Gelungenes Spielfilm-Debüt

Steve McQueens "Hunger"

Steve McQueens Langfilmdebüt "Hunger" nimmt den irischen Hungerstreik des Jahres 1981 zum Anlass für eine visuelle Tour de Force, verdichtet Form und Inhalt zu einer hochgradig filmischen Erfahrung.

Das Kino hat lange dafür kämpfen müssen, als eigenständige Kunstform anerkannt zu werden: Anfänglich eine Attraktion in Vergnügungsparks, galten die Laufbilder im frühen 20. Jahrhundert noch beinahe jedem als schlechter Abklatsch von gutem Theater, als Kurzweil für die Arbeiterklasse.

Ein Jahrhundert später sieht die Sache schon ganz anders aus: Filmposter hängen in den wichtigsten Museen der Welt, immer mehr Regisseure projizieren ihre Arbeiten nicht mehr nur in Kinos, sondern auch auf Wänden in Ausstellungshallen. Immer noch schaffen es aber nur wenige bildende Künstler, auf der Leinwand zu reüssieren. Einer, dem dieses Kunststück gelungen ist, ist der Brite Steve McQueen mit "Hunger".

Im Hungerstreik

Rhythmus ist Trumpf in diesem Film. Im Sekundentakt schlagen die Insassen ihre Ess-Schalen auf den Gefängnisboden - eine erste Form des Protests der inhaftierten IRA-Mitglieder; und doch nur ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem, was noch kommen wird.

Nordirland, 1981: Die Auseinandersetzungen zwischen nordirischen Republikanern und britischen Loyalisten gipfeln in einer Protestaktion, die um die Welt geht. Unter der Leitung des charismatischen IRA-Freiwilligen Bobby Sands treten Dutzende politische Gefangene in einen Hungerstreik.

Regisseur McQueen lässt keine Minute Zweifel daran, für welche Seite sein Herz schlägt: In extrem stilisierten Bildern, die an Kubricks "Uhrwerk Orange" erinnern, zeigt er nackte Gefangene und schlagende Wärter, entfesselt er ein grausames Ballett mit mächtigen und ohnmächtigen Körpern.

Fulminante Leistung von Michael Fassbender

"Hunger" ist ein kontrollierter Film, wirkt in seiner ästhetischen Perfektion mechanisch, manchmal sogar leblos: Eine Sequenz, in der Urin unter den Gefängnistüren hindurch auf den dunklen Flur rinnt, könnte genauso gut als Endlosschleife in einem Museum zu sehen sein. McQueen schließt diese Künstlichkeit allerdings kurz mit herausragenden Darstellern: Michael Fassbenders Leistung als Streikführer Bobby Sands ist schlichtweg atemberaubend.

Fassbenders Körper dominiert diesen Film, er ist das Gefäß von "Hunger": Anfänglich noch jungmännlich vital und kraftstrotzend, ist er am Ende abgemagert auf einen Hauch von Mensch. Der Künstler McQueen denkt filmisch, ist fasziniert vom Zusammenspiel aus Bewegung und Stillstand; schon einige seiner Installationsarbeiten haben sich mit dem Phänomen Kino auseinander gesetzt.

1997 verbeugt er sich mit "Deadpan" vor Buster Keaton: Der kurze Film stellt eine berühmte Sequenz mit dem komischen Stoiker nach, in dem ein Haus um ihn herum zusammenfällt. Keaton bleibt unverletzt, da auf ihn ein leerer Fensterrahmen fällt.

Im Gegensatz zu anderen bildenden Künstlern gelingt es McQueen in seinem Spielfilmdebüt, die visuellen Ideen in den Dienst einer gut erzählten Geschichte zu stellen. Form und Inhalt befruchten sich, gipfeln etwa in einer 17-minütigen Einstellung, in der Sands mit einem Pfarrer über Gott, die Welt und den Hungerstreik spricht.

Nahverhältnis bildender und Filmkunst

Die bildende Kunst und das Kino unterhalten schon seit langem eine Nahbeziehung: Die expressionistischen Kulissen des deutschen Stummfilms und die Kinoarbeiten des Wiener Aktionismus sind nur einige Beispiele dafür.

In der gegenwärtigen digitalen Medienlandschaft ergreifen immer mehr Künstler die Gelegenheit, sich auf verschiedenen Plattformen auszudrücken: Vor wenigen Wochen ist "Pepperminta" in den österreichischen Kinos angelaufen. Der erste Spielfilm der bildenden Künstlerin Pippilotti Rist greift Stränge ihrer anderen Arbeiten auf, wirkt wie ein weiteres Kapitel in ihrem Gesamtwerk.

Auch der Thailänder Apichatpong Weerasethakul will sich nicht auf ein Medium festlegen lassen: Sein Dschungelmärchen "Onkel Boonmee, der sich an seine vergangenen Leben erinnern kann" hat gerade die Goldene Palme von Cannes gewonnen, ist aber nur ein Teil seines "Primitiv"-Projekts, das sich auch in Museen wiederfindet. Weerasethakul und Steve McQueen, die mehrere Plattformen gleichzeitig bedienen können, sind aber eine Ausnahmeerscheinung. Weitaus öfter sind die Spielfilmprojekte von bildenden Künstlern allerdings zum Scheitern verurteilt - und weisen darauf hin, dass das Kino etwas vollkommen Eigenständiges und nicht nur die Summe seiner einzelnen Teile ist.

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