Zwei neue Biografien

Johann Peter Hebel

Heute soll es ja sogar schon promovierte Germanisten geben, denen man erklären muss, wer Johann Peter Hebel war und warum man ihn eigentlich noch lesen sollte. Zwei Biografien wollen den Lesern und Leserinnen nun auf die Sprünge helfen.

Zugegeben, Titel wie "Alemannische Gedichte", "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes" oder "Biblische Geschichten" klingen nicht gerade aufregend, aber mehr als diese drei Bücher hat Hebel nun einmal nicht geschrieben. Schriftsteller war er ja quasi nur nebenbei. Im Hauptberuf war er Lehrer, Professor für Theologie und Hebräisch und am Ende gar als erster Prälat der oberste Repräsentant der Evangelischen Landeskirche Badens. Aber, auch wenn sich das einige der heutigen Berufsschriftsteller gar nicht mehr vorstellen können, es kommt ja nicht auf die Zahl der Bücher an, die jemand schreibt, sondern darauf, dass sie gut und unverwechselbar sind.

Die ersten Dialektgedichte

Hebels "Alemannische Gedichte" waren eine Sensation: der erste erfolgreiche Versuch im deutschen Sprachraum, einen Dialekt poetisch zu nutzen. Jean Paul, Goethe und viele andere waren voll des Lobes. Und gegen den wohlmeinenden Rat, die Gedichte ins Hochdeutsche zu übersetzen, wehrte sich Hebel. Er konnte und wollte nicht, wie manche Vertreter des Austro-Pop, zwei Versionen herstellen. Wer Hebels Gedichte lesen will, muss sich um das Alemannische bemühen - so wie ja auch H. C. Artmanns Gedichtband "med ana schwoazzn dintn" nicht ohne das Wienerische zu haben ist.

Jenes Buch, das Hebel berühmt machte, das "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes", hat eine spezifische Entstehungsgeschichte: Das Gymnasium in Karlsruhe, an dem er Professor war, gab einen Kalender heraus, der veraltet war und mit Absatzschwierigkeiten kämpfte. Hebel wurde 1807 als alleiniger Redakteur mit der Reform beauftragt und schrieb dann bis 1814 seine bis heute berühmten Geschichten, darunter "Kannitverstan" und "Unverhofftes Wiedersehen". Sie fanden so viel Anklang, dass ihm der Verleger Cotta das Angebot machte, eine Auswahl als eigenes Buch herauszubringen, das "Schatzkästlein" eben.

Franz Kafka, Walter Benjamin, Ernst Bloch, Heinrich Böll, Elias Canetti und in jüngster Zeit Arnold Stadler haben diese äußerst verknappten, stilistisch so individuellen wie präzisen und oft doppelbödigen Geschichten kommentiert, gelobt und sich darauf bezogen. Und natürlich wären die Kalendergeschichten von Oskar Maria Graf und von Bertolt Brecht nicht denkbar ohne Hebel - er war ja der erste, der aus dieser Gattung bedeutende Literatur gemacht hat.

Bewegte Zeiten

Jetzt, zum 250. Geburtstag, interessiert auch die Frage wieder: Wer war dieser Johann Peter Hebel eigentlich? Gleich zwei Biografien sind in diesem Frühjahr erschienen. Sie verfolgen Hebels Weg vom Tod des Vaters - Hebel war gerade ein Jahr alt - über die Schulerfahrungen und den frühen Tod der Mutter - Hebel war keine 14, als er Vollweise wurde - über das Studium und die Berufsanfänge bis zu dem Vierteljahrhundert in Karlsruhe, wo es Hebel vom Subdiakon und Professor zum Direktor des Lyzeums und dann zum Prälaten der Evangelischen Landeskirche und Mitglied der Ersten Kammer des badischen Landtags brachte.

Politisch war das eine bewegte Zeit: Hebel erlebte die Französische Revolution 1789, die Kriege mit Napoleon und seinen Sieg bei Austerlitz, den Wiener Kongress und die Karlsbader Beschlüsse, die einen schweren Anschlag auf die Freiheit von Presse und Kunst darstellten. Als Autor war Hebel davon betroffen, als Funktionär an der Zensur beteiligt, und als Kalenderredakteur musste er auf die wechselnden politischen Verhältnisse Rücksicht nehmen.

Über all das informieren die beiden Biografien, und es ist wichtig, den Entstehungszusammenhang von Hebels Werken zu kennen. Sein drittes Buch, die "Biblischen Geschichten", waren ja noch mehr ein Gelegenheitswerk als die Kalendergeschichten: Hebel sollte damit ein protestantisches Schulbuch schaffen.

Im Kontext der Literatur

"Ein Buch über Johann Peter Hebel muss knapp, lesbar und verständlich sein." Bernhard Viel erfüllt in seiner Biografie "Johann Peter Hebel oder Das Glück der Vergänglichkeit" dieses selbstgestellte Kriterium. Vor allem bettet er Hebel, den Außenseiter, in den Kontext der Literatur seiner Zeit ein. Das gelingt nicht immer gleich gut: Die Bezüge zu Schillers "Braut von Messina" etwa sind weniger überzeugend als die zum Bildungsroman, und wenn die Rede auf Hebels berühmten Polytheismusbrief kommt, fehlt leider der Bezug zu Schillers Ballade "Die Götter Griechenlands" und zur Polytheismussehnsucht des späten 18. Jahrhunderts.

Zu oft und eindeutig verankert Bernhard Viel seinen Hebel in der Aufklärung und übersieht dabei jene Stelle, wo Hebel schreibt, der "Cherub der Aufklärung" hätte uns aus dem biblischen Paradies vertrieben, und nur die Dichter würden uns "durch unbedachte Seitenpförtchen wieder auf einen Augenblick hineinführen".

Scharf arbeitet Bernhard Viel heraus, was vor allem der frühe Tod der Mutter für Hebel bedeutete; doch mit der zitierten psychologischen und psychoanalytischen Literatur wird er oft zu eindeutig: Es entsteht der Eindruck, mit seiner Biografie hätte Hebel unter keinen Umständen eine geglückte Beziehung zu einer Frau aufbauen können.

Hebel und die Frauen

Hebels Verhältnis zu Frauen beschäftigt beide Biografien, und das ist nicht verwunderlich, gibt es doch so gar keinen fassbaren Grund - oder eben deren viele -, warum Hebel seine Gustave Fecht, der er über Jahrzehnte so viele Briefe schrieb, nie geheiratet hat. Aber vieles lässt sich eben nicht mehr rekonstruieren, sind doch sämtliche an Hebel gerichteten Briefe verloren gegangen.

Die Faszination für die extravagante Schauspielerin Henriette Hendel muss die Biografen schon deswegen beschäftigen, weil sie die Kluft zwischen Hebels realem, von Ämtern, Pflichten und bürgerlicher Tüchtigkeit geprägtem Leben und seinen Träumen vom Ausstieg und von der "Ekstase" - so der Titel seines ersten bedeutenden Gedichts - so deutlich sichtbar macht.

(Zu) viele Details

Heide Helwigs Hebel-Biografie ist mäandrierender und vielschichtiger und beschreibt nicht zuletzt die politischen Umstände genauer. Doch eben deswegen ist sie auch mühsamer zu lesen, verliert sich in vielen Details und lässt derart viele Personen auftreten, dass man Mühe hat, sie auseinander- und mit der Lektüre bis zum Ende durchzuhalten.

Zudem ist es schwierig, die Zitate aufzufinden, hat das Buch doch keine durchnummerierten Anmerkungen, sondern zwingt einen zum Nachschauen, ob es Anmerkungen zur jeweiligen Seite gibt. Überlange Kapitel ohne jede Zwischenüberschrift machen es oft schwer, das Gesuchte wieder aufzufinden und lassen wunderbare Sätze, auf die man nicht mehr verzichten möchte, wenn man Hebel liest, in einem oft allzu weiten Textmeer untergehen.

Lust auf Hebel

So ist man trotz aller Einwände geneigt, einem Leser, der sich zwischen beiden Biografien entscheiden muss, eher Bernhard Viel zu empfehlen, der vor allem anhand der Erzählung "Unverhofftes Wiedersehen" Textinterpretation und Biografie zu vereinen weiß, ohne die Literatur ins Biografische aufzulösen.

Beide Biografien beleuchten ein weitgehend unbekanntes Leben und zeigen, wie abseits der damaligen Zentren im provinziellen Karlsruhe, das Karl August Varnhagen als "Perücken-Liliput" verspottete, Weltliteratur entstehen konnte, verfasst von einem Schul- und Kirchenfunktionär, der nur gelegentlich zum Schreiben kam. Vor allem aber machen die beiden Biografien Lust, Johann Peter Hebel endlich einmal oder wieder neu zu lesen.

Service

Heide Helwig, "Johann Peter Hebel. Biografie", Carl Hanser Verlag

Bernhard Viel, "Johann Peter Hebel oder Das Glück der Vergänglichkeit. Eine Biografie", Verlag C. H. Beck