Schlingensiefs "Via Intolleranza II"
Das Versagen gegenüber Afrika
Zu Jahresbeginn hat Christoph Schlingensief das Projekt seines "Operndorfs" in Burkina Faso gestartet. Eine erste - bittere - künstlerische Bilanz zieht er mit seiner Regiearbeit "Via Intolleranza II" die in Koproduktion mit Brüssel, Hamburg und Wien stattfindet. Nach der Uraufführung Mitte Mai in Brüssel erfolgte zu Pfingsten die Deutschland-Premiere. Nach Wien kommt das Stück Mitte Juni.
9. April 2017, 17:51
Wir können uns selber nicht helfen, wollen aber den Afrikanern helfen. "Wir müssen einfach wegbleiben", erkennt Christoph Schlingensief am Schluss seiner neuen Produktion "Via Intolleranza II".
Die Szenencollage mit Akteuren aus Burkina Faso und Europa feierte nach der Brüsseler Uraufführung Mitte Mai Deutschland-Premiere bei den "1. Pfingst-Festspielen" am Sonntag in der Hamburger Kampnagelfabrik.
In Wien steht die Produktion der Festspielhaus Afrika GmbH in Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper München, Kampnagel Hamburg und dem Kunstenfestivaldesarts Brüssel sowie in Kooperation mit Burgtheater Wien, Impulstanz und Wiener Festwochen von 12. bis 14. Juni im Arsenal auf dem Programm.
Erste Bilanz
Der krebskranke Regisseur zieht eine vorläufige Bilanz der Erfahrungen mit seinem zu Jahresbeginn gestarteten Operndorf-Projekt "Remdoogo" bei Ouagadougou in Burkina Faso. Selbstkritisch, auch wütend erzählt der geschwächte Performer und Regisseur von der eigenen Naivität. Vom Versagen der europäischen Kunst vor der Kraft der afrikanischen Kultur und Realität.
Halbhohe weiße Gardinen strukturieren das Durcheinander aus Tischen, Stühlen, einem Schaukasten und Requisiten auf der Bühne. Mit einem Lied zur Gitarre beginnt die Performance. Sie gleicht einer Art Probenchaos, um Luigi Nonos politisches Musiktheater "Intolleranza 1960" aufzuführen. Doch den schwarzen Darstellern sagt weder die Oper etwas noch deren Inhalt.
Auseinandersetzung mit Klischees
Angeheizt vom Fönix-Trio unter der musikalischen Leitung von Arno Waschk ergibt sich eine Mischung aus scheinbarer Improvisation und Laienspiel. Rasch geschnitten erzielt Schlingensief einen gut getimten Szenen-Rhythmus durch Wechsel von Dunkel- und Helligkeit, von Rap und Rezitation, Ruhe und Bewegung, Solo- und Ensemble-Auftritten. In seinem Multimedia-Spektakel aus Film, Gesang, Musik, Tanz und Text führt er die eigene Folklore ("Hoch auf dem gelben Wagen") und die Klischees, die wir über Afrika im Kopf haben, ad absurdum.
Nonos Komposition kommt nur in eingespielten Klangfetzen vor. Und wie gewohnt stellt er auch Bezüge zum Aufführungsort her: Mit Anspielungen auf Carl Hagenbecks Hamburger Völkerschauen, die im vorigen Jahrhundert "Exoten" aus aller Welt vorführten. Schlingensief unterläuft die eigene "Show", den Exotismus, etwa mit der satirischen "Einführung in den europäischen Kultur-Kodex". Da parodiert er den eurozentristischen Blick und postimperialistischen Gestus der französischen "Tanzförder"-Programme in Westafrika.
Die selbstgerechten Weißnasen
Ein satter weißer Tänzer demonstriert einem jüngeren farbigen Kollegen, wie er alles tanzen kann: Armut, Liebe und Hunger. Er benützt dabei immer die gleichen Trippelschritte und gezierten Gebärden. Achmed Soura zieht beim "Hunger-Tanz" nur seinen Bauch ein und verzerrt mit aufgerissenem Mund das Gesicht zur Verzweiflungsmaske.
Auch in anderen flashartigen Szenen demaskiert der Regisseur Ahnungslosigkeit, Selbstgerechtigkeit, Zynismus und Besserwisserei der "Weißnasen". Er gibt zu, dass es ihm unmöglich war, eine gemeinsame Melodie im Stück zu finden, die Unterschiede zu überwinden. "Geld, Essen und Trinken werden uns immer verbinden, aber alles andere ist eigentlich nur Anmaßung. Die sind klasse und brauchen keinen Schlingensief."
Service
Wiener Festwochen - Via Intolleranza II