Die Last der Apartheid-Vergangenheit
Die Stunde des Schakals
Bernhard Jaumanns neuer Krimi beschäftigt sich mit der Vergangenheit Namibias. Der Geschichte liegt ein ungelöster Mordfall zugrunde. Jaumann lässt den Fall fiktiv von der namibische Kriminalinspektorin Garises, einer Herero, lösen.
8. April 2017, 21:58
Nicht nur in Schweden oder Frankreich nehmen ungewöhnliche Ermittler ihren Dienst auf, sondern zunehmend auch in Afrika. Vor wenigen Monaten führte der erste Fall für Darko, den Helden des ghanesischen Arztes Kwei Quartey, in seinem Roman "Trokosi" in kriminaltechnisch bisher wenig beachtete Gebiete. Nun ist Clemencia Garises, eine junge Herero aus den Townships von Windhoek, im neuen Krimi von Bernhard Jaumann am Werk.
Den Schlendrian durchbrechen
Garises hat eben eine Ausbildung in Finnland absolviert, in kniffligen Situationen überlegt sie immer noch, was wohl ihr Mentor Matti Jurmela tun würde. Die junge Frau eckt mit ihrem neu erworbenen Wissen um exakte Ermittlungsarbeit und einfühlsame Recherchen bei alt gedienten Kollegen an, deren gewohnten Schlendrian sie – oft vergebens - zu durchbrechen versucht.
Inspektorin Garises lebt in Katutura, einem ehemaligen Township Windhoeks, das in der Zeit der Apartheid in den 1950er Jahren gegründet wurde. Vom bescheidenen Gehalt als Polizistin trägt sie zum Lebensunterhalt ihrer chaotischen Familie bei. Sie beansprucht als Gegenleistung eines der beiden Zimmer des Hauses als ihr Refugium, ohne im Lärm Katuturas je Ruhe zu finden. Garises Mutter kam unter nie geklärten Umständen ums Leben, als Clemencia noch ein kleines Mädchen war, sie wurde während der Unruhen im Vorfeld der Unabhängigkeit Namibias von einer verirrten Kugel getroffen.
Rätsel der Vergangenheit
Der Roman "Die Stunde des Schakals" beginnt mit der Geschichte eines Mannes, der mit einer Kalaschnikow unterwegs ist. Er mäht im weißen Nobelviertel von Windhoek einen Mann bei der Gartenarbeit nieder. Der nächste Mord geschieht wenig später, ein Reisender wird erschossen, sein Auto auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt in Brand gesetzt. In einem feuersicheren Koffer finden sich Pass und Flugticket, damit das Opfer - ein wohlhabender Geschäftsmann auf einem Jagdausflug - schnell identifiziert werden kann.
Ein dritter Mann stirbt durch die Kalaschnikow spektakulär während einer eleganten Dinnerparty in Südafrika. Garises Recherchen ergeben, dass die drei Ermordeten zu einer Gruppe von Agenten des Apartheid-Regimes gehörten, die 1989 des Mordes an dem weißen SWAPO-Aktivisten Anton Lubowski zwar überführt, aber nie verurteilt wurden. Die Frage, wer als Nächster an der Reihe sein wird, treibt die Ermittlerin an.
Unaufgearbeitete Geschichte
Der Fall Lubowksi ist real: Der charismatische Anti-Apartheid-Anwalt wurde 37-jährig, nur wenige Monate vor den ersten freien namibischen Wahlen, in Windhoek ermordet. Dass seine Mörder zwar gefunden, aber nie bestraft wurden, hat Bernhard Jaumann schon seit längerem beschäftigt. Der Autor, der aus Augsburg stammt, wurde bereits für Krimis zu den fünf Sinnen und für eine Trilogie, die in Montesecco in Italien spielt, mehrfach ausgezeichnet.
In seiner neuen Wahlheimat Namibia hat er sich den ungelösten Fall Lubowski aus der Geschichte des Landes vorgenommen. Um das Rätsel wenigstens fiktiv zu lösen, hat Jaumann Personen erfunden und einen spannenden, vielschichtigen Plot entwickelt. Die Ermittlungswege der Polizistin, die Geschichte des Rächers, dessen Identität erst mit der Lösung des Falls enthüllt wird, die Erzählung des Richters, der im Prozess gegen Lubowskis Mörder versagt hat, sowie die Rückblenden in die unaufgearbeitete Geschichte Namibias ergeben ein farbiges Bild. So führt der erste Fall der neuen afrikanischen Inspektorin Garises in jene Welt, die gerade durch den Ö1 Schwerpunkt "Ke nako - Afrika jetzt" den Hörern näher gebracht wird. Warum der Roman den Titel "Die Stunde des Schakals" trägt, ist nicht erkennbar, aber er bringt neben spannender Fiktion auch vielfältige Informationen über eine unbekannte Welt. Der nächste Fall von Clemencia Garises wird bereits auf eine interessierte Fangemeinde treffen.
Service
Bernhard Jaumann, "Die Stunde des Schakals", Kindler Verlag
Bernhard Jaumann
Rowohlt - Die Stunde des Schakals
Die Sendung "Hörbilder" vom 3. April 2010 über den Genozid am Volk der Herero ist für Download-Berechtigte noch bis 7. Mai 2010 downloadbar.