Politologe Anton Pelinka zum Wahlergebnis
Ungarn: Sozialisten wurden abgestraft
Die Sozialisten sind bei der Parlamentswahl in Ungarn regelrecht abgestraft worden. Der Regierungswechsel sei logisch und zu erwarten gewesen, aber das Ausmaß des Absturzes der Sozialisten sei mehr als ein normaler Machtwechsel in einer Demokratie, sagt der auch in Budapest unterrichtende Politologe Anton Pelinka.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 12.04.2010
Nationalistische Karte
Fidesz-Chef Viktor Orban "konnte punkten, weil der Gegner nach acht Jahren Regierung enorm angeschlagen war." Als Gründe für die außergewöhnlich große Niederlage nennt Pelinka Korruptionsvorwürfe gegen Vertreter der sozialistischen Partei und dass die rechte Opposition sehr stark auf die nationalistische Karte gesetzt habe. Das habe die Folgen der wirtschaftlichen Situation noch einmal verstärkt.
"Politik der Opfer"
Als vordringlich bezeichnet Pelinka nun den weiteren Kurs der wirtschaftlichen Stabilisierung. Die Regierung Orban werde nun mit einer "Politik der Opfer" fortsetzen müssen, was die sozialistische Regierung in ihrer Schlussphase bereits getan hat.
"Europäischer Unruheherd"
Pelinka befürchtet nun, dass Orbans Versprechungen wie Steuersenkungen und neue Jobs nicht erfüllt werden können und daher die nationalistische Linie im Vordergrund stehen könnte - wie ungarische Pässe für Auslandsungarn und Doppelstaatsbürgerschaften für ungarische Minderheiten in der Slowakei und Rumänien. "Und das ist ein europäischer Unruheherd."
Professionelle EU-Präsidentschaft
Ein besonderes Spannungsfeld wird sich auftun, wenn Ungarn am 1. Jänner 2011 den EU-Vorsitz übernimmt. Schließlich gelten die Ungarn ähnlich EU-kritisch wie die Österreicher. Der Politologe Pelinka erwartet aber, dass Orban nicht auf Konfrontation mit der EU gehen und die EU-Präsidentschaft professionell abwickeln wird.
"Balanceakt" mit Joppik
Eine besondere Rolle kommt in Zukunft auch der rechtsextremen Partei Joppik, sagt Pelinka: Zwar werde Orban keine Kooperation mit Joppik eingehen, er werde aber versuchen, Joppik Wähler streitig zu machen und daher in der Substanz Konzessionen machen. "Ein Balanceakt mit offenem Ausgang", so Pelinka.
Absolute für Fidesz
Bei der ersten Runde der ungarischen Parlamentswahl hat die bisherige Oppositionspartei, der nationalkonservative Bürgerbund Fidesz unter Viktor Orban einen Erdrutschsieg errungen. Fidesz gewann mit fast 53 Prozent der Stimmen eine absolute Mehrheit und kann bei der zweiten Runde in 2 Wochen auch noch eine zwei Drittelmehrheit holen. Die seit acht Jahren regierenden Sozialisten wurden mit knapp 20 Prozent abgestraft, ihr Stimmenanteil wurde mehr als halbiert. Die rechtsradikale Partei Jobbik, die im Wahlkampf mit rassistischen Parolen aufgefallen ist, kam auf fast 17 Prozent. Überraschend stark der Auftritt der Grünpartei LMP, die mit mehr als 7 Prozent locker die 5 Prozenthürde nahm und künftig im ungarischen Parlament vertreten sein wird.
Zweidrittelmehrheit in Reichweite
Der nationalkonservative Bürgerbund Fidesz unter dem 46-jährigen Viktor Orban, der schon von 1998 bis 2002 Premierminister Ungarns war, hat es nach acht Jahren Opposition wieder geschafft. Orban hat schon nach der gestrigen ersten Wahlrunde eine komfortable absolute Mehrheit und kann künftig ohne Koalitionspartner regieren.
In zwei Wochen gibt es in 55 Wahlkreisen eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten und auch bei dieser Stichwahl wird Fidesz ordentlich abräumen. In 53 von 55 Wahlkreisen liegt der Fidesz Kandidat zum Teil deutlich voran. Es ist also zu erwarten, dass sich Fidesz in der zweiten Wahlrunde auch noch eine Zweidrittelmehrheit holt. Damit kann Orban dann auch die Verfassung ändern.
Mittagsjournal, 12.04.2010
Jobbik punktete mit Hassparolen
Auffallend stark hat Fidesz in Westungarn abgeschnitten. In den Komitaten entlang der Grenze zu Österreich kam die Orban-Partei auf bis zu 63 Prozent der Stimmen. Während Fidesz den Westen des Landes dominiert, hat die rechtsradikale Partei Jobbik im Norden und Osten Ungarns gehörig aufgetrumpft. In manchen Wahlkreisen kam Jobbik auf knapp 30 Prozent. In dieser Region ist die Armut am größten.
Im Norden und Osten Ungarns leben auch viele Roma. Die Infrastruktur ist schlecht, Arbeitslosigkeit und Kleinkriminalität sind hoch. Dementsprechend groß ist daher die Unzufriedenheit der Menschen mit den etablierten politischen Parteien. Jobbiks Hassparolen gegen Roma, Juden und multinationale Konzerne, die aus Sicht der Rechtsradikalen nur von Profitgier getrieben werden, fallen dort auf fruchtbaren Boden.
Grüne stark in Städten
Überraschend war der Auftritt der erst zwei Jahre alten Grünpartei LMP bei dieser Wahl. Das Kürzel LMP steht für „lehet más a politika“, übersetzt heißt das "Politik kann anders sein". Tatsächlich hat sich die Partei von allen anderen deutlich abgegrenzt und sich für alle jene als wählbare Alternative präsentiert, die weder Fidesz, noch die Sozialisten und schon gar nicht Jobbik wählen wollten.
Vor allem urbane linksliberale Intellektuelle sind der ungarischen Grünpartei sehr zugetan, die vom Budapester Rechtsanwalt András Schiffer geführt wird. Dementsprechend stark war das Abschneiden von LMP in den Städten. Allein in Budapest holte die Parteih fast 13 Prozent.
Nur Stammwähler für Sozialisten
Die MSZP, die Sozialistische Partei Ungarns, hat überall verloren. Gewählt wurde sie hauptsächlich von Pensionisten und älteren Menschen, die immer schon rot gewählt haben und das auch in Zukunft tun werden.