Festival junger Regisseure in München
Radikal jung
Vor fünf Jahren präsentierte das Münchner Volkstheater erstmals ein Theaterfestival, das kein Stückemarkt und keine Best-of-Veranstaltung sein wollte. Vergangenes Wochenende begann die sechste Auflage des Festivals "Radikal jung".
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 14.04.2010
Ein grünes Sofa steht in weißer Schneelandschaft, während vom Bühnenhimmel Infrarot-Strahler baumeln, die zugleich Schaukeln sind. In dieser kargen, unwirtlich-winterlichen Szenerie lässt Alice Buddeberg ihr "Hedda Gabler"-Personal staksen, schliddern, taumeln und stürzen: den bieder-blassen Ehemann, den dandyhaft-labilen Konkurrenten, die unterwürfig-ergebene Adjutantin, den berechnend-erpresserischen Hausfreund - und die gelangweilt-schmollende Primadonna Hedda.
Kein bürgerliches Melodram wird hier gegeben, keine Frauentragödie im Fin-de-siècle-Gewand expliziert, sondern die Lächerlichkeit von Existenzen, die keinen Halt mehr finden, die nicht zueinander und nicht voneinander kommen, kläglich gescheitert an der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die junge Regisseurin, um Schnoddrigkeit, Entpathetisierung und einen bewusst heutigen Ton bemüht, beginnt ihr Hedda-Gabler-Remake durchaus vielversprechend, um schließlich doch in Gerutsche, Geraufe und matter Theatralik zu enden.
Mit dieser weder wirklich überzeugenden, noch gänzlich missglückten Arbeit, einem Gastspiel des Schauspiels Frankfurt, begann am Freitag, 9. April 2010, im Münchner Volkstheater ein kleines Festival, das vielversprechenden Regietalenten gewidmet ist: "Radikal jung".
Acht Produktionen ausgewählt
"Es gibt im ganzen deutschsprachigen Raum kein vergleichbares Festival", sagt Kilian Engels, Festivalleiter und Dramaturg am Münchner Volkstheater. "Was es nicht gegeben hat, ist dieses Festival für junge, professionell arbeitende Regisseure, die ihre Ausbildung schon einige Jahre hinter sich haben und nicht den Marktwert haben, auf dem ehrwürdigen Berliner Theatertreffen vertreten zu sein. Für die wollten wir etwas tun."
Das Münchner Volkstheater veranstaltet "Radikal jung" nun zum sechsten Mal. Aus rund vierzig gesichteten Produktionen hat die Jury, zu der neben Engels der Theaterkritiker C. Bernd Sucher und die Schauspielerin Annette Paulmann gehören, acht für das Festival ausgewählt, Produktionen aus Frankfurt, Berlin, Hamburg, Bochum, Leipzig und Dresden und vom veranstaltenden Münchner Volkstheater, inszeniert von Regisseuren, geboren zwischen 1976 und '83. "Es geht tatsächlich da drum, eine Generation von jungen Leuten in der ganzen Bandbreite zu zeigen", sagt Engels.
Schiller-Adaption mit Zaubernummern
"Der Geisterseher" nannte Friedrich Schiller ein Romanfragment, das von einem deutschen Prinzen in Venedig handelt und von Geisterbeschwörung, Magie und Intrige. Der 26-jährige Antú Romero Nunes, Sohn eines portugiesischen Vaters und einer chilenischen Mutter, hat das vom Autor selbst als "Schmiererei", als Konzession an den Publikumsgeschmack abgetane Werk zu einer 100-minütigen Theatershow eingedampft.
Zwei Schauspieler spielen und rezitieren eine Collage mit Zaubernummern, Gesangseinlagen, Theaternebel und Aus-der-Rolle-Fallen, und auch wenn der Sinn der Übung, der dramaturgische rote Faden, in der Spiellust verloren zu gehen droht, so feierte Nunes' Schiller-Adaption doch einen erstaunlichen Kritiker- und Publikumserfolg. Nach dieser seiner Abschlussarbeit an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin ereilten den Regie-Newcomer Inszenierungsaufträge am Schauspiel Frankfurt, am Thalia in Hamburg, am Schauspiel Essen. Antú Romero Nunes - ein radikal junger Regisseur?
"Radikal? Man muss konsequent sein", meint Nunes. "Man kann sich Radikalität nicht vornehmen. Das ist immer dem Inhalt geschuldet, wenn man ein Stück macht und sich fragt, wie viel bleibt von dem Stoff übrig oder welche Chance hat das Stück noch im Regietheater? (...) Man bleibt am Inhalt und guckt was es braucht. Und dann geht es los. Und dann kann das jemand als sehr radikal begreifen."
"Bunburry" als Schwulenklamotte
Ebenfalls von der Berliner Ernst-Busch-Hochschule kommt Anna Bergmann. Im Gegensatz zu Nunes aber ist die 31-Jährige kein Regie-Neuling mehr. Sie ist seit zehn Jahren im Geschäft und inszenierte mehr als zwei Dutzend Opern- und Schauspielproduktionen, in Weimar, Berlin und Heidelberg, in Bochum, Göttingen und Oldenburg.
Für das Festival eingeladen wurde eine Inszenierung für das Thalia Theater in Hamburg, "Bunburry" oder "Ernst ist das Leben". Doch Oscar Wildes mit viel Sprachwitz und Situationskomik gesegnete Komödie verkommt bei Bergmann zur albernen Travestie, zur plumpen Schwulenklamotte mit billigen Gags und lahmen Karaokenummern.
"Wir hatten keine gute Probenzeit, es lief überhaupt nicht rund, es waren keine guten Bedingungen und dementsprechend bin ich von dem Ergebnis nicht wirklich überzeugt", bemerkt selbstkritisch die junge Regisseurin, die zuletzt in Bochum "Leonce und Lena" herausbrachte, eine Arbeit, mit der sie sich mehr identifiziert als mit der auf dem Festival gezeigten.
"Leute, die schon mal was von mir gesehen haben, die wissen sofort, natürlich, das ist von der Bergmann. Es zeichnet sich durch eine vehemente Opulenz aus, durch extreme Kostüme, Bühnenbild. Ich liebe es, eine Welt zu erfinden mit allem, was das Theater so hergibt."
Ein anderes Theater-Vokabular
Bergmann, Nunes und Co. sind der Beweis, dass hiesige Theater auch dem Nachwuchs eine Chance geben, dass freche, frische, engagierte Zugriffe gefragt sind, auch wenn sie vielleicht nicht immer rundum gelungen sind, dass es zwischen dem schlagzeilenträchtigen Bilderstürmer und dem besonnenen Literaturexegeten genügend andere Verwirklichungsmöglichkeiten gibt.
"Diese junge Generation hat eine andere Sprache für das Theater, ein anderes Vokabular", meint Engels. "Das hat stark damit zu tun, dass die, anders als die vorhergegangene Generation, auf den Akademien ausgebildet worden sind. Die haben nie diese Assistentenzeit gehabt, die haben nie lange einem Übervater zuschauen und sich erst einmal absetzen müssen. Die wurden auf die Akademie aufgenommen, mussten da sofort selber ran und da ihren eigenen Stil finden und entwickeln."
Die junge Generation ist popkulturell geprägt, meint Kilian Engels, sie ist selbstbewusst und weiß, worauf es ankommt: auf die eigene Handschrift, das Unverwechselbare. Sie beweist Stilwillen - und Ehrgeiz.
"Ich habe total den Plan", findet Bergmann. "Für mich ist das völlig außer Frage, dass das an tollen Häusern weitergehen muss, weil ich einfach Produktionsbedingungen brauche, die ein Theater möglich machen, auf das ich Lust habe. Auch die Schauspieler, die gibt es eben an bestimmten Häusern, auf die ich Bock habe und mit denen ich gerne arbeiten würde. Von daher muss man da schon einen Plan haben, Richtung Burgtheater."
Anders sieht das Nunes: "Im Moment ist es mir egal, wo ich inszeniere, Hauptsache, da sind gute Leute. (...) Es macht mir so Spaß, und ich darf ja auch an so vielen Häusern arbeiten, das ist ganz toll. Ich glaube, man darf sich nur nicht verheizen. Man darf nicht zu viel machen, sonst ist man irgendwann nicht mehr gut, dann ist man routiniert - wie eben mancher ältere Regisseur. Das geht ganz schnell."
Unaufdringliche "Himmelangst"
Zur Halbzeit des Festivals dann zur Abwechslung mal eine fast bescheidene, unaufdringliche Inszenierung: Lilli-Hannah Hoepners Uraufführung von Daniela Dröschers Stück "Himmelangst". Ein zwischen Erzählung, Poesie und Dialog oszillierender, etwas überambitionierter Theatertext um drei iranische Flugbegleiterinnen und einen Mann im schwarzen Anzug mit Basketball, der sich als designierter amerikanischer Präsident ausgibt.
Hoepner macht daraus ein mit sparsamsten Mitteln rund um die Zuschauer inszeniertes Spiel über Männer und Frauen, Osten und Westen, Sehnsüchte und Ängste, über den Clash of Civilisations und das Geschichtenerzählen als Schutz. Auch das ist "Radikal jung" - Theater ohne Albernheiten und Animation, einfach, uneitel und nachdenklich.
Service
Radikal jung - Das Festival junger Regisseure, 9. - 16. April 2010, Münchner Volkstheater
Münchner Volkstheater - Radikal jung