Der "rote Kaiser" privat

Theodor Körner

Cherica Schreyer-Hartmann hat Theodor Körner als junges Mädchen gut gekannt - war der Bundespräsident doch während seiner letzten Lebensjahre der Geliebte ihrer Mutter. Ihr Buch zeigt Theodor Körner von einer anderen, bisher unbekannten Seite.

Legende von der Homosexualität

Nein, Theodor Körner war nicht schwul, zumindest nicht ausschließlich. Zu Lebzeiten des 1957 verstorbenen Bundespräsidenten wurde eifrig getuschelt: Ein unverheirateter Mann seines Alters, da könne doch etwas nicht stimmen. Und außerdem, hatte Körner nicht vor dem Ersten Weltkrieg Kontakt gehabt zu Oberst Redl, dem berühmten Spion, der seiner Homosexualität wegen vom zaristischen Geheimdienst erpresst worden war?

Cherica Schreyer-Hartmann stellt die Legende von Körners Homosexualität massiv in Frage in ihrem Buch. Seit den späten 1940er Jahren sei der prominente Sozialdemokrat in ihre Mutter verliebt gewesen, erklärt Schreyer-Hartmann in ihrem Werk. Die Kitzbühler Kaufmannstochter stützt sich dabei auf bisher unbekannte Briefe und Fotos, die sie im Nachlass ihrer Mutter gefunden hat. Als Teenager, Anfang der 1950er Jahre, hat Cherika Schreyer-Hartmann den Bundespräsidenten auch selbst kennengelernt. Theodor Körners Lebensvollzug hatte etwas Spartanisches, erinnert sie sich. Die Persönlichkeit des "Generals" war aber nicht nur von seiner militärischen Erziehung in der k.-und-k.-Zeit geprägt.

"Sicher war eine Facette an ihm spartanisch", erinnert sich Cherika Schreyer-Hartmann. "Ich weiß nicht, ob sie steif war, sie war eher pragmatisch. Er war Militär, da gab's nicht viel Grund zum Kichern und zum Scherze-machen. Aber er war vom Inneren her sicher ein unglaublich lebhafter und lebendiger Mensch."

In Kitzbühel Trost gefunden

Cherika Schreyer-Hartmanns Buch ist eine Mischung aus seriöser Biografie und privater Selbsterforschung. Im Wesentlichen geht es um Theodor Körner und sein Verhältnis zu Frauen. Ausführlich widmet sich Schreyer-Hartmann etwa der Beziehung des prominenten Schutzbund-Beraters zu Netka Latscher-Lauendorf, der "Roten Baronin", die sich nach dem Zusammenbruch der k.-und-k.-Monarchie zur glühenden Anhängerin der Wiener Sozialdemokraten entwickelt hat.

Nach Netkas Tod 1943 stürzte Körner, der sich während der Nazidiktatur politischer Aktivitäten notgedrungen enthielt, in eine schwere Depression. Eine Zeitlang dachte er damals an Selbstmord. Trost fand er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bei Cherica Schreyer-Hartmanns Mutter, Beatrix Hartmann, einer feschen Kitzbühlerin, die zusammen mit ihrem Mann ein Keramikgeschäft in der Tiroler Bezirkshauptstadt führte.

Gatte Manuel war durchaus nicht unanfällig für die Reize anderer Damen, er wusste auch um die Liebe Körners zu seiner Frau. Man behandelte die Dinge - na, sagen wir, aufgeklärt. Cherica Schreyer-Hartmann erinnert sich, dass Körner ihrer Mutter mit der Leidenschaftlichkeit eines liebeskranken Gymnasiasten verfallen war.

Ferien in Mürzsteg

Unvergesslich sind für Schreyer-Hartmann die Ferienwochen, die sie Anfang der 1950er Jahre zusammen mit ihrer Mutter immer wieder in der präsidentialen Ferienvilla in Mürzsteg verbringen durfte.

"Die Sommerwochen in Mürzsteg waren die einzige wirkliche Freiheit für Körner", so Schreyer-Hartmann, "weil er nicht so überwacht wurde. Er konnte wirklich wandern mit uns, solange er noch relativ gut bei Fuß war. Und wir haben Ausflüge mit dem Jeep gemacht in die Berge. Und wir haben die Mürz gehabt. Es war eine wunderschöne Zeit."

Kritiker der Schutzbund-Führung

Von seinem Denken und Handeln her war der sozialdemokratische Zentrist Theodor Körner Realpolitiker. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er nach dem Justizpalast-Brand von 1927 zu den schärfsten Kritikern der österreichischen Schutzbund-Führung gehörte. Norbert Leser arbeitet in seinem Vorwort zu Schreyer-Hartmanns Buch sehr schön heraus, was Körner an der Politik von Julius Deutsch und anderen Schutzbund-Führern kritisierte:

Körner erkannte frühzeitig, dass ein militärischer Widerstand gegen die Übermacht des Bundesheers nur erfolgreich sein kann, wenn die Bevölkerung in den Kampf mit einbezogen wird und wenn die Grenzen der Legalität durch spontanes Massenhandeln gesprengt und überschritten werden. Körner erweist sich in dieser Analyse als genialer Stratege, dessen Strategie als Vorläufer der Guerillatechnik der Tupamaros und ähnlicher Gruppen in Südamerika und anderswo betrachtet werden kann. (...) Das von Körner für den Ernstfall empfohlene Konzept passte aber ganz und gar nicht in den Rahmen einer sozialdemokratischen Partei, die ihre Führungsrolle nicht an die spontanen Aktionen der Massen delegieren wollte und peinlich bemüht war, den Rahmen der Legalität nicht zu überschreiten, also etwa die Erstürmung von Wachstuben und die Plünderung von Lebensmittelgeschäften zuzulassen. Theodor Körner erkannte frühzeitig und klar, dass unter diesen Umständen der angedrohte Widerstand von vornherein zum Scheitern verurteilt war.

Was sich im Februar 1934 - als der bewaffnete Widerstand der Sozialdemokraten unkoordiniert und viel zu spät losbrach - auf tragische Weise bewahrheiten sollte.

Körner wurde, wie Tausende andere Sozialisten und Kommunisten, verhaftet und verschwand für elf Monate hinter Kerkermauern. Nach seiner Freilassung arbeitete Körner als Wissenschaftler im Kriegsarchiv, was ihm von den Nazis jedoch 1943 untersagt wurde. Nach dem Hitler-Attentat vom Juli 1944 wurde Körner von der Gestapo vorübergehend festgenommen.

"Sozial denken, sozial fühlen, sozial handeln!"

Es ist die Biografie eines untadeligen Antifaschisten, die Cherika Schreyer-Hartmann in ihrem Buch zeichnet. Es war wohl sein tiefempfundener Humanismus, der den hochrangigen k.-und-k.-Militär Anfang der 1920er Jahre ins sozialdemokratische Lager wechseln ließ.

"Wir haben von ihm nie etwas anderes gehört als dass man, wenn man ein Hirn hat, sozial denken muss", erzählt Schreyer-Hartmann. "Seiner Meinung nach war das eine Frage der Intelligenz. Er hat ja den berühmten Spruch immer verwendet: 'Sozial denken, sozial fühlen, sozial handeln!' Das waren seine Maximen."

Cherika Schreyer-Hartmann hat ein lesenswertes Buch über Theodor Körner geschrieben, auch wenn sie das Material, das sie zusammengetragen hat, bisweilen etwas unübersichtlich arrangiert. Dann und wann geht mit der Autorin auch eine gewisse Plauderseligkeit durch. Den einen oder anderen Seitenstrang - über die Tobinsteuer etwa oder über gewisse familiäre Details - hätte sie auch entschieden straffer gestalten dürfen. Sei's drum: Im Großen und Ganzen gelingt Schreyer-Hartmann ein lebendiges Porträt Theodor Körners, einer der schillerndsten Figuren der österreichischen Zeitgeschichte.

Service

Cherica Schreyer-Hartmann, "Theodor Körner. Der rote Kaiser und die Nachtigallen", Verlag Christian Brandstätter

Brandstätter Verlag