Oliviero Toscani zu Gast in Wien
Freiheit für Fotografen
Der italienische Starfotograf Oliviero Toscani ist berühmt geworden durch seine von vielen als schockierend empfundenen Bilder, die er für die Modefirma Benetton in den 1980er und 90er Jahren geschossen hat. Nun war er zu Gast in Wien.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 07.05.2010
Am Donnerstag, 6. Mai 2010 hat Toscani im Kunst Haus Wien an einer Diskussion zum Thema "Kontroversen. Justiz, Ethik und Fotografie" teilgenommen. Gleichzeitig läuft dort eine hochinteressante Fotoausstellung zum gleichen Thema.
Kultur aktuell, 07.05.2010
Magersüchtiges Mädchen
Seine 68 Jahre sieht man dem vitalen, lebenslustigen Oliviero Toscani nicht an. Er trägt rote Designerbrillen aus einer Kollektion, die er selbst entworfen hat. Er lebt zwischen der Toscana und Mailand und hat immer noch Spaß am Fotografieren. Und er ruft auch heute noch Kontroversen hervor.
Etwa 2007, als er anlässlich der Mailänder Modewoche ein Plakat mit einem nackten magersüchtigen Mädchen veröffentlichte, um die Aufmerksamkeit auf die oft krankhaft dünnen Mannequins zu richten.
Plakate wurden verboten
Mit seinen Kampagnen für Benetton hatte er immer wieder Polemiken hervorgerufen. Im Kunsthaus kann man sein Bild von einem Priester und einer Nonne, die sich küssen, bewundern, er hat auch das Foto eines blutverschmierten Hemdes eines Kämpfers vom Balkan veröffentlicht und das eines im Sterben liegenden Aids-Kranken. Manche seiner Plakate wurden damals sogar verboten.
"Es ist unglaublich: Ich habe vor 10 Jahren aufgehört, diese Fotos zu machen, und man spricht immer noch davon", so Toscani. "Sie haben also einen Effekt gehabt: Die Leute haben nachgedacht, vielleicht haben sich die ethischen und moralischen Vorstellungen verändert. Also glaube ich, dass das ein Erfolg war. Es ist ja sehr selten, dass man sich zehn oder 20 Jahre danach an ein Foto erinnert!"
Interesse an menschlichen Problemen
Ihm ging es immer darum, gesellschaftliche Fragen und Themen zu behandeln. Die Kunst, die Ästhetik, die Komposition befindet sich immer in der Mittelmäßigkeit. Menschliche Probleme, hingegen, vor allem solche, die gelöst werden sollten, interessieren alle, sagt Toscani.
Ihm gefällt es, wenn kontroversielle Themen abgehandelt werden, und er verlangt auch größtmögliche Freiheit für den Fotografen: "Wenn es ein Foto gibt, heißt das, dass etwas passiert ist und vielleicht immer noch passiert. Darum darf es keine Zensur geben. Seit es die Fotografie gibt, existiert die Geschichte. Vor der Fotografie gab es Geschichten, die man erzählte: etwa was Christus alles gemacht hat, die Wunder. Hätte es damals eine Kamera oder die Fotografie gegeben, vielleicht wäre die Religion auch in der Krise. Hätte es vor 200 Jahren Kameras gegeben, erschiene uns Napoleon in seiner Art Kriege zu führen vielleicht ärger als Hitler. Wer weiß, ob Garibaldi ein Held wäre? Die Fotografie ist also das historische Gedächtnis der Menschheit!"
Keine politische Karriere
Oliviero Toscani ist ein politischer Mensch, allerdings hält er gar nichts von den Politikern seines Landes. Freunde drängten ihn, für die Regionalwahlen im März zu kandidieren, doch er warf sehr schnell das Handtuch: das sei nur verlorene Zeit, meint er heute dazu.
Enttäuscht ist er über den Zustand des heutigen Italien, ein Zustand, den er auf die katastrophalen Auswirkungen des Fernsehens zurückführt: "Italien ist ein Volk von Tele-Idioten. So ist es kein Zufall, dass der Staatschef ein Fernsehchef ist. Das ist eine große Diktatur, daneben ist das Dritte Reich lächerlich. Der neue Faschismus kommt nicht mehr mit den schwarzen Hemden, mit den faschistischen Bünden, mit den Fäusten. Er hat schon andere Formen angenommen. Für mich ist das Fernsehen eine unwahrscheinlich fortgeschrittene und raffinierte Form des Faschismus! Vor allem weil man sie freiwillig wählt!"
Man sieht: Oliviero Toscani, der Mann der starken Bilder, ist auch ein Mann der starken Worte.
Service
"Kontroversen. Justiz, Ethik und Fotografie", 4. März bis 20. Juni 2010, Kunst Haus Wien,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (25 Prozent).
Kunst Haus Wien