Print, TV und Internet in Konkurrenz
Welche Zukunft hat das Buch?
Wer hat Angst vorm Netz? Was an der Debatte über die Frage, ob "das Buch" eine Zukunft hat, schief läuft, und die elitäre Missachtung der Netzkultur fortführt, thematisiert Frank Hartmann in seinem Vortrag bei den 40. Rauriser Literaturtagen.
8. April 2017, 21:58
Die Rauriser Literaturtage sind nun also 40 Jahre alt, und es ist nur mäßig originell zu fragen, was in weiteren vier Jahrzehnten sein wird: ob es dann noch Bücher und Bibliotheken gibt. Es ist so ein Problem mit Prognosen - die Wahrscheinlichkeit, sich mit ihnen zu blamieren, ist auch schon das einzige, was an ihnen sicher ist. Aber es gibt Möglichkeiten, die Frage anders zu stellen.
Zum Beispiel so: Werden im Jahr 2050 Apple, Amazon und Google die Verlage abgeschafft haben? Werden dank neuer Medientechnologien dann vielleicht die Autoren den Hauptteil an ihrem Werk verdienen, und nicht ihre Verleger und die Buchhändler? Und was ist überhaupt noch ein Buch, angesichts neuer multimedialer Narrative? Was wäre die Bibliothek der Zukunft?
Medien des Wissens und Erzählens
Das sind Fragen, die an den Grundfesten der westlichen Kultur rühren. Kultur aber ist kein Wert ohne Kontext, sie hängt immer auch von den Medien ab, Kultur bedeutet immer auch Kulturtechnik. In den letzten vier Jahrzehnten hat sich genau das verändert, und zwar ebenso radikal wie unvorhersehbar: Als Medium des Erzählens erwuchs dem Buch die mächtige Konkurrenz Fernsehen, und der Bibliothek als Medium des Wissens die übermächtige Konkurrenz des Internets.
Jahrzehnte vor dem Internet war klar, dass das Buch nicht das Leitmedium für die Wissensgesellschaft bleiben kann, und die Bibliothek in ihrer Funktion der Verwaltung von Wissensbeständen beschränkt ist. Ohne diesen kulturell lang angekündigten Bedarf an neuen medialen Formen hätte sich das Internet niemals allgemein durchsetzen können. Es wäre geblieben, wofür es am Anfang geplant war - eine Anwendung für Expertensysteme.
Insignien des Bürgertums
Bücher sind nicht nur für die, die sie geschrieben haben, immer noch Mittel sozialen Distinktionsgewinns. In der Moderne wurden Bücher und Bibliotheken zu Insignien des Bürgertums.
Das gediegene Buchregal gehört unmittelbar zur bürgerlichen Existenz und in den Bibliotheksbauten manifestiert sich neben den Kathedralen des Klerus und den Palästen des Adels das neue bürgerliche Selbstbewusstsein. Zudem errichtete die Aufklärung ein ganz eigenes Wissensideal, das Ideal einer Lesbarkeit der Welt.
Ende der Privatheit
In der sich nun formierenden Netzkultur (und wie viel Veränderung wurde manifest, in gerade einmal zwei Jahrzehnten!) werden Tugenden des bürgerlichen Individuums immer weniger prämiert, verbunden mit einer tendenziellen Abwertung traditioneller publizistischer Formen der Printmedienkultur.
Dieses Ende der Privatheit kennt viele Formen. Schon die Erfolgsgeschichte der Massenmedien und jetzt die der Social Networks weist auf eine tiefgreifende Veränderung der kulturellen Codes.
Es ist kein Zufall, dass nach der Epoche bürgerlicher Individualisierung, in der das Bücherlesen zum Habitus sozialer Distinktion geriet, Wirklichkeit immer weniger durch den gebildeten Intellekt und immer stärker durch Medien synthetisiert wird: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien." (Niklas Luhmann)
Das definitive Ende des Buches und der Literatur wird das wahrscheinlich nicht sein, aber deren Funktionswandel. Das Buch stand einst für die Gleichzeitigkeit der Verfügbarkeit von Wissen. Es schuf die Gelehrtenrepublik, als den gemeinsamen Raum vorhandener Informationen zu einen Thema oder Forschungsgegenstand. Diese Organisationsgrundlage des Wissens bildete eine wesentliche Bedingung der Möglichkeit wissenschaftlichen Fortschritts.
Weltweites Publikum
Nun kann, wer will, innerhalb weniger Minuten ohne jegliches eigenes Produktionsmittel (Internet-Zugang vorausgesetzt) schriftlich oder in multimedialer Form publizieren und damit ein lokales, nationales und potenziell sogar weltweites Publikum adressieren.
Es entstehen neue Formen nicht nur des Publizierens jenseits des Buches, sondern auch jenseits der herkömmlichen Formen des Schreibens, das sich technisch anders organisiert.
Eine neue Generation von Autoren publiziert ihre Texte selbst längst online. Natürlich wird es eine ganze Weile noch so sein, dass die besten Produkte aus dem Netz in die Wertschöpfungskette der Verlagsindustrie eingehen werden. Aber deren viel beschworene Qualitätskontrolle findet längst schon anderswo statt: Im Vorfeld jener Leserinnen und Leser, die in Blogs von Autoren Kommentare hinterlassen und in dieser oder jener Form an deren Geschichten mitschreiben. Oder gleich selbst zu Autoren werden - Web-Plattformen dazu gibt es zuhauf.
Man wird als Autor von Online-Verlagen auf allen Ebenen abgeholt: "from inspiration to distribution: connect, write, publish, sell" (so die Werbung von fastpencil.com).
Service
Der komplette Vortrag ist in "VOLLTEXT" 2/2010 nachzulesen.
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