Wegen Kruzifixen in Klassenzimmern

Wirbel um türkisch-stämmige Ministerin

Zum ersten Mal kommt ein Einwandererkind aus der Türkei in Deutschland zu Ministerehren. In der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover ist die Juristin Aygül Özkan als neue Sozialministerin des Bundeslandes angelobt worden. Vorher musste sie sich allerdings entschuldigen - wegen einer Aussage über Kruzifixe in Klassenzimmern.

Mittagsjournal, 27.04.2010

Zu Entschuldigung gezwungen

Schon vor ihrer Angelobung hat es um die neue niedersächsische Ministerin politischen Wirbel gegeben. Aygül Özkan hat sich gegen religiöse Symbole an staatlichen Schulen ausgesprochen, und damit auch gegen die Kruzifixe, die in Niedersachsens Klassenzimmern hängen und nach dem Willen der Regierungspartei CDU auch hängen bleiben sollen. Die designierte Ministerin wurde zu einer Entschuldigung gezwungen.

Als Muslimin bei christlich-demokratischer Union

Aygül Özkan ist an sich das Musterbeispiel für die gelungene Integration, von der deutsche Politiker gerne schwärmen: 38 Jahre alt, bisher Managerin in einem Transportkonzern, und bisherige Stadtpolitikerin in Hamburg. Ihr Vater ist aus der Türkei eingewandert, hat als Schneider gearbeitet, die Tochter hat studiert und Karriere gemacht, spricht perfekt Deutsch, hat einen Mann und ein Kind und hat sich vor sechs Jahren der christlich-demokratischen Union (CDU) angeschlossen, auch wenn sie nicht Christin ist, sondern Muslimin ist und bleibt.

"Weltoffene" CDU

Mit dem christlichen Erbe ihrer Partei, das hat sie stets betont, hat sie im Prinzip kein Problem. "Die CDU ist eine weltoffene Partei, eine Volkspartei, in die einzutreten es nicht die Voraussetzung ist, dass man christlichen Glaubens ist."

Gegen Kopftücher und Kreuze

Aber noch vor ihrer Vereidigung in Ministeramt in Niedersachsen, als erste türkischstämmige Migrantin auf einem so hohen Posten, hat Aygül Özkan für helle Aufregung gesorgt vor allem bei ihren Parteifreunden. Es war ein eher nebenbei dahingesagter Satz in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Focus", in dem sie meinte, religiöse Symbole hätten an staatlichen Schulen nichts verloren, das gelte sowohl für das muslimische Kopftuch als auch für das christliche Kreuz.

CDU will Kruzifixe

Vielleicht wusste sie es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht: In ihrem bisherigen Wohnort Hamburg gibt es keine Kruzifixe in den Klassenzimmern, im angrenzenden Bundesland Niedersachsen aber sehr wohl, und die CDU, die Partei, der Aygül Özkan ihr neues Ministeramt verdankt, hat diese Kruzifixe stets verteidigt.

Schadensbegrenzung nötig

Harte Zeiten für den niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff. Er hatte sich als Pionier der Integrationspolitik feiern lassen, als er letzte Woche die Ernennung der türkischstämmigen Politikerin bekanntgab. Aber jetzt musste er sie auch auf parteiinternen Druck hin zu einer Entschuldigung zwingen und sich dann in Schadensbegrenzung versuchen. So musste Wulff mitteilen, dass sich Ökzan in der Fraktion entschuldigt habe. "Sie hat sich quasi auf glattes und dünnes Eis begeben, und da kann schon mal ins Rutschen kommen."

Umstrittene Ansichten

Auch aus dem CDU-Regierungslager in Berlin hört man jetzt, Kruzifixe seien Ausdruck abendländisch-kultureller Prägung und sollten in den Schulklassen bleiben, das ist allerding schon seit langer Zeit eine ziemlich umstrittene Ansicht. Denn eigentlich hatte das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 1995 entscheiden, dass Kruzifixe, jedenfalls in bayrischen Schulen, nicht verpflichtend aufgehängt werden dürfen. Aber nach langem hin und her legt Bayern den Beschluss jetzt so aus, dass Kruzifixe nur bei Protesten von Betroffenen und dann auch nur nach einem komplizierten Verfahren aus einzelnen Klassenzimmern entfernt werden dürfen.

Frage der Integration

Aygül Özkan, die neue Sozialministerin von Niedersachsen, wird in ihrem Ressort auch für Integration zuständig sein. Zunächst aber hat sie aber noch mit ihrer eigenen Integration in das dortige Wertegefüge ziemlich zu kämpfen.