Sozialdemokraten oder Bürgerpartei
Tschechien wählt neues Parlament
Freitag und Samstag wählen die Tschechen ein neues Parlament. Damit soll eine Zeit der politischen Turbulenzen in den Tschechien zu Ende gehen. Die große Wahlschlacht wird zwischen den beiden großen Parteien des Landes geführt: die Sozialdemokraten, die CSSD unter Jiri Paroubek auf der einen Seite, die Demokratische Bürgerpartei ODS unter ihrem neuen Chef Petr Necas auf der anderen.
8. April 2017, 21:58
Im März vor einem Jahr war die konservative Regierung von Mirek Topolanek durch ein Misstrauensvotum zu Fall gekommen, vorzeitige Neuwahlen waren wegen verfassungsrechtlichen Unklarheiten nicht möglich - eine Expertenregierung führte seither die politischen Geschäfte in Prag. Bei den Wahlen treten insgesamt 26 Parteien an, doch wahrscheinlich werden nur fünf bis sieben den Einzug ins Parlament schaffen. Es gilt die fünf Prozent Hürde.
Die große Wahlschlacht wird zwischen den beiden großen Parteien des Landes geführt: die Sozialdemokraten, die CSSD unter Jiri Paroubek auf der einen Seite, die Demokratische Bürgerpartei ODS unter ihrem neuen Chef Petr Necas auf der anderen. Es war ein ziemlich aggressiver Wahlkampf, mit einer breiten Negativkampagne versucht die bürgerliche ODS gegen Paroubek Stimmung zu machen und das Gespenst einer möglichen Koalition der Sozialdemokraten mit den Kommunisten an die Wand zu malen. Trotzdem: in allen Meinungsumfragen bisher liegen die Sozialdemokraten vorne.
Mittagsjournal, 27.05.2010
Sozialdemokraten Favoriten
Wählerumfragen favorisieren die CSSD seit Wochen klar. Bis zu zehn Prozent Vorsprung hat demnach Paroubeks Partei vor der ODS, die ihren Spitzenkandidaten im Laufe des Wahlkampfs austauschen musste. Der ehemalige ODS-Chef Mirek Topolanek hatte wegen kontroverser Aussagen zu Juden und Homosexuellen seinen Hut zu nehmen.
Die jüngste Befragung des Meinungsforschungsinstituts Factum Invenio im Auftrag der rechtsliberalen Tageszeitung "Mlada fronta Dnes" dämpft jedoch die Erwartungen Paroubeks, der 2005 und 2006 Regierungschef war. Der Vorsprung der CSSD schrumpft deutlich. Die CSSD könnte mit 26,3 Prozent, die ODS mit 22,9 Prozent rechnen. Die Hauptbotschaft dieser Umfrage lautet aber: Die CSSD hätte mit den Kommunisten (KSCM) keine Mehrheit im Abgeordnetenhaus.
Zwar plant Paroubek keine Koalition mit der KSCM, was er am vergangenen Wochenende erneut bestätigte. "Weder Kommunisten noch eine Hexe werden in unserer Regierung vertreten sein. Nicht einmal als stellvertretende Minister", versicherte er gegenüber der Tageszeitung "Pravo". Gegen eine von der KSCM geduldete CSSD-Minderheitsregierung hätte er aber nichts.
Necas: Kommunisten stoppen
Das ist Munition für Necas. "Wir haben eine riesige Aufgabe vor uns: Wir müssen Paroubek und die Kommunisten stoppen", donnerte Necas auf einer ODS-Wahlkampfveranstaltung in Prag. Beispiele für eine derartige Zusammenarbeit der beiden Linksparteien gibt es schon auf regionaler Ebene: In drei Kreisen konnte die CSSD nach den Regionalwahlen 2008 ihre Landeshauptleute mit Hilfe der KSCM stellen.
Viele Koalitionen möglich
Die übrigen Parteien haben jegliche Beteiligung an einer Regierung, die auf die Kommunisten angewiesen wäre, kategorisch ausgeschlossen - vielleicht mit Ausnahme der Partei der Bürgerrechte (SPOZ) des ehemaligen Premiers Milos Zeman, deren Einzug ins Parlament jedoch nicht sicher scheint. So könnte Necas schließlich doch Premier werden, selbst wenn seine Partei hinter der CSSD landen würde. Die ODS hat mehr mögliche Koalitionsverbündete zur Verfügung als die CSSD.
Dazu zählen vor allem die liberal-konservative Partei TOP 09 von Karel Schwarzenberg und die Partei "Öffentliche Angelegenheiten" (VV) des früheren TV-Enthüllungsjournalisten Radek John, die in den Wählerumfragen mit dem Thema Korruptionsbekämpfung punktete. Als Koalitionspartner in Frage käme auch die christdemokratische Volkspartei (KDU-CSL) von Ex-Außenminister Cyril Svoboda, die jedoch genauso wie Zemans Partei um den Einzug ins Abgeordnetenhaus bangen muss.
Verschuldung ein Thema
Eines der Hauptthemen des Wahlkampfs ist die steigende Verschuldung des Landes. Praktisch alle Parteien warnen vor einem "Griechenland-Szenario". Vor allem die ODS und TOP 09 betonen die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen. Auch die CSSD will das Budget-Defizit senken, allerdings sieht sie den Weg dazu eher in einer Wieder-Ankurbelung der Wirtschaft. So zögert die CSSD nicht, Rentnern eine 13. Pension zu versprechen, oder kündigt an, die von Topolaneks Regierung eingeführten Ambulanzgebühren beim Arzt abzuschaffen. Unterschiedlich sind auch die Rezepte für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die bei 9,2 Prozent liegt.
Alles offen
"Nichts ist sicher", warnte der Chef von Factum Invenio, Jan Herzmann, vor übereiligen Prognosen des Wahlausgangs. Auch das Wetter an den Wahltagen könnte laut ihm Auswirkungen haben. Man erwarte ein schönes Wochenende, was die Wahlbeteiligung in den Städten senken könnte, wovon die Linksparteien profitieren würden, so Herzmann.
Andere befürchten wieder ein Patt, wie es praktisch bei allen Parlamentswahlen seit 1996 der Fall war. Eine Situation, in der die Überläufer unter den Abgeordneten gefragt wären. Dank der Rebellen innerhalb der Parteien konnte nach den Parlamentswahlen 2006 Topolaneks Regierung entstehen. Und dank der Rebellen - diesmal anderer - fiel sie 2009 auch und wurde durch das jetzige Kabinett aus parteilosen Experten mit Jan Fischer an der Spitze ersetzt.