Necla Keleks Ansichten zum Islam
Himmelsreise
Necla Kelek wurde in Istanbul geboren, in Deutschland hat sie Volkswirtschaft und Soziologie studiert und über das Thema "Islam im Alltag" promoviert. Wir müssen den Glauben von seinem patriarchalischen Missbrauch befreien, lautet Necla Keleks Motto.
8. April 2017, 21:58
"Ich lass mir von diesen Islamwächtern und von diesen organisierten Wächtern meinen Allah nicht nehmen", sagt Necla Kelek. Die Islamwächter, das sind für die in Berlin lebende Autorin jene Vertreter muslimischer Verbände, die den traditionalistischen Islam in Deutschland vertreten.
In ihrem 2005 erschienenen Buch "Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland" setzte sich Kelek kritisch mit der in muslimischen Gesellschaften praktizierten Zwangsheirat auseinander. Jetzt, in ihrem neuen Buch "Himmelsreise", untersucht die Autorin die Macht des Islam als kulturelle und politische Institution in Deutschland.
"Gesellschaftsmodell" Islam
Der Buchtitel bezieht sich auf eine visionäre Reise des Religionsgründers Mohammed. Auf ihrer eigenen Himmelsreise zeichnet Necla Kelek auf 250 Buchseiten die Geschichte des Islam nach, besucht deutsche Moscheen, schildert Streitgespräche mit Glaubensvertretern und anderen Islamwächtern - und sucht nach Erklärungen, warum sich viele muslimische Migranten mit der Integration in die westliche Gesellschaft so schwer tun.
"Ein Grund ist, dass der Islam als Religion eine Institution ist, ein Gesellschaftsmodell ist", meint Kelek. "Die, die Glauben leben wollen, können sich nicht einer freien Gesellschaft anpassen, weil Islam sagt ganz klar: Der Mensch ist dafür da, dass er Allahs Gesetze befolgt und für das Jenseits vorbereitet wird."
Kontrolle von außen
Seit vor fast eintausend Jahren jegliche Kritik aus dem islamischen Denken verbannt wurde, hindere die muslimische Gesellschaft sich selbst am Fortschritt, meint Necla Kelek. Eine kritische Islamwissenschaft sei bis heute undenkbar.
Die Religion sagt, der Mensch müsse von außen kontrolliert werden, so Kelek. Dadurch sei der Mensch auch für nichts verantwortlich. "Das hat sich so durchgesetzt über die Jahrhunderte."
Strikte Unterwerfung
Im Gegensatz zu vielen anderen Religionen habe der Islam seine archaischen Wurzeln noch nicht überwunden, bedauert die Autorin. Nach wie vor fordere der Glaube eine strikte Unterwerfung - der Koran gilt Gläubigen als unfehlbares Wort Gottes.
In einer freien Bürgergesellschaft wie der deutschen müsse es aber erlaubt sein, Fragen zu stellen, fordert Necla Kelek. Auch die Schriften des Islam sollen einer theologischen und historischen Interpretation unterzogen werden.
"Wir müssen das Buch als historisches Buch, als Literatur betrachten", meint Kelek. Man müsse doch das Recht haben, Fragen zu stellen, zum Beispiel: Warum müssen Frauen noch ein Kopftuch tragen? Im Koran gebe es keine Quellen dazu, aber das Strafgesetz schreibe vor, dass Frauen, die kein Kopftuch tragen, bestraft werden.
Hierarchischer Respekt
Anhand von eindrücklichen Milieustudien türkischer Gemeinden in Deutschland veranschaulicht Necla Kelek, wie sehr sich die muslimische Alltagskultur von der westlichen unterscheidet. Begriffe wie Freiheit, Ehre oder Respekt etwa werden in der islamischen Tradition völlig anders interpretiert als in der deutschen Kultur.
"Respekt ist hierarchisch zu verstehen in dieser islamischen Struktur", so Kelek. "Das geht bis nach oben, bis Allah. (...) Ich darf meine Überväter nicht infrage stellen. Das fängt mit Allah an, dem Propheten, Attatürk, Erdogan, die Nachbarn, Vater, Bruder, Onkel... Überväter im Kopf, die ich nicht infrage zu stellen habe – und wenn, bin ich respektlos."
Kritisiert für Kritik
Ein Großteil der über vier Millionen Muslime in Deutschland sei gut integriert, betont die Autorin immer wieder. Sie kritisiere nur jene Glaubensvertreter, die im Namen von kultureller Tradition und Glaubensfreiheit das deutsche Grundgesetz mit Füßen treten, speziell wenn es um Frauenrechte geht. In "Himmelsreise" kommt Necla Kelek zum Schluss, dass der traditionalistische Islam schlicht undemokratisch sei und sich folglich auch nicht in die europäische Kultur integrieren lässt.
Kein Wunder, dass die türkisch-deutsche Soziologin mit dieser Einschätzung bei vielen Vertretern von Islamverbänden aneckt. Aber auch wohlmeinende Anhänger einer aufgeklärten Multi-Kulti-Front sehen in ihr eine Nestbeschmutzerin. Im deutschen Feuilleton wurde Kelek sogar das Attribut "Hasspredigerin" umgehängt.
"Also wenn ich sage, ich kritisiere den Islam, dann meinen sogar die Deutschen, ich würde die Muslimen kritisieren", so Kelek. "Aber der Islam ist kein Mensch, er ist eine Religion. Hier in diesem Land ist Religionskritik nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht."
Warnung vor Rechtspopulisten
"Himmelsreise" ist ein provokantes Buch, das nicht allen gefallen wird. Und auch nicht allen gefallen will. Es wendet sich an all jene, die in ihrem Berufsalltag mit muslimischen Migranten zu tun haben, aber auch an diese Migranten selbst.
Ihr habt nichts zu verlieren außer der Scharia, ruft Necla Kelek allen Muslimen am Ende ihres Buches zu. Eindeutig ist auch ihre Botschaft an jene Politiker, die laut Kelek eher bereit wären, die Verfassung zu ignorieren, als sich den Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit machen zu lassen.
Die bürgerliche Gesellschaft hätte sich des Themas schon früher annehmen müssen, meint Kelek, damit die Immigranten in dieser demokratischen Gesellschaft "als freie Bürger ankommen. Wenn sie das nicht tun, werden das die Rechtspopulisten nützen, um Stimmung gegen diese Bevölkerungsgruppe zu machen. Das macht mir Angst, alle haben dann verloren, ich, die Muslime, aber auch die Bürgergesellschaft."
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Necla Kelek, "Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam", Kiepenheuer & Witsch
Kiepenheuer & Witsch - Himmelsreise
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