sollte für ihn und seine Familie zur Heimat werden, denn in diesen Zeiten mussten die Sendetechniker in den Dienstwohnungen mit dem herrlichen Ausblick über Wien wohnen.
Die Mittelwelle auf den Frequenzen von 585 und 1476 kHz versorgten Wien und große Teile Niederösterreichs mit den beiden österreichischen Rundfunkprogrammen, erst 1967 - nach der Rundfunkreform - entstand mit Ö3 ein Programm, das nur auf UKW sendete. Immerhin: zum UKW- und Fernsehsender auf dem Kahlenberg auf der anderen Seite der Donau besteht Blickkontakt.
Jeder Sender eine Einzelanfertigung
Jürgen Conrad erzählt aus Zeiten, in denen technische Geräte wie Sendeanlagen (mit Ausnahmen der hochspeziellen Röhren) praktisch am Ort gebaut werden konnten, als Einzelanfertigung der Standard war. Am Bisamberg standen damals die inzwischen denkmalgeschützten Gebäude aus den 1930er Jahren, es gab den Senderaum mit der Glaswand, die ein Panorama über Sendeleitungen, Masten und das ganze Donautal freigibt. Innen zwei riesige Pulte zur Bedienung der Sendeanlage.
Aber wenn man am Arbeitsort wohnt, dann ist man auch immer bereit einzugreifen: Jürgen Conrads Frau sah zum Beispiel am 28. Juli 1982 vom Fenster der Wohnung aus Rauch aufsteigen. Jürgen Conrad musste die diensthabenden Kollegen als erster vom Brand der 600-kW-Sendeanlage benachrichtigen... Die Reparatur des Senders mit dem Namen "Alice" dauerte mehr als ein Jahr.
Nachrichten für das Ausland
Besonders der Sender für die Frequenz 1476 kHz hatte eine wichtige Funktion nicht nur für Österreich, sondern für die Information der Menschen in den Ländern des Warschauer Paktes, deren Bedeutung besonders im Jahr 1968 beim Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in der CSSR deutlich geworden war - damals sendete der ORF auch Nachrichten in tschechischer Sprache. Dies war ein Anlass für die Errichtung dieses starken Senders. Eine internationale Funktion konnte auch in den Jahren des Balkankrieges mit "Radio Nachbar in Not", später "Donaudialog", weiter geführt werden.
Viele Geschichten weiß der begeisterte Segler Jürgen Konrad von der Geschichte der Sendeanlage zu erzählen, aber dass eine Zündschnur, die fliehende SS-Truppen gelegt hatten, um das Generatorengebäude zu sprengen, von beherzten Mitarbeitern des Senders ausgetreten oder durchgeschnitten worden wäre, diese Geschichte verweist er in das Reich der Bisamberg-Sagen: Ja, es hätte sich die Spur der brennenden Lunte in den Kachelboden der Halle gefressen, aber es fand zweifelsfrei eine Sprengung statt, denn schließlich sei ja auch das Dach der Halle weggeflogen und einer der Schiffsdiesel beschädigt worden.
Entscheidung des Bundeskommunikationssenates
Das Ende des Mittelwellebetriebs des ORF war abzusehen, nachdem ein Funktionär der slowenischen Volksgruppe eine Klage beim Bundeskommmunikationssenat eingebracht hatte, um zu erreichen, dass der ORF UKW-Sendungen für die Wiener Volksgruppen ausstrahlt. Dieses Verfahren endete damit, dass sich der Bundeskommunikationssenat der Meinung "die Mittelwelle (sei) im Vergleich zu UKW-Sendungen ein Medium 'zweiter Klasse' mit nicht angemessener Empfangsqualität" im Juni 2008 anschloss und den ORF zu entsprechenden UKW-Sendungen verpflichtete.