Jahresbericht der brasilianischen Landlosenpastorale
Morde, Vertreibungen, Sklavenarbeit
Revolverhelden vertreiben Familien von ihrem Land, Menschenrechtsaktivisten werden ermordet, Zuckerrohrschneider arbeiten wie Sklaven auf den Plantagen: Der soeben erschienene Jahresbericht der Landlosenpastorale zeigt ein düsteres Bild Brasiliens.
8. April 2017, 21:58
Kein Grund zu feiern
Seit mittlerweile 25 Jahren gibt die brasilianische Landlosenpastorale CPT (Comissao Pastoral da Terra) Berichte über die sozialen Konflikte in den ländlichen Regionen Brasiliens heraus. Darin werden alle Konflikte um Land, Wasser und Arbeitsrechte dokumentiert.
Zu feiern gibt es anlässlich dieser 25. Ausgabe aber nichts, betont Antonio Canuto von der Landlosenpastorale: Die Gesamtzahl der Konflikte ist 2009 wieder leicht angestiegen. Schuld daran ist, laut CPT, die aggressive Ausbreitung des Agrobusiness.
Morddrohungen gegen Bischof Kräutler
25 Menschen wurden im Zuge dieser Konflikte ermordet, 62 überlebten Mordversuche, 71 wurden gefoltert und 143 wurden mit Mord bedroht: Aktivisten der Landlosenbewegung, Gewerkschaftsführer, Indigenenvertreter, aber auch Befreiungstheologen, die sich für die Rechte der Landbevölkerung einsetzen.
Unter ihnen der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler. Er kämpft seit Jahren im Bundesstaat Pará, im Amazonasgebiet, gegen das geplante Staudammprojekt Belo Monte. Am Rio Xingu, einem Nebenfluss des Amazonas, soll das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt entstehen. Dafür sollen 11.000 Familien zwangsumgesiedelt werden, großteils Indigene.
Der Wilde Westen Brasiliens
Die Amazonasregion ist die konfliktreichste Region des Landes. Etwa die Hälfte aller dokumentierten Fälle - insbesondere der gewalttätigen - fand dort statt. Der Amazonas ist so etwas wie der Wilde Westen Brasiliens. Hier herrschen eigene Regeln. Das Sagen haben die allmächtigen Großgrundbesitzer und ihre "pistoleiros" (Revolverhelden).
Einige Großgrundbesitzer haben sich dort Staatsland auf dubiose Art und Weise angeeignet, kritisiert die CPT. "Grilagem" nennt man das in Brasilien, was so viel bedeutet, wie "Grillenmethode": Sperrt man eine Grille gemeinsam mit einem Schriftstück in eine Lade, so sieht das Papier nach ein paar Tagen so aus, als ob es 100 Jahre alt wäre. Und so tauchten zahlreiche "alte" Besitzurkunden auf. Vergangenes Jahr hat die brasilianische Regierung diese fragwürdigen Besitztitel im Amazonasgebiet schließlich offiziell legalisiert.
Gleichzeitig werden aber die sozialen Bewegungen in Brasilien zunehmend kriminalisiert, kritisiert die CPT. Noch nie gab es so viele Verhaftungen von Landlosen.
"Sklavenarbeit" auf Zuckerrohrplantagen
Die "gute" Nachricht: Im Jahr 2009 wurden etwas weniger Fälle bekannt, in denen Menschen zu sklavenähnlichen Bedingungen beschäftigt wurden: die Inspektoren des Arbeitsministeriums dokumentierten 6.231 solcher Beschäftigungsverhältnisse. 2008 waren es noch knapp 7.000. Etwa die Hälfte davon auf Zuckerrohrplantagen.
Dieser Sektor boomt seit einigen Jahren, denn aus Zuckerrohr wird unter anderem der Agrotreibstoff Ethanol hergestellt. Das Zuckerrohr wird in Brasilien teilweise noch immer manuell geschnitten - eine der schwersten Arbeiten überhaupt. Immer wieder kommt es zu Todesfällen durch Erschöpfung und zu schlimmen Verletzungen mit der Machete.
Warten auf die Agrarreform
Paradoxerweise ist die bisherige Regierungszeit von Präsident Lula (2003-2009) die konfliktreichste Periode der letzten 25 Jahre, stellt Carlos Walter Porto-Goncales von der Universität Rio de Janeiro fest. Paradox deshalb, weil Lula selbst aus der Gewerkschaftsbewegung kommt. Er hat zahlreiche Aktivisten der Landlosenbewegung in seine Regierung geholt.
Zu Beginn seiner Amtszeit hatte er eine umfassende Agrarreform versprochen: brachliegender Großgrundbesitz sollte enteignet werden und an besitzlose Landarbeiter verteilt werden. Das hat Hoffnungen und Erwartungen bei den Landlosen geweckt, meint Porto-Goncales, und gleichzeitig Großgrundbesitzer und Agroindustrielle in Alarmbereitschaft versetzt.
Die angekündigte Reform hat niemals stattgefunden und die brasilianische Landlosenpastorale befürchtet, dass sie noch viele Jahre lang ihre Berichte herausgeben muss.
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