Die Band der SZ-Redaktion
Deadline
Die letzte Filmkritik ist getippt, der Literaturverriss diktiert und das Intendanten-Interview redigiert, und auch die Kommentare zum S-Bahn-Chaos und der alljährlichen Oktoberfest-Bierpreiserhöhung sind im Kasten: Alles rechtzeitig zur "deadline" fertig.
8. April 2017, 21:58
Dann fahren sie hinunter in das dritte Untergeschoss ihres ungeliebten Hochhauses, füllen einen viel zu kleinen, mit Teppichböden und Eierkartons ausgekleideten Lagerraum neben den Tiefgaragenplätzen und tauschen PC und Kuli gegen Tuba, Drums und Bassgitarre. Und singen und spielen mit Herzblut "Brown Sugar", "Summer of 69" oder "Thunder and Lightning": Die 14 Redakteurinnen und Redakteure der "Süddeutschen Zeitung", die sich bei ihren Ausflügen auf die Musikbühne "Deadline" nennen.
"Wir haben eine Band gegründet und lange gesucht nach einem Namen: Wir haben gedacht Impressum, Imprimatur, Schlagzeile... Aber wir sind dann auf Deadline gestoßen, weil die Situation damals für uns auch eine Art Deadline für uns war, eine große historische Deadline, das Ende einer großen Tradition in der Innenstadt von München."
"Die Situation damals" - damit meint Karl Forster, Chef des Lokalteils der "Süddeutschen Zeitung" und Kopf von Deadline - die Situation im Herbst 2008, als die Redaktionsräume der SZ in der Innenstadt geräumt werden mussten und die Belegschaft zwangsumgesiedelt wurde in einen modernen Büroturm: aus den, wie Forster sagt, "alten, schönen, verhuschten Gemäuern" raus in ein steriles Hochhaus, umgeben von Speditionen, Autobahnen und einem Zementwerk. Da wollte man sich wenigstens mit einem rauschenden Fest in die neue Bürotristesse verabschieden.
Fortsetzung für die Abschiedsband
"Und dann hatte ich eine Idee, die schon länger im Kopf herumgeschwirrt ist, und mir gedacht, das ist die ideale Zeit, um sie anzupacken: eine Band zu gründen mit Journalisten, von denen ich wusste, dass sie einigermaßen in der Lage sind, ein Instrument zu halten", erzählt Forster. "Dann bin ich als erstes zum Chef des Feuilletons, Thomas Steinfeld, gegangen, von dem ich wusste, dass er Bass spielen konnte. Das Wichtigste für eine Band ist der Bass. Und er hat zehn Sekunden nachgedacht und gesagt, ja, da macht er mit... Und so kam dann eins ums andere, und nach einigen Rückschlägen und grausamen ersten Proben waren wir dann 14 Mann hoch, fast eine richtige Big Band."
Der Einstand zum Ausstand war ein voller Erfolg, und Deadline, die Abschiedsband, machte weiter, coverte die Stones, Joe Cocker und Janis Joplin, spielte für einen guten Zweck beim Tollwood-Festival - und trifft sich jeden Montag zum Proben in ihrem kleinen, stickigen Keller.
"Ich glaube, es ist weltweit einmalig, dass der Feuilletonchef zuhört, wenn die Polizeireporterin singt, der Volontär am Schlagzeug dem zweiten Feuilletonchef sagt, wie er Saxophon spielen soll. Und dass es alles so geht, dass wir uns alle auf das gemeinsame Bier im 'Hasenstall' freuen - das ist eine kleine Kleingartenkneipe hier. Das ist schon auch wichtig für das Blatt selber, weil wir in dieser Stresssituation hier im Hochhaus Zusammenhalt brauchen, um unsere Qualität zu halten, noch dazu in Zeiten wie diesen, wo Kürzungen auch im Personalbereich bei uns leider Alltag geworden sind."
Power und Teamgeist
Auch wenn die Damen und Herren Lokalredakteure, Polizeireporter und Feuilletonautoren vielleicht keine feuilletonreife Leistung hinkriegen - eines muss man ihnen lassen: Sie musizieren mit so viel Lust und Leidenschaft, mit so viel Power und Teamgeist, dass eine Deadline für Deadline noch in weiter Ferne sein dürfte.
"Wir träumen alle von der Weltkarriere und vom Olympiastadion", so Forster, aber: "Man darf nicht vergessen, wir sind wirklich Amateure, auf sehr amateurhaftem Status. Es ist einfach der Spaß."
Service
Süddeutsche Zeitung - Deadline beim Tollwood-Festival