Großparteien brauchen Kleine
Tschechien wählt Parlament neu
In Tschechien wird Freitag und Samstag ein neues Parlament gewählt. 26 Parteien sind angetreten. Wie viele von ihnen die Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament schaffen, darüber sind Experten uneinig. Jedenfalls wissen die großen Parteien, die Sozialdemokraten und die bürgerliche ODS, dass sie für eine Regierung die Unterstützung der kleinen Parteien brauchen werden.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 29.05.2010
Die Wahl wird in Tschechien einiges verändern. Neue Kräfteverhältnisse zeichnen sich ab. Ein Direktbericht von Karin Koller aus Prag
Zwei Neue
Klarer Favorit der Wahl sind die Sozialdemokraten von Jiri Paroubek, die bisher in allen Umfragen führen, vor der bürgerlichen ODS unter ihrem neuen Chef Petr Necas. Die Kommunisten werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch wieder ins Parlament einziehen. Und dann gibt es zwei neue Parteien im Land, und die mischen die politische Szene so richtig auf. Da ist zum einen "TOP 09", die wirtschaftsliberale Partei von Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg, und andererseits die Partei für Öffentliche Angelegenheiten des Enthüllungsjournalisten Radek John, die mit populistischen Ansagen breite Zustimmung bisher erringen konnte.
Gegen die Dinosaurier
Im Wahlkampfbüro der Partei für Öffentliche Angelegenheiten in Prag 5 herrscht entspannte Atmosphäre. Auf den Tischen stehen überall kleine Plastikdinosaurier: "Wir sind nämlich gegen die Dinosaurier in der Politik, gegen all jene, die seit 20 Jahren hier in Tschechien an der politischen Macht sind und sich nur um sich selber kümmern", sagt Radim Vyslouzil, Finanzmanager der Partei.
Ex-Enthüllungsjournalist als Parteichef
Kampf der Korruption, mehr direkte Demokratie und mehr Transparenz bei öffentlichen Aufträgen – so die Slogans der Partei. Ihr Chef ist Radek John, bekannter ehemaliger Enthüllungsjournalist beim Privatfernsehsender NOVA. Laut Umfragen kann seine Partei mit mehr als zehn Prozent der Stimmen rechnen: "Auf eine Partei wie wir sie sind, haben die Menschen gewartet", sagt Radek John selbstsicher. "Die Menschen sind einfach unzufrieden, wo unser Land nach 20 Jahren steht. Undurchsichtige Staatsaufträge, eine massive Staatsverschuldung. Die Menschen suchen eine Alternative und wir bieten sie."
"Am liebsten Opposition"
Wie diese Alternative konkret aussieht, bleibt aber unklar. Ebenso wie der finanzielle Hintergrund der Partei bzw. von Parteichef Radek John. Kritiker werfen John reinen Populismus vor, ohne klare politische Linie. Radek John will sich nicht festnageln lassen: "Die Aufteilung in rechtes oder linkes Lager ist antiquiert und stammt aus dem Kalten Krieg. Wir werden mit jener Partei zusammenarbeiten, die sich schriftlich zu Korruptionsbekämpfung und Schuldenabbau verpflichtet, aber am liebsten blieben wir in der Opposition."
Morgenjournal, 28.05.2010
Korruptionsresistenter Adeliger?
Rigoroses Sparen – das ist auch eine zentrale Botschaft von "TOP 09", der Partei von Karel Schwarzenberg. Als Kapitän, der das Schiff durch stürmische Zeiten manövriert, zeigt sich der ehemalige tschechische Außenminister im Wahlwerbespot: "Wir sind mehr als ihr denkt – komm, gehen wir zusammen." Karel Schwarzenberg ist in Tschechien einer der beliebtesten Politiker. Der 72-Jährige hat besonders hohen Zuspruch bei den Jungen im Land. Als begüteter Adeliger gilt er als korruptionsresistent. Und damit kann er punkten: Mehr als zehn Prozent der Stimmen werden ihm vorausgesagt.
Nicht mit den Kommunisten
Auch hier stellt sich die Koalitionsfrage. Schwarzenberg schließt die Kommunisten kategorisch aus. Und weiter: "Keine extreme Partei, um es generell zu formulieren. Mit den Sozialdemokraten habe ich hier meine Schwierigkeiten. Weil die Erfahrung lehrt mich, dass mit dem derzeitigen Vorsitzenden der CSSD ein Abkommen nicht gilt."
Totalabsturz der Grünen
Wer von den anderen kleinen Parteien ins Parlament kommt, ist noch völlig offen: Die Christdemokraten, bisher immer im Parlament vertreten, müssen um ihren Wiedereinzug bangen. Fraglich ist auch, ob die neue Partei von Expremier Milos Zeman die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Schlecht scheint es jedenfalls um die tschechischen Grünen zu stehen. Die Grünen, die noch vor kurzem in der Regierung saßen, werden laut Umfragen es diesmal nicht mal mehr ins Parlament schaffen.
"Jetzt werden die Karten völlig neu gemischt"
Georg Schubert, Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Auslandssenders Radio Prag, im Morgenjournal-Gespräch mit
Spannende Wahl
Georg Schubert, Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Auslandssenders Radio Prag, rechnet mit einer spannenden Wahl. Denn diese Wahl sei keine Entscheidung zwischen einer amtierenden Regierung und der Opposition, so Schubert. Tschechien werde nach dem Rücktritt der konservativen Regierung vor einem Jahr von einem Beamtenkabinett regiert. Daher würden die Karten nun völlig neu gemischt. Dazu sei auch noch völlig unsicher, wie viele Parteien in das Parlament einziehen werden. Gerade die kleinen Parteien könnten großen Zuspruch von Protestwählern erhalten, weil die Unzufriedenheit groß sei.